„Aber Kunst ist es doch“

Im Theaterbau des Charlottenburger Schlosses eröffnete im Herbst das Kollwitz-Museum neu. Es sind mit etwa 100 Werken ein Drittel mehr Arbeiten zu sehen als zuletzt in der Fasanenstraße, darunter Radierungen, Lithografien, Bleistift-, Kreide- und Kohlezeichnungen sowie Bronzen. Das neue Domizil ist barrierefrei erreichbar und gebäudetechnisch modern ausgestattet. 300 Quadratmeter hat das Museum derzeit zur Verfügung, und es sollen noch mehr werden.

Was würde Käthe Kollwitz sagen? Nach 36 Jahren in der vornehmen Fasanenstraße residiert ihr Werk nun noch vornehmer in Schlossnähe. Als zwischenzeitlich Neukölln als Standort des neuen Käthe-Kollwitz-Museums im Gespräch war, war man versucht zu sagen: Das passt. Nun also Charlottenburger Schlossambiente. Zum musealen Umfeld liefert das Motto der neuen Dauerausstellung „Aber Kunst ist es doch“ den passenden Hintergrund, ein selbstreflektierender Satz von Käthe Kollwitz, die sich als Künstlerin oft zu sehr auf das Soziale reduziert sah. Museumsdirektorin Josephine Gabler geht es in der neuen Schau darum, „die Werke von Käthe Kollwitz in einen Zusammenhang zu stellen und so einen möglichst breiten Überblick über ihr Gesamtschaffen zu geben.“ Noch ist der Theaterbau des Charlottenburger Schlosses eine Baustelle. Das ganze Gebäude ist bis nächstes Jahr eingerüstet und mit einer Plane verhüllt. Voraussichtlich 2024 soll das Kollwitz-Museum in das erste Obergeschoss des Theaterbaus umziehen. „Dann haben wir auch wieder Platz für Sonderausstellungen“, freut sich Josephine Gabler.

Hatten die Räumlichkeiten in der Fasanenstraße den Museumsleuten zuletzt nur noch Probleme bereitet, im Charlottenburger Theaterbau hängt das Werk von Käthe Kollwitz thematisch gut aufbereitet und professionell ausgeleuchtet. Der Rundgang folgt dabei dem Lebensweg der Künstlerin, von ihrer Jugend im ostpreußischen Königsberg über die frühen Berliner Jahre bis zu den beiden Weltkriegen. Einzelne Räume sind dabei in Themenfelder gegliedert: Das Frühwerk, Stilwechsel, Aktdarstellung, Bilder vom Elend, Der Erste Weltkrieg, 1920er-Jahre, Tod.

Die soziale Frage hatte die Künstlerin früh gepackt. 1898 nahm sie erfolgreich an der Großen Berliner Kunstausstellung teil und zeigte dort ihre Radierfolge zum Schlesischen Weberaufstand. Von da ab kannte man die sozialkritische Künstlerin, auch wenn Kaiser Wilhelm ihr die Medaille seinerzeit verweigerte. Das Erlebnis der umstrittenen Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Schauspiel „Die Weber“ hatte Käthe Kollwitz einige Jahre zuvor sehr ergriffen. Schlüsselszenen des Dramas finden sich in den grafischen Arbeiten wieder. Dabei holt sie die historische Handlung ganz bewusst in die Gegenwart, denn die sozialen Missstände waren auch um 1900 noch überaus aktuell. Im neuen Museum ist ihr Weber-Zyklus komplett zu sehen, so dass sich eindrücklich die dramaturgische Spannung entfalten kann. Auch später war es oft Literatur, die Käthe Kollwitz inspirierte.

Soziale Verwerfungen, Armut, Krieg und Tod – das sind die Themen, die vor allem mit dem Namen Käthe Kollwitz in Verbindung gebracht werden. Doch auch mit Aktdarstellungen hat sich die Künstlerin zeitlebens beschäftigt. Gerade nach ihren beiden Parisaufenthalten 1901 und 1904 hat sie sich zunehmend mit dem nackten menschlichen Körper auseinandergesetzt. Die Begeisterung für die beiden französischen Bildhauer Auguste Rodin und Aristide Maillol mag dazu beigetragen haben. Seit 1904 arbeitete Käthe Kollwitz ja auch selbst figürlich. Kunst für die Künstlerin jedoch nie Selbstzweck. So ist die soziale Frage auch in vielen ihrer Aktdarstellungen präsent wie auf dem Blatt „Frau mit totem Kind“ von 1903. Hier wird die Nacktheit zum Ausdrucksmittel, um Trauer und Schmerz Gestalt zu geben.

Käthe Kollwitz ist in Kriegszeiten so aktuell wie lange nicht. In der Nacht des 23. November 1943 verlor sie in der Weißenburger Straße im Prenzlauer Berg durch einen Bombenangriff ihr Zuhause. Käthe Kollwitz selbst war zu dieser Zeit im thüringischen Nordhausen in Sicherheit, trotzdem traf sie die Nachricht sehr. Schließlich waren auch unzählige Zeichnungen, Grafiken und Druckplatten den Flammen zum Opfer gefallen. Heute heißt die Straße Kollwitzstraße und ein Denkmal erinnert an die große deutsche Künstlerin. Käthe Kollwitz, die ihren Sohn Peter im Ersten Weltkrieg verlor, war überzeugte Pazifistin. Seit 1993 erinnert eine vergrößerte Kopie ihrer wohl bekanntesten Skulptur in der Berliner Neuen Wache an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft: „Mutter mit totem Sohn“ aus dem Jahr 1938/39. Ein Guss in der kleineren Originalfassung steht im Kollwitz-Museum Berlin.

Karen Schröder

 

91 - Winter 2022/23
Kultur