Auf Zeitreise in Jüterbog

Jüterbog ist nicht Jüterbog. Die Altstadt und die Kasernenstadt Jüterbog II trennen Welten. Dazu kommen sieben eingemeindete kleinere Orte. Kloster Zinna ist der bekannteste unter ihnen. Insgesamt 12 311 Einwohner zählt die Kommune. Als zweitälteste Stadt Brandenburgs (nach Brandenburg an der Havel) reicht Jüterbogs Geschichte bis ins späte Mittelalter hinein. Das zeigt der historische Stadtkern mit seinen Backsteintürmen, Resten der Stadtmauer und mittelalterlichen Kirchen. Im ehemaligen Mönchenkloster im Stadtzentrum ist heute ein Kulturquartier mit Theater, Bibliothek, Stadtmuseum und -archiv untergebracht.

Im Zentrum mit Markt und Rathaus aus dem 13. Jahrhundert gibt es einige Cafés und Restaurants. Die junge Jüterbogerin Janine Dienemann betreibt das Traditionshaus „Die Förste“ und das „Markt1“. Mit liebevoller Einrichtung, einem ausgesuchten Speiseangebot und selbst gebackenem Kuchen stehen beide Cafés für ein frisches und gastliches Jüterbog. „Immer wieder besuchen uns auch Radfahrer und Skater, die auf dem Fläming-Skate unterwegs sind“, sagt die Gastronomin und studierte Betriebswirtin. Sie freut sich über die zunehmende Gästezahl und möchte aus Liebe zur Stadt hier etwas bewegen.

Die imposante gotische Nikolaikirche ist ein weiterer wichtiger Anlaufpunkt für Besucher. Neben der reich ausgemalten Taufkapelle und dem Flügelaltar ist die gewaltige spätromantische Orgel eine Attraktion. Eine Gelegenheit, sie zu hören, sollte man nicht auslassen. Der sogenannte Tetzelkasten in der Taufkapelle ist mehr als eine große hölzerne Geldtruhe. Er steht für ein besonderes Kapitel Kirchengeschichte, denn religionsgeschichtlich entwickelte sich Jüterbog in der frühen Neuzeit zu einem Hotspot. Hier betrieb der berühmt berüchtigte Dominikaner Johann Tetzel seinen Ablasshandel. So habe der Kirchenmann sogar Ablass für noch nicht begangene Sünden verkauft. 1517 sollen Tetzels Ablasspredigten in der Jüterboger Nikolaikirche Martin Luther mit zu seinen Reformthesen bewegt haben. Wittenberg ist nur 50 Kilometer entfernt. Zwischen den Vertretern des alten und des neuen Glaubens entbrannte damals ein regelrechter Kanzelkrieg. Auf einem Stadtrundgang zu den historischen Schauplätzen ist das lebendig nachzuvollziehen. Der Stadtführer, als Tetzel verkleidet, trägt den Geldkasten unter dem Arm. Der Priester und Ablasshändler gehört als Bad-Guy zweifellos zum Stadtmarketing. Der Radweg zwischen Jüterbog und Wittenberg nennt sich so auch Luther-Tetzel-Weg.

Jüterbog, das ist im Wortsinn vermintes Gelände bis heute. Wenn es im Wald nahe der Stadt brennt, traut sich oft nicht einmal die Feuerwehr hinein. Zuviel alte Munition im Boden, heißt es dann. Lange Zeit befand sich hier der größte Truppenübungsplatz Deutschlands. Jüterbogs Vergangenheit ist zum großen Teil Militärgeschichte, angefangen vom alten Preußen über die Kaiserzeit, die Nazizeit und die sowjetische Besatzungsgeschichte. Heute gelten all die militärischen Hinterlassenschaften je nach Sichtweise als Altlasten oder spannende Lost-Places. Gruselfaktor eingeschlossen. Militärfans aus ganz Deutschland zieht es zu den alten Hangars, den kaiserlichen Kasernen, in die Bunker. Altes Lager, Neues Lager, Lager III heißen die riesigen Militärareale rings um die Stadt. In der Nähe des Bahnhofs befindet sich der Stadtteil Jüterbog II, eine ehemalige Kasernenstadt, die ihren Ursprung im Kaiserreich hat und dann in den 1920er- und 1930er-Jahren erweitert wurde. Die Militärgeschichte in Jüterbog II beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Ausbau des Schießplatzes und damit die Ansiedlung einer ständigen Garnison. In viele der alten Kasernen ist mittlerweile wieder ziviles Leben eingezogen und sie gelten als erfolgsversprechendes Entwicklungsgebiet der Stadt. Über 1 000 Menschen leben mittlerweile dort. Weil die Mieten günstig sind, zieht es vor allem junge Familien und Haushaltsgründer an. Zudem ist Jüterbog II Teil des Förderprogramms Soziale Stadt des Bundes. Ganz in der Nähe führt auch der Fläming-Skate entlang, dessen Streckennetz etwa 230 Kilometer umfasst und von dem aus sich skatend, radelnd oder wandernd das Baruther Urstomtal und der Niedere Fläming erkunden lässt.

Karen Schröder

 

81 - Winter 2020