Schinkel trifft Fontane

Als Theodor Fontane 1819 geboren wurde, war Karl Friedrich Schinkel bereits auf dem besten Weg, zum bedeutendsten Baumeister seines Jahrhunderts zu werden. Obwohl beide Neuruppiner sind, trägt die Stadt als Beinamen den des Apothekers, Journalisten und Romanschriftstellers: Fontanestadt Neuruppin – nicht den des berühmten Architekten: Beide sind sich nie begegnet, hätten sich aber glänzend verstanden, davon ist Autor Reinhard Wahren überzeugt. Ein fiktives Gespräch:

Schinkel: In einer Apotheke geboren und selbst Apotheker, welch Glück für Sie!

Fontane: Warum Glück?

Schinkel: Immer das passende Arzneimittel im Haus, ich wäre glücklich darüber gewesen. Mein strapaziöses Leben, ständig auf Inspektionsreise zu sein, auf unwirtlichen Baustellen zu jeder Jahreszeit, hat meiner Gesundheit arg geschadet. Oft fehlte die passende Arznei. Schließlich kam meine tödliche Krankheit zu früh. Ich hatte noch große Pläne.

Fontane: Eine schwere Krankheit hätte auch mich fast dahingerafft. Geholfen haben mir allerdings nicht Pillen aus der Apotheke, sondern ein kluger Arzt, der mich wieder zur Arbeit, zum Schreiben drängte. Aber Gesundheit ist, wie vieles, ein weites Feld.

Schinkel: Zu Ihrer Berühmtheit aber haben Ihre letzten Lebensjahre schon beigetragen, oder?

Fontane: Auch Berühmtheit ist ein weites Feld, mein lieber Schinkel. Wenige Jahre nach meinem Tod wollte niemand mehr meine Romane lesen. Kurt Tucholsky, ein später berühmt gewordener Kollege, hat 1919 mein Schreiben als leicht angestaubt bezeichnet. Und sogar hier in Neuruppin interessierte sich kurz nach meinem Tod kaum jemand für mich. Dass sich meine Geburtsstadt jetzt gar mit meinen Namen schmückt, empfinde ich deshalb fast wie ein Wunder, zumal ich mir die Frage stelle, von wem meine Romane heute noch gelesen werden. Ihre Werke dagegen – Verzeihung –Ihre Bauwerke, lieber Schinkel, kann dagegen heute noch jeder sehen und bewundern.

Schinkel: Aber mit einem Denkmal haben die Neuruppiner Sie schließlich doch noch geehrt – kein Grund nachtragend zu sein.

Fontane: Ihnen hat man aber ein würdigeres Denkmal hingestellt. Aufrechtstehend, jung und voller Tatendrang hat der Max Wiese Sie auf einen schönen Sockel gestellt, Sie können zufrieden sein.

Schinkel: Das Drumherum wäre nicht nötig gewesen und …

Fontane: … mich hat der Wiese scheinbar nur als einen nicht mehr jungen Wanderer gesehen, obwohl ich gerade im Alter meine beste Phase hatte. Ich könnte über mein Denkmal sauer sein.

Schinkel: Ich aber auch, denn ich habe immer die Pfarrkirche im Blick.

Fontane: Ein schöner Bau doch, warum die Abneigung?

Schinkel: Stets eine Kirche vor Augen, die ich so nicht gebaut hätte.

Fontane: Es gibt übrigens noch ein zweites Denkmal, besser gesagt eine etwas despektierliche Skulptur von mir, hier in Neuruppin an der Seepromenade, eine Persiflage, heißt es.
 
Schinkel: Das ist doch nach Ihrem Geschmack, nicht wahr?

Fontane: Sie haben recht. Ohne einen feinen Beisatz von Selbstironie ist jeder Mensch mehr oder weniger ungenießbar. Es passt durchaus zu mir, ich war im Grunde ein Hallodri, wie man so sagt. Immer auf dem Sprung, rastlos und mit meinem Leitspruch: Mir ist die Freiheit Nachtigall. Eine feste Anstellung war mir stets zuwider, nur leider oft notwendig.

Schinkel: Wem sagen Sie das! Im Grunde meines Herzens bin auch ich ein Künstler, der seine Freiheiten braucht. Doch bauen konnte ich nur als preußischer Beamter. Und vergessen Sie nicht: Ich hatte eine große Familie, die ernährt werden wollte.

Fontane: Da saßen wir im selben Boot. Mein spielsüchtiger Vater verlor nicht nur seine Apotheke, er gab mir wenig Halt und hat mir auch seine ständigen Geldsorgen vererbt. Aber er war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wenn ich in meinen Romanen lese, ist es mir mitunter, als höre ich meinen Vater sprechen. In der Schule oder von meinen Hauslehrern habe ich dagegen kaum etwas Wichtiges gelernt.

Schinkel: Meinen Vater habe ich leider nicht bewusst kennengelernt. Er starb, als ich Kind war. Offensichtlich hatten wir beide nicht die beste Kindheit. Aber in puncto Schulunterricht rennen Sie bei mir offene Türen ein, wie man heute sagt. Ich habe das Graue Kloster in Berlin ohne Abschluss verlassen. Abgesehen von den gedanklichen Ausflügen nach Italien dort, habe ich ebenfalls keine guten Erinnerungen daran. Gott sei Dank habe ich früh bei den Gillys zu meiner Berufung gefunden.

Fontane: Da sind Sie nur zu beneiden. Mich muss man als Spätzünder bezeichnen. Meine Laufbahn begann als Apotheker, führte über Korrespondententätigkeiten in preußischen Diensten zum Fontane als wanderndem Zeitungsschreiber und erst spät, sehr spät, zu mir selbst, zum Romanschriftsteller.

Schinkel: Besser spät als nie und Ihre Stadt liegt Ihnen zu Füßen. In ganz Brandenburg, und natürlich in Berlin, ehrt man Sie mit Ausstellungen und Veranstaltungen, wie kaum einen Romanschriftsteller aus unserem Jahrhundert. Und Sie werden wieder gelesen.

Fontane: Höre ich etwas Neid aus ihren Worten?

Schinkel: Mitnichten, lieber Fontane, es sei Ihnen von Herzen gegönnt. Ich vermisse nur meine Arbeit, vermisse, nicht mehr tätig sein zu können. Heute zu bauen, würde mich schon sehr reizen. Ich sehe zu viel Historisches, zu wenig Neues. Denkmalpflege ist löblich, ich habe mich zu meiner Zeit immer dafür eingesetzt, aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen sollten auch die Bauten Schritt halten.

Fontane: Mich faszinieren die heutigen Frauen. Sie sind so gar nicht vergleichbar mit denen in meinen Romanen. Sie kennenzulernen, über sie zu schreiben, dafür würde ich alles geben.

 

79 - Sommer 2019
Kultur