Mit Johann Erdmann Hummel hat die Alte Nationalgalerie einen der außergewöhnlichsten und unkonventionellsten Maler des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt.
Warum ein begnadeter Maler in Vergessenheit geraten kann, hat sicher viele Gründe. Veränderter Zeitgeist, Unverständnis gegenüber neuen Ausdrucksformen, mangelnde akademische Anerkennung, das Fehlen der öffentlichen Wahrnehmung mangels Ausstellungen und Publikationen, um nur einige zu nennen.
Johann Erdmann Hummel, zu Lebzeiten durchaus erfolgreich und anerkannt, war vielleicht seiner Zeit zu weit voraus, sodass ihn schließlich die Kunstwelt, nach seinem Tod 1852 in Berlin, nahezu vergaß. Erst 1906 erwarb Hugo von Tschudi drei seiner Werke 1906 für die Nationalgalerie. Die eigentliche Wiederentdeckung erfolgte allerdings erst 18 Jahre später durch Ludwig Justi mit einer „Gedächtnis-Ausstellung“ für den Maler wiederum in der Nationalgalerie.
Doch nun, hundert Jahre später, musste er offensichtlich erneut wiederentdeckt werden, um nicht zum zweiten Mal in Vergessenheit zu geraten und dann vielleicht für immer. Ihn angemessen mit einer großen Ausstellung zu würdigen und seine Bedeutung hervorzuheben, war für die Nationalgalerie deshalb mehr als fällig und der Kuratorin Birgit Verwiebe hoch anzurechnen.
Denn Johann Erdmann Hummel ist der einzige Maler seiner Zeit, der die Wahrnehmung des Sichtbaren in den verschiedensten Spiegelungen erforschte: ob in reflektierenden Materialien oder polierten Oberflächen. Dabei fanden seine „gemalten Spiegelungen“ in vielen seiner Bilder ihren Ausdruck. Das vielleicht noch bekannteste Bild, „Die Granitschale im Berliner Lustgarten“ von 1831 zeigt dies am eindrucksvollsten. Von Karl Friedrich Schinkel ursprünglich für das Innere der Rotunde des Museums vorgesehen, wurde die Schale aus einem Granitblock in den Rauenschen Bergen bei Fürstenwalde gemeißelt und in Berlin fertiggeschliffen und poliert. Das Bild zeigt einerseits die gewaltige Schale als technisches Meisterwerk, andererseits Hummels Ambition für optische Phänomene: An der glänzend geschliffenen Außenwand spiegeln sich die Lustgartenbesucher, im Schalenboden steht verzerrt die Berliner Gesellschaft Kopf. Mit derartigen Spiegelungen gelingt es Hummel, den Bildraum nach außen zu erweitern, gleichzeitig aber auch das Interesse des Betrachters auf Ungewohntes, Rätselhaftes im Bild selbst zu richten. Insofern wirken manche seiner „Spiegelbilder“ gleichsam real und surreal. Aber auch in seinen Landschaftsdarstellungen und Figurenbildern finden sich immer wieder Spiegelungen und Reflexionen in Parkanlagen, Straßenpfützen, Glasscheiben, am Himmel.
Damit könnte Johann Erdmann Hummel gänzlich aus seiner Zeit gefallen sein, wäre da nicht sein gesamtes Werk, das jetzt in der Ausstellung in der Alten Nationalgalerie mit 45 Gemälden und 50 Zeichnungen zu sehen ist und die Einzigartigkeit des Künstlers offenbart. Das Bild „Gesellschaft in einer italienischen Locanda“ beispielsweise inspirierte E.T.A. Hoffmann zu der Erzählung „Die Fermate“. Hier wiederum war es die ungewöhnlich lebendig wirkende Darstellung der Szene, die Zeitgenossen zugleich begeisterte und verblüffte. Die fast starr und bewegungslos wirkenden Bildnisse und Figurenbilder erinnern mit ihrer fast fotografischen Deutlichkeit beinahe an den Realismus der 1920er-Jahre. Und Hummel malte so präzise, dass seinen Figuren in ihrer Eindringlichkeit immer auch etwas Rätselhaftes innewohnt, und sie so eine Magie des Augenblicks erzeugen. So wie E.T.A. Hoffmann inspirierte das Bild auch Joseph von Eichendorff zu einer Szene in seinem Roman „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Derartig „lebende Bilder“ hat kein anderer Maler jener Zeit geschaffen.
Hummel, 1789 in Kassel geboren, kam 1800 nach Berlin und erhielt neun Jahre später eine Professur für Perspektive, Optik und Architektur an der Berliner Akademie der Künste. Ebenso unterrichtete er an der Kunst- und Gewerbeschule. Seine Publikationen zur visuellen Wahrnehmung waren damals auch international richtungsweisend. Zwischen 1802 und 1848 zeigte er regelmäßig seine Werke auf den Berliner Akademieausstellungen. Seine Begeisterung für optische Phänomene verleihen ihm Modernität: Sich selbst immer wieder zu spiegeln, sei es in Fotos, im Internet oder in Selfies, als würden wir uns in einem großen Spiegeluniversum befinden, ist so aktuell wie nie zuvor. Insofern reicht die Kunst Hummels sogar bis in unsere Zeit.
Reinhard Wahren
Information
Magische Spiegelungen –
Johann Erdmann Hummel
Bis 20. Februar 2022
Alte Nationalgalerie
Bodestraße 1-3, 10178 Berlin