Ein Dorf in der Millionenstadt

Kladow könnte eine Insel sein. Am Hafen kommen Urlaubsgefühle auf. An einer immerhin 45 Meter langen Seebrücke macht ein Schiff fest. Eine Promenade mit Restaurants und Biergärten erwartet den Besucher. Am charmantesten zu erreichen ist der südwestliche Berliner Vorort tatsächlich mit der Fähre von Wannsee. Die AB-Fahrkarte der BVG genügt. Aber auch der Landweg über Spandau ist möglich. Kladow ist ein Teil Berlins. Dabei hat es noch viel von einem märkischen Fischerdorf. Kleine geduckte Häuser und enge Gassen um die alte Dorfkirche herum. 

Kladow nennt aber auch ein Schloss sein Eigen, genauer gesagt ein Gutshaus. Seit sich eine Bürgerstiftung um das Anwesen kümmert, ist es zu neuem Leben erwacht. Es gibt Lesungen und Konzerte, ein Café lädt ein. Der Abstecher hierher lohnt sich allemal, auch wegen der Geschichte, die sich an diesem Ort ereignete. Im Jahre 1800 baute David Gilly das Gebäude im klassizistischen Stil. Königin Luises Paretz grüßt aus der Ferne. Ähnlichkeiten sind nicht zufällig. König Friedrich Wilhelm III. hatte das Paretzer Gelände seinem Kabinettsrat Anastasius Ludwig Mencken überlassen. Torhäuser bilden den Eingang zum Gut. Der Kabinettsrat hatte nicht lange Freude an dem neuen Haus. Er starb bald darauf. Seine Tochter Wilhelmine Luise Mencken wohnte hier noch bis 1806. Später heiratete sie in die Familie Bismarck ein. Als Mutter von Otto von Bismarck erinnert eine Gedenktafel an sie. Der Gutshof wechselte daraufhin mehrfach den Besitzer – bis die Rüdersdorfer Unternehmerfamilie Guthmann das heruntergewirtschaftete Anwesen übernahm. Unter Johannes Guthmann wurde das Gutshaus Kladow zum Musentempel. Der Maler Max Slevogt und der Bildhauer August Gaul hinterließen hier ihre künstlerischen Spuren. Gerhart Hauptmann und Max Reinhardt gingen ein und aus. „Neu-Cladow wurde der Inbegriff von ‚Sonntag‘ überhaupt“, so Guthmann über diese Zeit. „Cladow – die Perle des Osthavellandes“, warb man anderswo für den Ort. 1924 wehrten sich denn auch viele Bürger gegen die Eingemeindung in Groß-Berlin. Vergeblich. Schließlich strich man dem Dorf 1930 auch noch das „C“ im Namen. Jetzt hieß es offiziell „Kladow“.

Zurück in der Gegenwart folgen wir der Imchenallee (benannt nach der kleinen Wannsee-Insel) in Richtung Osten, mit dem Ziel Sacrow. Es geht immer am Wasser entlang. Vorbei an imposanten Villen, meist hoch über dem See gebaut. Viele von ihnen stammen noch aus der Gründungszeit der Villenkolonie um 1900. Über den Sacrower Kirchweg und den Lüdickeweg erreichen wir schließlich ein sehenswertes Kladower Gartendenkmal: den direkt am Wasser gelegenen Fränkelschen Landhausgarten. Die Pfaueninsel gegenüber immer im Blick. Die gartenhistorische Nachbarschaft setzte hier wohl Maßstäbe. Ende der 1920er- Jahre wurde der Privatgarten für den jüdischen Bankier Dr. Max Fränkel vom Berliner Stadtgartendirektor Erwin Barth angelegt. Bekannt ist Barth unter anderen für seine Freiraum-Planungen in Charlottenburg und Wedding, darunter der Savignyplatz, der Lietzenseepark und der Volkspark Rehberge. In Kladow gestaltete er eine mehrfach gegliederte, terrassierte Gartenanlage, mit Rosengarten, Staudenbeeten und Obst- und Gemüsegarten. Später kamen ein Wasserfall, Teiche und ein Teepavillon hinzu. Nach verschiedenen auch artfremden Nutzungen, während der innerdeutschen Teilung gab es hier zum Beispiel eine Zollstation, ist für den Garten heute das Naturschutz- und Grünflächenamt Spandau zuständig. Seit Anfang der 1990er-Jahre wird er mit Mitteln der Denkmalpflege aufwendig wiederhergestellt. Noch in diesem Jahr sollen die umfangreichen Sanierungsarbeiten abgeschlossen werden. So lange auf dem Gelände gearbeitet wird, steht der Garten Besuchern offen.

Über die Sacrower Landstraße überqueren wir die Stadtgrenze und erreichen nach einem halbstündigen Fußweg Sacrow. Am Ortsausgang Kladow führt ein Weg hinunter zum See. Auf einem Waldweg geht es naturnah weiter. Das letzte Stück durch Sacrow, seit 1939 ein Ortsteil Potsdams, muss man jedoch auf der Straße laufen. Nach dem Schiffgraben ist es nicht mehr weit zum Schlosspark Sacrow. Dort gibt es ein kleines Schloss und am Port von Sacrow die Heilandskirche zu besichtigen. Diese 1844 nach Plänen Friedrich Wilhelm IV. von Persius im italienischen Stil gebaute Kirche ist ein wahres Kleinod inmitten der Potsdamer Schlösserlandschaft. Allein die Lage auf einer Landzunge an der Havel ist nur malerisch zu nennen.

Bevor wir den Rückweg nach Kladow antreten, ist eine Einkehr im traditionsreichen Restaurant Zum Sacrower See möglich. Am Kamin werden schnörkellose regionale Gerichte angeboten. Wer nicht den gleichen Weg zurückgehen möchte, dem empfiehlt sich die Route entlang des Sacrower Sees, durch den Königswald über den Mauerweg zurück nach Alt-Kladow. 15 Kilometer Wanderung sind am Ende zusammengekommen. Von Sacrow fährt aber auch ein Bus nach Potsdam.  

Karen Schröder 

 

64 - Herbst 2015