Im Stadtkern ist die Hölle los

Vergleicht man das Bauen in Berlin mit der Arbeit eines Chirurgen am menschlichen Körper, fällt auf, die operativen Eingriffe konzentrieren sich zur Zeit stark auf das Herz. Berlins Stadtkern wird von Endoskopen durchdrungen, von Klemmen zerdrückt, mit Pinzetten gepiesackt, mit Messern durchschnitten sowieso. 

Innerhalb des Stadtkerns konzentrieren sich 38 Projekte in bestimmten Bereichen nicht nur als reine Baustellen. Manche sind in Planung. Andere gerade fertiggebaut. Auch Denkmäler sind mit dabei, über deren Standorte gestritten wird. Und Stadtplätze, die neu entstehen. Und jetzt, ab durch die Mitte:

Auf der Museumsinsel wird das Pergamonmuseum umgebaut. Es erhält einen vierten Flügel und soll nach Bauverzögerung und Kostenanstieg 2023 fertig sein. Daneben entsteht die James-Simon-Galerie als zentraler Eingang in die unterirdische archäologische Promenade, die alle fünf Museen erschließt. Die Verkehrsverwaltung hat im September angekündigt, das Umfeld der Museumsinsel aufzuwerten, so auch die Straße Am Kupfergraben, die teilweise aus Kopfsteinpflaster besteht. Sie wird erneuert. Der Unternehmer Ernst Freiberger saniert auf der anderen Seite der Insel mit dem Forum Museumsinsel sieben denkmalgeschützte Gebäude zwischen Spree und Oranienburger Straße und belebt dadurch die Verbindung zwischen Spreeinsel und Spandauer Vorstadt. Auch das Berliner Traditionsunternehmen Siemens profiliert sich als Anrainer der Museumsinsel. Es baut seine Firmenrepräsentanz mitten im Garten vom Magnus-Haus und wirkt dabei wie der Elefant im Porzellanladen. Das Gebäude mit Garten ist ein denkmalgeschütztes barockes Stadtpalais, das es in Berlin so kein zweites Mal gibt.

Nach sieben Jahren sind endlich die Bauarbeiten an der Staatsoper beendet. Das macht zwar eine Baustelle weniger in Mitte, aber vom Bebelplatz Richtung Osten häuft sich das Baugeschehen. Das Opernpalais wird saniert, von dem es heißt, Bauherr sei Springer-Chef Mathias Döpfner. Der lässt die Berliner zappeln und verschweigt bislang, was aus dem Gebäude werden soll. Die Luxus-Appartments der Kronprinzengärten sind fast fertig. Völlig fertig ist die Friedrichswerdersche Kirche, und zwar in dem Sinne, dass sie zur Baustelle gemacht wurde und gelitten hat. Daran waren die Tiefgaragen der Kronprinzengärten schuld. Sie brachten die Kirchenfundamente zum Wackeln. Jetzt stützen Gerüste Schinkels Bauwerk auf unbestimmte Zeit von innen. Eintreten bleibt ein Traum. Arme Kirche: Auf der anderen Seite baut die Frankonia Eurobau Wohn- und Geschäftshäuser am Schinkelplatz. Durch den Wiederaufbau entsteht auch der Werdersche Markt als Stadtplatz neu. Prominenteste Anrainerin wird hier die Bauakademie. Der Ideenwettbewerb für den langersehnten, 62 Millionen teuren Wiederaufbau läuft, die Jury entscheidet im April. Über das Freiheits- und Einheitsdenkmal auf der anderen Seite des Spreekanals ist hingegen entschieden. Der Bundestag bestätigte den umstrittenen Bau im Sommer, nachdem das Projekt im wahrsten Sinne des Wortes ins Schaukeln geraten war. Die begehbare Plattform, die sich neigt, wenn sich eine kritische Masse an Besuchern auf eine Seite begibt (offizieller Titel: „Bürger in Bewegung“), wird genau vorm Berliner Schloss platziert. Es ist immer noch Berlins beste Baustelle, bei der man im Kosten- und Zeitplan liegt. Erste Barockfassaden sind vom Baugerüst befreit. Vom Lustgarten sind sie zu sehen. Wenn das Schloss als Humboldt Forum 2019 eröffnen wird, werden die Bauarbeiten in der Nähe aber weitergehen. Nicht wundern: Der U-Bahnhof Museumsinsel der Linie U5 braucht ein bisschen länger.

