Kein steriles Geschäftsviertel

Das Gleisdreieck in Kreuzberg ist ein Berliner Mythos und hat seit seiner Entstehung Künstler und Literaten fasziniert. Die ursprüngliche Industrielandschaft mitten in Berlin steht auch für Schnelligkeit und den Wandel der Stadt. Ein großes Areal um das Gleisdreieck besteht aus letzten innerstädtischen Brachflächen. Nun ist eines der größten citynahen Bauprojekte in Planung. Auf 43 000 Quadratmetern, die sich vom U-Bahnhof Gleisdreieck entlang der ICE-Trasse in Richtung Süden erstrecken, sollen sieben trapezförmige Hochhäuser entstehen. Investor ist die Copro-Immobiliengruppe.

Am Beginn stand ein internationaler städtebaulicher Wettbewerb mit insgesamt 22 renommierten Architektur- und Stadtplanungsbüros. Ende 2015 standen die Gewinner fest. Ortner & Ortner Baukunst sowie COBE Berlin teilten sich den ersten Preis. Sie überzeugten die Jury mit ihren Plänen für ein modernes lebendiges Stadtquartier mit Rücksicht auf Identität und Geschichte des Ortes. Zum einen ist es die Nähe zu den historischen Bahntrassen, zum anderen die zum neuen Parkgelände Gleisdreieck.

Markus Penell, Gesellschafter von Ortner & Ortner zu der besonderen Herausforderung für sein Büro: „Aus den urbanen Bezügen und Verbindungen entsteht in einem dichten Ensemble vielfältiger Baukörper und öffentlicher Räume ein Stadtviertel eigener Prägung: markant und gemischt, aber auch durchlässig und luftig zum Park.“ Nach einer mehrmonatigen Überarbeitungsphase hat sich der Projektentwickler entschieden, den Masterplan von Ortner & Ortner weiterzuverfolgen. „Der Entwurf setzt genau das um, worauf es auch der eingebundenen Öffentlichkeit ankam: Es entsteht ein eigenes Quartier, das aber einen Brückenkopf zu den umliegenden Vierteln bildet“, sagt Architekturprofessorin Dörte Gatermann, die als Juryvorsitzende mit in die Entscheidungsfindung einbezogen war. So wird bei Ortner & Ortner nicht so stark in die Höhe gebaut wie beim Mitbewerber vorgesehen. Die Planungen lassen sich flexibel an die Bedürfnisse der Nutzer anpassen. Die Sockelzone ist städtebaulich hervorgehoben und so ein Bezug zum denkmalgeschützten U-Bahnhof Gleisdreieck hergestellt. Auch Sichtachsen zur Kirche am Askanischen Platz stärken die Einbindung in das Stadtumfeld.

Geplant ist die „Urbane Mitte“ als reines Büro-, Gewerbe- und Dienstleistungsquartier. Anfangs waren auch Appartements vorgesehen, doch wegen des bahnbedingten Lärms wurde die Idee wieder verworfen. Dennoch, ein Hotel wäre denkbar. Gedacht ist außerdem an Startups, an Handwerksbetriebe und Künstler. Für Letztere soll an der Luckenwalder Straße ein Atelierhaus zu bezahlbaren Mieten errichtet werden. Eine Kunst- und eine Sporthalle sollen dazukommen.

Die bislang unzugänglichen Bahnviadukte sollen öffentlich genutzt werden können und dem Gebiet zusätzlich Flair verleihen. Es soll kein steriles homogenes Geschäftsviertel werden, dies ist ausdrücklich erwünscht. Das hat nicht zuletzt die Bürgerbeteiligung ergeben. Aufenthaltsqualität ist in dem Zusammenhang ein wichtiger Faktor. Hier setzt auch die Kritik einiger Anwohner an. Sie fürchten unter anderem zu viel Schatten im angrenzenden Park.

Kritische Fragen gibt es auch zum Verkehrskonzept. Autostellflächen seien zwar geplant, aber gedacht ist, dass die meisten Beschäftigten mit der Bahn oder dem Fahrrad zur Arbeit fahren würden, heißt es dazu von Investorenseite. Gerade auf ein fahrradfreundliches Umfeld lege man deshalb großen Wert. In der Erdgeschosszone sollen Einzelhandel, Gastronomie sowie Sport- und Kultureinrichtungen entstehen, gerade auch für die Anwohner. Marc F. Kimmich, geschäftsführender Gesellschafter des Projektentwicklers und Haupteigentümers Copro, verweist außerdem darauf, dass noch längst nicht alle Pläne gemacht sind:  „Auch in Abstimmung mit den künftigen Nutzern wird es hier noch Anpassungen und Ergänzungen geben, die Gebäude werden ja schließlich jeweils individuell von unterschiedlichen Architekturbüros geplant.“

Bis 2025 soll das Projekt realisiert sein. Bis dahin ist eine Pioniernutzung des Geländes vorgesehen. Dafür steht unter anderem das Brauhaus Brlo, stylisch aus Hochseecontainern zusammengesetzt. Gerade in der wärmeren Jahreszeit ist der Biergarten überaus beliebt. Gleisdreieck wird immer mehr zum Ausgehviertel.

Karen Schröder

 

73 - Winter 2018
Stadt