Nordische Märchen

Die finnische Mythologie besagt, dass die Welt aus den sieben Eiern eines Entenvogels entstanden ist, die auf den Knien der Göttin der Lüfte Ilmatar abgelegt wurden, herunter fielen und im Urmeer zerbrachen. Mindestens so phantasievoll sind die Dessins des finnischen Designers und Illustrators Klaus Haapaniemi. Ob auf Seide, Papier oder Porzellan – all seine fabelhaften Tiere, Pflanzen und Formen sind von der Natur inspiriert. Jedes Muster ist ein nordisches Märchen.

Berühmter noch als bisher in Deutschland ist Klaus Haapaniemi in seiner finnischen Heimat und längst auch in Großbritannien. Auch die Japaner lieben seine Bildsprache. Außerdem verleiht er seit Jahren den strengen Porzellanformen von Iittala mit dem Muster „Taika“ einen zauberischen und verspielten Auftritt. Dornenvogelprinzessinnen und Eulen mit prächtigen Schleppen tummeln sich auf weißen und burgunderroten Tassen und Tellern.

Haapaniemi macht aber vor allem auch Mode und schafft Textiles zum Wohnen, seit er 2002 mit seiner Frau Mia Wallenius einen eigenen Lifestyle-Brand gründete. Für die Finnische Nationaloper hatte er 2015 Bühne und Kostüme zur tschechischen Oper „Das schlaue Füchslein“ entworfen. „In Italien arbeitete ich für Diesel“, erzählt er und bleibt bescheiden. Stoffe für Marimekko oder Dolce & Gabbana kamen hinzu. Klaus Haapaniemi ist der stille Star unter den nordischen Designern.

Seine neueste Mode-Kollektion zitiert die Magie eines uralten Baumes. Sie ist allen Frauen gewidmet, die sich den tiefen Geheimnissen und Kräften der Natur verbunden fühlen. Alle Kleider, Hosen, Röcke, Kimonos und Mäntel wirken edel und lässig zugleich. Frauen aller Altersklassen könnten hineinschlüpfen. Eisblau mit Kristallen übersät und dabei so raffiniert wie schlicht gelangen ihm Abendkleider, Blusen mit Schößchen und Röcke. Auf einem schwarzen locker fließenden Entwurf prangen Eisvögel und frostige Polarschlösser. Haapaniemi setzt seine Entwürfe in Seide, Seidensatin oder Seidentwill um. Manchmal kommt auch Baumwolle hinzu.

„Wir sind freundlich zur Natur und produzieren giftfrei in Europa“, das ist ihm wichtig. Diesmal in Estland.

Trotz seiner starken Bilderwelten wirkt jedes Teil wie ein Understatement. Seine Muster sind wahre Mysterien, hinreißende Suchbilder. Nicht immer erkennt man auf Anhieb die kleinen Eulen oder Eisbären, die eine Performance auf schwerer Seide vollführen. Die ganze Phantasiewelt des polaren Kosmos kann man auf Sweatshirts, Kaftanen, Blusen und Minikleidern erkunden. Es ist, als läse man in einem Kinderbuch oder dringe ein in die Wunderwelt des Waldes. Auf nachtschwarzem Grund leuchten Baumfrüchte. Spinnengleiche bleiche Blüten wachsen. Alles ist von einem zimtroten verschlungenen Netz aus Ranken durchzogen. Auf einigen seiner Entwürfe für Interior ziert seine Hauskatze Putte schrill oder verschmust manches Kissen. Oder Fasanen stehen im Rhabarber. „Da muss ich in Tampere bloß aus dem Fenster gucken“, sagt Klaus. „Dort schießt der Rhabarber hoch und die Fasanen gehen spazieren.“ Nein, Idole habe er eigentlich nicht, fühle sich aber dem Briten William Morris, dem Begründer der Arts-und-Crafts-Bewegung, und dem österreichisch-schwedischen Architekten Josef Frank nahe.

In Tampere steht das Großvater-Haus, in dem der 1970 in Helsinki geborene Enkel aufwuchs. Heute gehört es ihm und Mia Wallenius, der Artdirektorin im gemeinsamen Unternehmen. Zusammen wohnen sie in einem Kreuzberger Loft. „Die Stadt ist sehr inspirierend. So viele kreative junge Menschen auf einem Fleck. So viele verschiedene Künste und Galerien!“ Aber von der Natur Finnlands können beide nie genug bekommen, fahren darum immer mal wieder hin. Berlin ist die Basis, aber in Helsinki ist der Firmensitz des Unternehmens, das Großvater-Haus.

In Helsinki schuf Haapaniemi für den Wintergarten des Hotel St. George viel bewunderte Wandbespannungen. „Lightnings in Tigerwoods“ heißt das Dessin auf Seide und verführt zum Drüberstreichen. Seltsame Gestalten, Lianen, Medusen und andere amorphe Wesen ziehen den Betrachter in eine Welt moosigen Grüns nordischer Wälder, dorthin wo die Phantasien von Klaus Haapaniemi wohnen.

Inge Ahrens

 

88 - Frühjahr 2022
Kultur