Die Linie der „Kanzlerbahn“, die vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor gebaut wird, bringt noch eine weitere Bahnhofsbaustelle mit sich. Für den neuen U-Bahnhof Berliner Rathaus wurden die Reste der bei den Bauarbeiten freigegrabenen Tuchhalle des alten Rathauses zerstört. Keine schöne Geschichte. Nur weil in Berlin immer alles schnell gehen muss. Vier Denkmäler stehen auf dem Rathausforum, der Freifläche zwischen Spree und Fernsehturm. Das Marx-Engels-Denkmal ist wegen der Baustelle der BVG an die Karl-Liebknecht-Straße gerückt. Wo es in Zukunft stehen soll, ist nicht sicher. Das Luther-Denkmal ist zum Reformationsjubiläum vor die Marienkirche zurückgekehrt. Hier stand Luther seit Ende des 19. Jahrhunderts, allerdings auf einem Sockel und mit Begleitfiguren. Ein zweiter Neuzugang in der Nähe ist das Denkmal für Moses Mendelssohn. Micha Ullmann („Bibliothek“ auf dem Bebelplatz) hat auf  der Basis eines historischen Fotos die Fassade des kriegszerstörten Hauses wie ein Schattenbild auf den Boden projiziert. Der Aufklärer, der mit 14 Jahren als Jude nach Berlin kam, wohnte hier. Zwischen Marienkirche und Rathaus steht der Neptunbrunnen. Auch er ist in der Diskussion, vielmehr sein Standort. Mit dem Bau des Schlosses wird auch der Wunsch bei vielen stärker, den ehemaligen Schlossbrunnen, der er war, zurück zum Schlossplatz zu bringen. Zwar hatte der Bund dafür Geld zugesagt, aber das Land Berlin hat bislang nichts dergleichen entschieden. Alle genannten Projekte sind Teil des schon erwähnten Rathausforums. Für dieses große Areal beschloss das Abgeordnetenhaus 2016 zehn Bürgerleitlinien, die das Ergebnis einer ganzjährigen Stadtdebatte mit Bürgern, Architekten und Stadtplanern waren. Es soll ein Stadtraum für alle sein, mit öffentlicher Nutzung und viel Grünfläche. Ein städtebaulicher Wettbewerb, wie er noch im Koalitionsvertrag von Rot-Schwarz 2011 geplant war, ist damit vom Tisch.

Rund um den Alex entstehen vor allem Hotelneubauten. Mit dem Motel One an der Grunerstraße ist das erste, 60 Meter hohe und mit 708 Zimmern größte der Marke in Europa schon fertig. Ins „Volt Berlin“ (südlich vom „Alexa“ und der Voltaire-Straße), wo nach ursprünglichen Plänen mit Surfing und Skydiving das Einkaufen zum Erlebnis gemacht werden sollte, zieht ein Hotel der Lindner-Gruppe. Südlich vom „Volt“ kommt The Student Hotel, für das entlang der Alexanderstraße auf einer Fläche von 17 000 Quadratmetern 457 Zimmer für Studenten errichtet werden. Nördlich vom „Volt“ baut dagegen ein niederländischer Investor mit dem „Grandaire“ ein klassisches, von Chicago inspiriertes Wohnhochhaus von 65 Metern Höhe und mit 269 Wohnungen. Der Bau eines Hotels nördlich des Panorama-Hauses an der Karl-Liebknecht-Straße wird gerade in zweiter Instanz vor Gericht verhandelt. Eine Baugenehmigung gibt es hier schon seit 2012. Das Panorama-Haus landet gewissermaßen im Hinterhof. Soweit zu den konventionellen Projekten. Doch der Alexanderplatz wird Hochhausstandort. Und die ersten zwei (von insgesamt neun geplanten) 150 Meter hohen Türme befinden sich auf dem Weg der Verwirklichung.

