Anlässlich seines 90. Geburtstages sind im Grafischen Kabinett der Neuen Nationalgalerie erstmals die Künstlerbücher Gerhard Richters in einer Sonderausstellung der Kunstbibliothek versammelt. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil seines umfassenden Werkes und geben Aufschluss über das Selbstbild einer der bedeutendsten deutschen Künstlerpersönlichkeit.
Gemeinsam mit der Tate Modern in London und dem Centre Pompidou in Paris sind es gleich drei große Museen, die das Werk des Malers Gerhard Richter vor 10 Jahren nacheinander würdigten. Das zeigte die große Wertschätzung des auch international gefeierten bedeutenden deutschen Künstlers. Die große retrospektive Ausstellung Panorama in der Neuen Nationalgalerie fiel dabei fast genau auf seinen 80. Geburtstag.
Nun, anlässlich seines 90. Geburtstages, unternimmt die Kunstbibliothek mit einer Sonderausstellung im Grafischen Kabinett der Neuen Nationalgalerie den Versuch, anhand seiner Künstlerbücher Richter weniger als Maler mit seinen Bildern, sondern ihn in der künstlerischen Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Werk zu zeigen. Denn seine zahlreichen Künstlerbücher sind für das Verständnis seiner Arbeit von unschätzbarem Wert. Sie sind für ihn wie ein Experimentierfeld, um die Grenzen der Malerei auszuloten und zeigen, woraus neue Bildmotive entstehen.
In seinem umfangreichen Werk stellt sich Richter im Grunde nur eine Frage: Was kann Malerei ausdrücken? Dabei kommt es Richter vor allem auf das Sehen an, auf die Suche nach dem Bild oder Ereignis hinter dem Bild. „Ein Bild kann uns helfen, etwas zu denken“, so Richter im Jahre 2002. Zwangsläufig ist auch das Deuten von Bildern nicht Richters Sache und er überlässt das getrost anderen. Er könne seine Bilder nicht in Worte fassen. Ein Bild, das man erklären müsse, sei seiner Meinung nach kein richtiges Bild.
Umso schwerer fällt die Einordnung seiner Bilder, zu vielschichtig und wechselhaft ist sein Gesamtwerk. Aufschluss und Erhellung versprechen hingegen seine Künstlerbücher, in denen der Autor Richter gewissermaßen als Kommunikator zwischen sich und seinem Publikum vermittelt, und die Einblicke in Ausgangspunkt und Wesen seines Schaffensprozesses gewähren.
So ist die Sonderausstellung, eingeführt vom großen abstrakten Bild „Atelier“, dreiteilig gegliedert. Das Bild des Künstlers thematisiert Richters künstlerische Haltung, wie er sich jeder Festlegung auf ein Image entzieht und wie er den gesellschaftlichen Erwartungen an einen Künstler mit Ironie und Humor begegnet.
Im Themenbereich „Das Bild der Fotografie“ ist das Foto Richters Arbeits- und Experimentiergrundlage. Der fotografischen Reproduktion einer künstlerischen Arbeit, etwa eines Ölbildes, wurde in den 1960er-Jahren jede Bedeutung abgesprochen. Gerhard Richter sah darin allerdings eine Möglichkeit, durch Vervielfältigen oder Übermalen Distanz zum Bildmotiv aufzubauen, um das Gleiche anders sehen zu können. In seinen Künstlerbüchern wird genau diese Arbeitsweise deutlich, beispielsweise von einem kleinen abstrakten Ölbild 128 Einzelbilder, aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen, in einem Künstlerbuch abzudrucken. Seit 1980 entstanden die Serien mit übermalten Fotografien. Anlässlich einer Ausstellung in Sils Maria fanden sie erstmals in einem Künstlerbuch Verwendung. 1981 erschien das Künstlerbuch „Eis“ mit Fotografien von Eisbergen, Schneefeldern und Wolken von einer Reise in die Arktis. Im Künstlerbuch „Patterns“ dient dagegen ein abstraktes Bild von 1990 als Vorlage, woraus am Ende ein Zufallskaleidoskop ornamentaler Muster entsteht. Oder aber er verwendet eigene Fotografien von Landschaften, Orten und Menschen für eine Künstlerausgabe der Welt anstelle der Pressefotos, um letztlich unser Bild von der Gegenwart zu hinterfragen.
Der dritte Abschnitt der Ausstellung „Das Bild des Zufalls“ ist der kalkulierten Zufälligkeit im Werk von Gerhard Richter gewidmet. Um neue Bildmotive zu finden, experimentiert er beispielsweise im Künstlerbuch „Wald“ mit Bild, Text und Zufallsgenerator. Am Ende entsteht eine beliebige Bildstruktur des Zufalls. Es sind „kontrollierte Operationen“, die aber durchaus auch in den Zufall eingreifen. Als wichtige Inspirationsquelle dabei nennt Gerhard Richter die Kompositionen von John Cage: „Ich höre Page beim Malen.“
Sämtliche Künstlerbücher sind im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König in Köln erschienen.
Wer sich intensiver mit der Gedankenwelt und der Arbeitsweise Gerhard Richters auseinandersetzen möchte, ist in der Sonderausstellung gut aufgehoben.
Reinhard Wahren
Information
Gerhard Richter. Kunstbücher
Bis 29. Mai 2022 im Grafischen
Kabinett der Neuen Nationalgalerie
Kulturforum, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin