Die Ofenstadt Velten will wieder eigene Kacheln herstellen. In den meisten Berliner Wohnungen gehörten sie zum Inventar, sie wurden in Öfen verbaut oder dienten als Wandverkleidungen der Berliner U-Bahnhöfe – Kacheln aus Velten waren allgegenwärtig. Wegen der reichen Tonvorkommen siedelten sich seit 1835 Keramikfabriken in der Umgebung an. Mit der Entwicklung der weißen Schmelzglasur wurde die Veltener Kachel um 1900 berühmt und schließlich auch weltweit exportiert.
Die Gründerzeit hatte viele Menschen nach Berlin gezogen, die alle wohnen und heizen mussten. Seinerzeit erreichte Velten den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Es gab fast 40 Ofenfabriken mit über 2 000 Beschäftigten. Der benötigte Ton wurde in den nahegelegenen Pötterbergen abgebaut und mit Loren in die Fabriken transportiert. Velten trägt heute den Namenszusatz Ofenstadt, auch wenn es keine produzierende Ofen-Fabrik mehr gibt. Aber schon im Jahr 1905 wurde das erste Ofenmuseum in der Stadt gegründet. Es ist damit das älteste und größte dieser Art in Deutschland. Die Sammlung beinhaltet Öfen des 16. bis 20. Jahrhunderts aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. Eine Welt tut sich auf und schnell wird klar: Ofengeschichte ist Kulturgeschichte. Einzigartig ist zum Beispiel der prachtvoll blau-weiß verzierte Stockelsdorfer Ofenaufsatz von 1775. Er ist das letzte in dieser Art bemalte Exemplar der berühmten norddeutschen Fayencemanufaktur, das weltweit noch existiert. Etwas Besonderes ist auch die Nachbildung eines Frührenaissanceofens aus dem 19. Jahrhundert, dessen Kacheln Darstellungen aus der biblischen Geschichte enthalten.
Ein Schwerpunkt wird im Museum auf die Veltener Ofenbaugeschichte gelegt. Dank eines engagierten Fördervereins konnte das Ofen- und Keramikmuseum 1994 mit dem alten Bestand auf 850 Quadratmetern in der Ofenfabrik A. Schmidt, Lehmann & Co im Dachgeschoss wiedereröffnet werden. Das stattliche Ziegelgebäude ist ein Glücksfall. Hier wurde bis 2016 noch produziert. Authentischer könnte ein Ausstellungsort nicht sein. Zudem eröffnet es adäquate Möglichkeiten für die geplante Erweiterung des Museums, bei der unter anderem die Produktionsprozesse der Ofenfabrik wieder aktiviert werden.
Doch zuvor sind umfangreiche Sanierungsarbeiten notwendig. Zu Beginn des Jahres konnten sich die Verantwortlichen des Museums über einen Förderbescheid in Höhe von 1,2 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm "Investitionen für nationale Kultureinrichtungen in Deutschland" freuen. „2021 steht bei uns ganz im Zeichen des Themenjahrs von Kulturland Brandenburg 'Zukunft der Vergangenheit - Industriekultur in Brandenburg', zu dem wir weitere Räume der historischen, denkmalgeschützten Kachelofenfabrik für die Öffentlichkeit zugänglich machen möchten", sagt Nicole Seydewitz, Leiterin des Museums. Weitere Teile des historischen Maschinenparks sollen reaktiviert werden, sodass es bald wieder "rattert und knattert" im Museum, fügt sie hinzu.
Neben den Öfen sorgte einst die Baukeramik für volle Auftragsbücher. Auf diesem Gebiet tat sich vor allem der Veltener Keramikunternehmer Richard Blumenthal hervor. Die Ausstellung dokumentiert, wo überall Veltener Keramik verbaut wurde. Dabei handelte es sich nicht nur um Kacheln, sondern auch um Ornamentik und Figurenschmuck. So wurden Entwürfe unter anderen von Max Taut, Erich Mendelssohn und Alfred Grenander baukeramisch umgesetzt. Gerade expressionistische Architektur bediente sich gern keramischer Elemente. Man denke nur an die imposante Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin-Wilmersdorf, für die das Blumenthalsche Unternehmen tätig war.
Eng verbunden war Velten auch mit dem Wirken Hedwig Bollhagens, eine der bekanntesten Keramikerinnen des 20. Jahrhunderts. Hier trat sie ihre erste Stelle an, und vor den Toren der Stadt in Marwitz gründete sie 1934 ihre eigenen Werkstätten. In ihren Erinnerungen pries sie das "keramische Klima" der Stadt. So bot sich natürlich das Ofen- und Keramikmuseum an, als ein Platz für den keramischen Nachlass gesucht wurde. Er umfasst etwa 1 600 Objekte und ist dem Förderverein Ofen- und Keramikmuseen Velten e.V. als Leihgabe von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz übergeben worden. Ziel sind sowohl die Inventarisierung als auch die öffentliche Präsentation im eigens hierfür gebauten Hedwig-Bollhagen-Museum. Vor gut fünf Jahren war der moderne Bau eröffnet worden.
Karen Schröder
Information
Velten liegt am Beginn der Deutschen Tonstraße, die ins Ruppiner Land führt. Unweit von Velten in Marwitz liegen die Hedwig Bollhagen Werkstätten mit Werksverkauf