Kochen mit Biss – Berlins Sterneköchin Sonja Frühsammer

Sie ist Berlins einzige Sterneköchin. Stammgäste schätzen besonders die Frische und Aromentiefe ihrer Gerichte. 

Die offizielle Anerkennung als Sterneköchin im letzten Winter hat in der Restaurant-Szene große Wellen geschlagen. Die Freude war überwältigend. Schließlich hat sich die 45-Jährige die Ehrung mit der begehrten und wertvollen Trophäe des Gourmet-Führers Michelin zur ersten Berliner Sterneköchin hart erarbeitet. Sonja Frühsammer aber bleibt bescheiden und Interviewfragen beantwortet sie am liebsten ausweichend mit: „Dazu kann mein Mann bestimmt mehr sagen.“ – Ihr Ehemann Peter Frühsammer war 1985 der jüngste Sternekoch Deutschlands und hielt diesen Titel zehn Jahre lang. – Ihre Sache ist das Wirken und Erfinden am Herd. Das Neue lockt, die eigene Kreation. Aber seine Wirkung hat der Stern nicht verfehlt. „Man bekommt automatisch mehr Aufmerksamkeit, es bewerben sich die besten Mitarbeiter, man steht viel öfter in den Medien“, sagt sie. Und ergänzt fast schüchtern: „Und er ist natürlich auch sehr schön fürs Ego.“

Manchmal könnte man meinen, ein weiterer Stern – drei sind möglich, wenn auch sehr selten – könnte Berlins anerkannt beste Köchin mehr aus der Reserve locken. Doch Sonja Frühsammer parliert lieber mit Gerichten als mit Worten. „Das kann mein Mann viel besser erklären.“ In dieser Beziehung ergänzt sich das Ehepaar, das jenes Restaurant auf dem Gelände eines Tennisvereins am Flinsberger Platz seit einem Jahrzehnt bewirtschaftet, perfekt. Sie erhielt im November 2014 den Stern für ihre außergewöhnlichen Kochkünste, er in der gleichen Woche die Auszeichnung als bester Gastgeber der Hauptstadt. Den Gaumen verwöhnt Sonja, den Gast Peter Frühsammer, Das ist so eingespielt, dass die Stamm-gäste auf den etwa 50 bis 60 Plätzen dem nächsten Kartenwechsel förmlich entgegenfiebern, manche von ihnen kommen wöchentlich.

Die Auswahl ist dabei bewusst sehr übersichtlich gehalten. „Um richtig gut zu kochen, muss die Karte klein gehalten werden“, begründet Peter Frühsammer die jeweils vier Vorspeisen, Zwischen- und Hauptgerichte sowie Desserts. Auch wenn seine Zeit als Sternekoch etwas zurückliegt: „Ich war der Koch der 80er-Jahre, meine Frau perfektioniert mit einer unglaublichen Aromentiefe die moderne Küche.“ Und das von nun an nicht ohne Druck. Denn so ein prestigeträchtiger Stern wird im Gegensatz zu einem Olympiasieg nicht auf Lebenszeit verliehen. „Den muss ich nun jedes Jahr verteidigen“, weiß Sonja Frühsammer. Das Dumme dabei ist: Sie muss es jeden Tag und mit jedem Gericht tun. Denn sie weiß nie, wann einer der unangemeldet erscheinenden und unbekannten Tester sich ihre Kreationen schmecken lässt. Deswegen ist das Ehepaar froh, dass die Gäste im Stadtteil Schmargendorf durchaus kritisch sind. „Die sagen schon, wenn der Fisch eine Winzigkeit mehr hätte durch sein dürfen. Das kommt vor, denn meine Frau kocht gern grenzwertig, um möglichst viel Frische und Natürlichkeit zu erhalten“, sagt Peter Frühsammer. Alles muss den richtigen Biss haben und sich auf der Zunge so anfühlen wie Obst, das frisch vom Baum gepflückt wurde. Aber nicht immer geht er mit den Erfindungen seiner Frau konform. „Da servierte sie unseren Gästen doch als Vorspeise ein Dill-Eis. Wie geht denn das, wer soll das essen? Aber so dachte eben nur ich. Die Gäste sind ausgeflippt vor Freude und waren sauer, als es dann irgendwann nicht mehr auf der Karte stand.“ Manchmal kann er sich nur noch wundern. „Die Gäste sind eher zufrieden als ich“, stellt er fest. Vielleicht ist Frühsammers Restaurant gerade wegen der Ergänzung beiden Gastronomie-Talente so gelungen.

