Der Mann, der für die Frauen steht

Bernd Schröder ist seit 1971 Trainer der Fußballerinnen von Turbine Potsdam. Nach 45 Jahren verlässt er im nächsten Sommer den Verein.

Der Mann will zum Abschied keinen Blumenstrauß. „Und auch nicht so einen silbernen Teller oder so was Ähnliches. Das habe ich dem Niersbach ganz deutlich gesagt“, legt Bernd Schröder kategorisch fest. Und wenn er das vom mächtigen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes fordert, dann muss das eingehalten werden.

Dabei ist Bernd Schröder einer, dem selbst die strengen britischen Hüter des Guinness-Buchs der Rekorde einen Eintrag nicht verweigern könnten. Kein Fußballtrainer auf der ganzen Welt hat einen Verein mehr und länger geprägt als der Mann, von dem alle Welt mittlerweile annimmt, dass er ein Ur-Potsdamer sei. Nach der Geburt in Travemünde, der frühen Jugend in Sachsen-Anhalt, dem Studium in Freiberg, der sportlichen Aktivität in Leipzig und dem Berufsbeginn in Potsdam übernahm er hier gleich das Traineramt einer noch nicht einmal existierenden Fußballmannschaft.

Um diesen Zeitabschnitt gibt es so viele Histörchen und Anekdoten, dass Schröder lieber selbst erzählt. „1971, ich war in leitender Position beim VEB Energieversorgung in Potsdam angestellt, hing ein Zettel an der Betriebswandzeitung. 40 Mädchen hatten eine Sektion Frauen-Fußball gegründet und suchten einen Trainer“, erinnert er sich. Den Rest muss der einstige Torwart von Lok Leipzig nicht hinzufügen. Seitdem ist der heute 73-Jährige für das Wohl und Wehe der Potsdamer Fußballerinnen verantwortlich.

Nun hat der gelernte Schlosser und studierte Diplomingenieur seinen Rücktritt nach der gerade beginnenden Saison angekündigt. Das empfinden viele so, als wenn Fidel Castro aus Kuba in die USA emigriert oder Elizabeth II. gemeinsam mit dem Papst zum Islam übergetreten wäre. Unmöglich! „Doch“, versichert Schröder und unterstreicht das mit einer eindeutigen Geste: „Ich hatte 45 Jahre Zeit und werde im nächsten Sommer ein bestelltes Feld hinterlassen.“ Deswegen wurde vor dieser Saison das Funktionsteam von Turbine Potsdam ebenso umgekrempelt wie der Stab der Trainer-Assistenten, die ab Juli 2016 allein klarkommen müssen. „Ich ziehe mich zurück. Wenn, dann richtig. Ich bin nicht mal sicher, ob ich noch viele Spiele der Mannschaft im Stadion anschauen werde.“

Bernd Schröder ist in seiner ewig währenden Amtszeit mehr als ein Übervater des Vereins geworden. Seine Anwesenheit, so fürchtet er, würde deshalb nach dem Rücktritt stets Spekulationen auslösen in der Art: „Schau mal, der Alte ist wieder da. Bald wird er das Ruder wieder übernehmen.“ Außerdem seien die Nachfolger dann womöglich beunruhigt und würden sich beobachtet fühlen. Das will Bernd Schröder nicht.„Man soll sich nicht so wichtig nehmen“, bemerkt er wie beiläufig, weiß aber, dass Turbine Potsdam in dieser Meisterschaft vor allem wegen seiner Rücktritts-Ankündigung unter besonderer Beobachtung steht. „Wir können mit Mannschaften wie dem VfL Wolfsburg und Bayern München nicht mithalten, sowohl was die individuelle Stärke der Spielerinnen als auch den finanziellen Hintergrund angeht. Die beiden Vereine haben sich richtig vollgesaugt“, beobachtet der Altmeister das Kräfteverhältnis. Aber klein beigeben wird Turbine nicht. „Wir setzen auf mannschaftliche Geschlossenheit und unsere familiäre Atmosphäre. Eine Spielerin, die zu uns kommt, muss für den Verein brennen, nicht nur für die Sache“, impft Schröder all seinen Kickerinnen, die seine Enkelinnen sein könnten, von Beginn an das Wir-Gefühl ein.

