Unsere neue Währung wird das Glück sein

Mit der Foto-Community-Idee für Smart-phones sind 2010 in Berlin vier Freunde an Start gegangen. Nur sechs Jahre später sind es 60 Mitarbeiter im Berliner Büro und über 80 Botschafter in der ganzen Welt. Erste Firmen wurden hinzugekauft, erste Festivals veranstaltet und in Amerika das erste Büro eröffnet. Weltweit sind 13 Millionen Fotografen registriert, aus über 150 Ländern. Allein aus Deutschland sind 300 000 Fotografen bei EyeEm aktiv. Im Schnitt werden 60 000 neue Bilder pro Tag hochgeladen und an den Wochenenden über 120 000. Ein irres Wachstum und ein irrer Erfolg, dem Gen Sadakane, einer der Mitbegründer und der Creative Director, mit lächelnder Gelassenheit begegnet: „Klar ist es ein schönes Gefühl, dass viele EyeEm kennen und auch toll finden. Aber diese Zahlen sind nicht so wichtig. Wichtig ist, dass der Informationsinhalt besser wird und die Fotografie. Und dass es gute Fotografen sind, die Spaß haben und nicht nur Selfies machen, also sich oder ihr Essen fotografieren.“ 

Aber was ist ein gutes Foto? Echte Menschen, echte Gefühle sind gefragt. In allen Bereichen und aus allen Bereichen. Es ist ein anderer Markt. Ein neuer Markt. „Businessfotografien, wo sich alle adrett die Hand geben, sind nicht mehr zeitgemäß. Und ein gutes Foto hat nichts mit dem Apparat zu tun, es kann mit jedem Medium fotografiert werden. Heute ist man näher dran, oft auch wirklich mit der Handykamera. Wenn man mit dem Handy fotografiert, bewegt man sich anders als mit einer großen Kamera und die Leute sich ebenfalls. Es geht um den Moment und die Komposition Und darum, was es mit dir macht. Es geht um die Frage, wie bekommt man in einem Bild schnell etwas ganz einfach kommuniziert und jeder versteht, was gemeint ist.“ Gen Sadakane muss es wissen. In seinem früheren Leben in der Werbebranche hat er mit seinen Foto-Ideen für die Werbung bereits in Cannes mehrere Löwen abgeräumt.
Er wurde in Düsseldorf geboren, hat „Visuelle Kommunikation“ studiert und ist nun halt Unternehmer. Aber auch das ist ihm nicht so wichtig. „Mir macht das Spaß, was ich mache, ob das nun Unternehmer heißt, ist egal.“ 

Und trotzdem bleibt die Frage: Wie wird man heute Unternehmer? „Nicht so viel Caffè Macchiato trinken und quatschen. Man muss passioniert sein und einfach anfangen und machen. Dann ist man schon sehr weit vorne“, sagt er. Unternehmer zu sein, hat für ihn aber auch viel mit verbotenen Dingen zu tun. Seine Schule war die Graffiti-Kunst. Dort hat er alles gelernt über Farben, aber auch was die Effektivität und das Marketing angeht. Wer könnte kommen, muss ich leise sein, wie viel Zeit und Ressourcen habe ich eigentlich? „Was nutzt mir das Malen unter einer Brücke, wenn da eh keiner langkommt? Wo also platziere ich mich, wo ist der Ort, der hoch frequentiert ist? Aber wo mehr Leute sind, ist auch weniger Zeit. Wie bekomme ich also mein Bild in kürzester Zeit schön hin? So muss man auch in einem Unternehmen denken.“

Teil der Philosophie von EyeEm ist, dass alle das Gefühl haben sollen, dass sie an etwas Großem mitwirken. Aber das Gefühl ist nicht nur ein Gefühl. Die mediale Revolution ist in vollem Gange und EyeEm ein Teil davon. Das fängt schon bei der Sprache an. Auf der Plattform wird niemand wie sonst üblich „User“ genannt. „User“ ist in meinen Augen anonym und nicht würdig. Es sind Fotografen, und sie sollen auch als solche benannt werden“ – ist nur einer der neuen Ansätze von Gen Sadakane. Ein anderer ist, dass man auf EyeEm die Gelegenheit hat, besser zu werden und dazu Visualität bekommt. „Ich glaube, jeder möchte irgendwie auf eine Art berühmt sein und wenn wir dabei helfen können, ist das schön.“

Manche der Fotografen auf der EyeEm-Plattform haben heute mehrere 100 000 Follower und bekommen täglich unzählige Likes für ihre Fotografien. Und doch reicht das nicht mehr. „Die neue Währung auf unserem Markt wird das Glück sein, das Glück – ich habe ein Bild verkauft.“ Deshalb gibt es Fotowettbewerbe und -ausschreibungen von Firmen, und das ist einer der Gründe, warum sich EyeEm für einen eigenen authentischen Online-Marktplatz entschieden hat. Natürlich will EyeEm selbst auch Geld verdienen. Das sichert die Nachhaltigkeit und den Bestand des Unternehmens. Unabhängig sein, auch wenn sie die besten Geldgeber der Welt haben. „Es ist unser Baby, das gibt man nicht einfach ab, da achtet man darauf, welche Babysitter ran dürfen.“ Dafür arbeiten Gen Sadakane und seine Freunde mit dem ganzen Team gern rund um die Uhr und rund um den Globus. Das „EyeEm Photography Festival & Awards“ fand in diesem Jahr zum Beispiel in New York City statt. Aber auch das wird für Gen Sadakane nicht vordergründig sein.

Sein erstes eigenes gutes Foto auf EyeEm war übrigens ein orangefarbener Stuhl im Treppenaufgang des alten CIO Gebäudes, dem Postfuhramt. Wenn er nur eine Frage hätte, wäre die: Was war Ihres?   

Barbara Sommerer

64 - Herbst 2015