Bilanz einer Stadterneuerung

Mit der großflächigen Sanierung der Gründerzeit-architektur hat der Bezirk Pankow sein soziales Gefüge nachhaltig verändert.

Das Wort Sanierung bewegte viele Gemüter, am stärksten diejenigen, die davon betroffen sind. Als Anfang der 1990er Jahre der Berliner Senat behutsame Stadterneuerung zur Grundlage der Stadterneuerungspolitik erklärte, erinnerte das an die in Kreuzberg zehn Jahre zuvor eingeleitete Sanierungsoffensive. Für die Bewohner maroder Wohnungen im Ostteil war dies vor allem mit der Hoffnung auf mehr Wohnqualität verbunden. Das Ausmaß der Sanierungen unterschied sich allerdings erheblich: Während die Bilanz in Kreuzberg in den 1980er Jahren etwa 4000 erneuerte Altbauwohnungen verzeichnet, ging man allein im Teilbezirk Prenzlauer Berg von einem Bedarf von 80000 Sanierungen aus. Eine derart umfängliche heruntergekommene Bausubstanz zu modernisieren, war eine   enorme Herausforderung für alle Beteiligten. Das Mammutprojekt verlangte nicht nur erhebliche Fördermittel, eine schrittweise Aufwertung des Wohnungsbestandes würde selbstverständlich auch Auswirkungen auf Mieten und Bevölkerungsstruktur nach sich ziehen. So enthielt das Grundsatzdokument zur Stadterneuerung von 1993 bereits den Keim für einen Zwiespalt und die spätere sprichwörtliche Gentrifizierung: Einerseits sollte die Erneuerung der Altbausubstanz nur mit Eigentümerinvestitionen und privatem Kapital erfolgen, andererseits aber auch die Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigen. Dass dieser Spagat nicht aufgehen würde, zumal man nicht dauerhaft mit öffentlichen Fördergeldern rechnen konnte, die den Erhalt der bestehenden Bevölkerung weitgehend sichergestellt hätten, darüber gab es anfänglich kaum Zweifel. Deshalb legte der Senat sieben Sanierungsgebiete in allen drei Teilbezirken fest, in denen ein Modernisierungsförderprogramm zumindest teilweise einen gewissen Mieterschutz bieten sollte. Als dann allerdings in der Folge der Berliner Bankenskandal, veränderte Haushaltslage, die Kappung der Mietobergrenzen und letztlich die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen die Gesamtsituation in den Sanierungsgebieten gänz-lich änderte, konnte die Verdrängung einkommensschwacher Mieter nicht mehr aufgehalten werden.

So konstatieren Kritiker nach mehr als 20 Jahren Stadtsanierung: „Baulich erfolgreich, sozial gescheitert.“ Angesichts der in so kurzer Zeit wiederhergestellten Bausubstanz – in Prenzlauer Berg die Wohnquartiere Kollwitzplatz, Helmholtzplatz, Teutoburger Platz, Winsstraße und Bötzowkiez als über zehn Jahre lang größtes zusammenhängendes Sanierungsgebiet Europas, im Altbezirk Pankow die Wollankstraße sowie in Weißensee das Komponistenviertel – erscheint dieses Urteil freilich zu hart. Es lag in der Natur der Sache, dass es am Ende Verlierer geben würde. Immerhin investierte das Land Berlin über 850 Millionen Euro in die Pankower Stadtsanierung und der Bund unterstützte mit einer Milliarde Steuersubventionen sanierungswillige Hauseigentümer. Das Ergebnis ist eine zum Teil wunderschöne Gründerzeitarchitektur mit guter Wohnqualität in zentralen Innenstadtlagen und ansprechender urbaner Umgebung. Für Zuzügler aus ganz Deutschland und darüber hinaus geriet vor allem Prenzlauer Berg als „Szenebezirk“ mit einer ungewöhnlichen Dichte an Cafés, Kneipen, Restaurants, Clubs, Coworking-Büros, Fitness-, Koch- und Yogastudios, Bio- und Fahrradläden deshalb zeitweise zu einem wahren Sehnsuchtsort. Entsprechend hat sich die Bevölkerungsstruktur verändert. Die Fluktuationsquote von angeblich 70 Prozent in den 25 Jahren ist allerdings keinesfalls ausschließlich das Ergebnis sanierungsbedingter Verdrängung.

Inzwischen umfassen die Sanierungsgebiete rund 78000 Wohnungen mit 137000 Bewohnern, das ist etwa ein Drittel des Wohnungsbestandes im Großbezirk Pankow. Die Anziehungskraft der Sanierungsgebiete ist indes nach wie vor groß. Vor allem zieht es junge Familien und gut ausgebildete Berufseinsteiger in die attraktiven Kieze. Nach Aufkündigung des Sanierungsstatus 2015 und damit wegfallender Mietpreis dämpfender Maßnahmen war natürlich zu befürchten, sozusagen wieder ungeschützt dem inzwischen heißgelaufenen Wohnungsmarkt ausgeliefert zu sein. Um dem vorzubeugen, installierte der Bezirk Pankow eine sogenannte Umwandlungsverordnung. Darin wird das gesamte Sanierungsgebiet in zehn Erhaltungsgebiete aufgeteilt, in denen die Umwandlung in Wohnungseigentum antragspflichtig und nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Auch Luxussanierungen werden erschwert. Allerdings gilt diese Verordnung zunächst nur für eine Dauer von fünf Jahren. Wie es danach weitergeht, darüber kann natürlich auch die vom Bezirk herausgegebene großartige Publikation „Eine Stadt verändert sich. Berlin Pankow – 25 Jahre Stadterneuerung“ keine Auskunft geben. Dafür dokumentiert sie umfassend und kritisch den baulichen und sozialen Wandel in den Sanierungsgebieten mit vielen Fotos, Plänen und Statistiken.

Reinhard Wahren

 

Information
Eine Stadt verändert sich. Berlin Pankow –
25 Jahre Stadterneuerung
Herausgegeben vom Bezirksamt Pankow,
Abteilung Stadtentwicklung
Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH Berlin, 2015
ISBN 978-3-89479-932-8

69 - Winter 2017
Stadt