Nur so war Turbine Potsdam auch nach dem Ende des DDR-Fußballs eine Macht. Nach sechs Meistertiteln im Arbeiter- und Bauernstaat gewannen die Torbinen, wie sie sich selbst liebevoll nennen, auch sechs gesamtdeutsche Titel, wurden dreimal Pokalsieger und 2010 erster Gewinner der Champions League sowie fünf Jahre zuvor Triumphator im Vorläufer UEFA-Cup. Mit den Trophäen im renommierten DFB-Hallenpokal holte die Schröder-Mannschaft im vergangenen Jahrzehnt 19 große Titel.

Wenn alljährlich in den Medien steht, dass die Vereine des Ostens den Anschluss im Fußball verpasst hätten, verweist Bernd Schröder auf Turbine Potsdam. „Die Handballer des SC Magdeburg und wir sind die einzigen verbliebenen Leuchttürme aus der Ära der großen DDR-Mannschaften“, ist er ebenso traurig wie stolz. Besonders freut er sich dann, dass es trotz vieler Versuche von außerhalb gelungen ist, den Namen Turbine – in DDR-Zeiten Hinweis auf den Trägerbetrieb aus der Energiewirtschaft – beizubehalten. „Tradition wird in unserem Verein richtig großgeschrieben. Wir verleugnen unsere Vergangenheit nicht. Das kriegen die Mädchen sehr schnell mit“, sagt er und verweist darauf, dass Turbine mittlerweile der älteste Name der Welt für einen Frauen-Fußballverein ist.

Im Gegensatz zu den emporgekommenen Geld-Mannschaften bei den Frauen wie VfL Wolfsburg und Bayern München, die Schröder Jahr für Jahr die besten Spielerinnen weglocken, übt sich Turbine in Bescheidenheit und pflegt die Nähe zu den Fans. Mit Erfolg, denn der DFB weist die Potsdamerinnen nach jeder Saison als Zuschauer-Krösus der Bundesliga aus. Zu den stets mehr als 2 000 Besuchern im traditionsreichen Karl-Liebknecht-Stadion von Babelsberg zählen oft auch der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck, ein enger Freund Bernd Schröders, und der frühere DFB-Boss Theo Zwanziger, die beide Vereinsmitglied sind.

Mit Bernd Schröder verliert im nächsten Sommer nicht nur Turbine sein jahrzehntelanges Aushängeschild, sondern auch die Bundesliga ihr markantestes Gesicht. Der aktuelle DFB-Chef Wolfgang Niersbach sagt: „Mit Bernd Schröder geht ein ständiger Mahner vom Schiff, dem immer das Wohl des Frauenfußballs am Herzen lag.“ Und lachend zum Altmeister ergänzt er: „Du hättest auch ruhig mal was Positives über den DFB sagen können.“

Auch das zeichnet Schröder aus. Er war und ist ein Mann mit Ecken und Kanten, der seine Meinung immer klar formulierte. Legendär sind seine Zwistigkeiten mit der ebenfalls scheidenden Bundestrainerin Silvia Neid, die den Potsdamer zu einer Art moralischer Instanz des Fußballs werden ließen. Wobei von der Neid-Seite gestreut wurde, dass Schröder nach ihrem Job schiele. „So ein Blödsinn. Ich hatte in der DDR beruflich alle Freiheiten, um mich um den Sport zu kümmern. Jetzt habe ich das als Vorruheständler und später Pensionär weitergemacht und nie einen Pfennig Geld dafür bekommen.“ Schon deswegen sei die Annahme irrig, er schiele auf den Posten des Bundestrainers. „Ich werde mir doch mein eigenes Denkmal nicht zerstören“, lacht Bernd Schröder.

Dass er sich in zwölf Monaten langweilen wird, streitet der Trainer ab. „Ich habe so viele andere Interessen“, sagt er. „Und ich werde mal ein Buch schreiben. Keine Biografie, das wird nie passieren. Aber ich kenne so viele Geschichten aus dem Frauenfußball, die würde ich anderen gern mitteilen.“ Zu Hause wird ihm die Decke nicht auf den Kopf fallen. Für seine Frau, mit der er 47 Jahre verheiratet ist, wird es aber wohl eine Umstellung. „Vielleicht“, sinniert Bernd Schröder, „ist Ulrike nicht so begeistert, wenn ich hier aufhöre.“ 

Hans-Christian Moritz

 

64 - Herbst 2015
Sport