Am Alexa baut nach Plänen des Architekturbüros Ortner & Ortner das russische Unternehmen Monarch, und am Saturn-Gebäude hat sich das US-amerikanische Unternehmen Hines für Entwürfe von Frank O. Gehry entschieden. Nicht nur die Skyline des Stadtkerns verändert sich. Es ist die Skyline Berlins. Nachdem die Hochhauspläne am Alex vom Senat überarbeitet worden sind, entstehen auch neue Stadtplätze: „Vorm Haus des Reisens“ und „An der Markthalle“ sind die ersten Projekte, an deren Gestaltung auch die Berliner mitwirken können. Die Senatorin für Stadtentwicklung Katrin Lompscher (Linke) hat angekündigt, die Stadtdebatte vom Rathausforum weiterzuführen und die Bürger mitentscheiden zu lassen.

Eher klein, aber fein erscheinen drei Projekte am Märkischen Museum. Mit dem Metropolpark bauen die Architekten Axthelm Rolvien die expressionistische AOK-Zentrale zu Apartments um. Bis zu 370 Quadratmeter werden die Eigentumswohnungen groß, manche Räume haben eine Deckenhöhe von 6 Metern. Gleich gegenüber ist mit dem Tod der Stadtbären Maxi und Schnute die Geschichte des legendären Bärenzwingers abgelaufen. In den nächsten zwei Jahren wird über eine neue Nutzung des denkmalgeschützten Gebäudes diskutiert, es laufen auch Austellungen. Um den schlecht angebundenen Köllnischen Park aus seinem Schattendasein zu befreien, gibt es auch Entwürfe des Architekten Detlev Kerkow für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Waisenbrücke. Auf der To-do-Liste des Senats erscheint sie aber bis auf Weiteres leider nicht.

Schließlich verändet sich auch das Zentrum Alt-Cöllns. Nach dem Abriss des DDR-Bauministeriums und den archäologischen Grabungen ensteht an der Breiten Straße ein ganzer Block neu. Das sanierte Kaufhaus Hertzog ist Teil davon. Am Petriplatz nebenan kommt der Neubau des Archäologischen Zentrums, von dem aus ein Informationswegesystem geplant ist, das durch die Altstadt führt. Aufsehen erregt hier vor allem aber das House of One. Das interreligiöse Gotteshaus, das Kirche, Synagoge und Moschee in einem sein soll, ist mittlerweile zu einem Projekt des nationalen Städtebaus prämiert worden. Selbst die Fischerinsel ist vor Bauaktivitäten nicht mehr sicher. Zwar sind die Pläne nach Protesten der Anwohner für ein Hochhaus abgesagt worden, doch die Ecke an der Grunerstraße, wo im Moment noch ein tiefes Loch klafft, bekommt auf jeden Fall einen neuen Block. 

Zwei umfangreiche Projekte dürfen nicht unerwähnt bleiben. Beim Projekt Molkenmarkt wird die Grunerstraße nach Norden an die Rückseite des Rathauses verschwenkt und Bauland gewonnen. Zweieinhalb Berliner Blöcke erwachsen so dem Klosterviertel. Und das Flussbad Berlin, der Ort, an dem Berlin bald baden gehen könnte, zieht sich entlang des Spreekanals vom Märkischen Museum an Alt-Cölln vorbei bis zur Museumsinsel.

André Franke

 

73 - Winter 2018
Stadt