Die Mundpropaganda jedenfalls ist auf dem Höhepunkt. Und nur die führt in die Medien und darüber zur Aufmerksamkeit der Michelin-Tester. Aber Stammkundschaft ist für Sterneküchen – in Berlin gibt es davon gerade mal ein Dutzend und alle anderen elf liegen im Zentrum – nichts Besonderes. „Da müssen Sie überall reservieren. Einfach mal so gegen sechs überlegen und zum Partner sagen, heute gehen wir gut essen, das geht nicht. Da würden Sie nur mit viel Glück einen Platz bekommen“, ist Peter Frühsammer auch in Beobachtung der Konkurrenz auf dem Laufenden. Und den Hinweis, das Essen in so einem 

Restaurant muss man sich leisten können, wischt er mit einem Vergleich vom Tisch. „Überlegen Sie mal, was manche für Autos und Häuser ausgeben. Und, ohne Untertreibung, bei einem Viergänge-Menü für 84 Euro liegen wir im ganz unteren Bereich der Berliner Sterne-Restaurants.“

Dabei serviert man in Schmargendorf keinesfalls ausschließlich Miniatur-Kreationen auf übersichtlichen Tellern. „Die Hauptaufgabe eines Küchenchefs ist es immer noch, seine Gäste satt zu kriegen und nicht für die Galerie zu kochen“, weiß Peter Frühsammer. Deswegen ist sein Hang zur Sättigungsbeilage das Einzige, womit er seiner Frau „gerne mal ins Handwerk pfuscht“, wie er es selbst ausdrückt. Ansonsten überlässt er ihr die Herrschaft in der Küche, wo die in einer Betriebskantine gelernte Chefin an jedem Öffnungstag neben ihren Köchen selbst am Herd steht. Nur noch den Sitz der Preiselbeere auf dem ins Restaurant gehenden Teller zu korrigieren, das ist wohl ein Klischee.

Absolute Frische ist für das Sterneetablissement ein Muss. Sonja Frühsammer will wissen, wo ihre Ware herkommt und kauft nur bei vertrauenswürdigen Lieferanten. Bei der Zubereitung steht das Produkt im Mittelpunkt. „Ich finde, das gehört einfach zur guten Küche: Achtung vor dem, was man aus der Natur erhält und dem Gast vorsetzen will“, sagt sie und erwähnt, dass sie grundsätzlich nur Gerichte zubereitet, die sie selbst gern essen würde. „Männliche Sterneköche sind verliebt in ihre Teller, die die Küche verlassen. Sonja Frühsammers Teller wirken so, als ob sie gleich aus der Küche kommt und sich dazusetzt“, umschrieb es mal ein Restaurantkritiker.

Frische und Natürlichkeit hat sie auch zu Hause durchgesetzt, wo Gespräche über das Restaurant meist ausgeblendet werden. Zum Leidwesen des Gatten lagen die ganzen Tütensuppen eines Tages im Müll. „Wegen der Geschmacksverstärker, begründete meine Frau“, blickt Peter Frühsammer noch einmal weit zurück. Er kann genauso verschmitzt lächeln wie sie, wenn er raunt: „Aber ein paar Brühwürfel verstecke ich mir immer. Da gibt es eine kräftige Tasse nach dem Reiten“, schildert er den späten Vormittag, wenn das Ehepaar vom gemeinsamen Hobby auf dem Island-Pferdehof bei Beelitz kommt, wo es eine Pferdezucht betreibt.

Wenn Restaurantgespräche zu Hause auch meist tabu sind – Kochshows im Fernsehen schauen sich beide an. Nicht wegen der Zubereitung. „Es ist spannend, wie die anderen Profis mit Amateuren umgehen, ohne ins Fachchinesisch zu verfallen“, schöpfen sie Anregungen für die von ihnen selbst veranstalteten Kochkurse. Da gehören auch die neuesten Kochbücher zur Pflichtliteratur. Und wenn so intensiv gelesen wird, bleibt die Küche in der eigenen Wohnung manchmal kalt. „Da bestellen wir uns schon mal eine Pizza.“

Hans-Christian Moritz

 

 

64 - Herbst 2015