Im bosnischen Konjic ist das Möbelschnitzen eine Volkskunst. Skandinavische und englische Gestalter geben den Exponaten der Firma ZANAT einen neuen Auftritt.
Rund vierzig Kilometer südwestlich von Sarajewo in Bosnien-Herzegowina liegt die Stadt Konic in einer Art Korridor in den Falten der Berge. Die Neretva rauscht unter einer alten osmanischen Steinbrücke mitten durch die Ansiedlung und weiter durch das besser bekannte nahe Mostar bis hin zum Adriatischen Meer. Über dem Ort ragt der Prenj als Teil der Dinarischen Gebirgskette. Himalaja des Balkans wird er hier genannt. In der schmalen Ebene am Fluss breitet sich eine Art Industriegebiet aus.
Hier hat auch ZANAT seinen Sitz. Solange die Erinnerung reicht, ist es für seine bäuerliche Schnitzkunst bekannt. Zanat bedeutet Handwerk. Seit mehr als hundert Jahren hat dort die Möbelmanufaktur der Familie Niksic ihren Sitz. Von den Brüdern Adem und Orhan in vierter Generation, heute unter dem Namen ZANAT geführt, entstehen dort handgearbeitete Einrichtungsgegenstände mit einzigartigem Schnitzwerk in alter Tradition. Die Arbeiten des Urgroßvaters Gano Niksic werden längst in Museen zur Schau gestellt. Doch mittlerweile haben Designer, wie die Schwedin Monica Förster, der Finne Harri Koskinen und gerade erst die Britin Ilse Crawford, die bosnischen Künste entdeckt. Ihre strikten und reduzierten Entwürfe bringen das pointiert eingesetzte dekorative Kunsthandwerk zu neuer Geltung.
In den Werkhallen duftet es süß nach Holz. Sägen kreischen. Es riecht angenehm nach Leim, Öl und Wachs. An den Wänden hängen Schablonen früherer Kunststücke wie Ikonen.
Kirsche wird hier verarbeitet. Walnuss, Eiche, Esche, Nadelbaum und andere Hölzer mehr aus den umliegenden Gärten und aus Wäldern der Region werden zu Möbeln aller Art. In einer Halle sitzen Männer konzentriert über Werkstücke gebeugt, zeichnen Vorlagen auf Papier oder schneiden freihändig mit Beitel und Hohlmeißel die typischen Mulden ins Holz, fügen sie zu Blüten, Schuppen, Rinnen und Wellen.
An einem Extratisch sitzt stolz und zufrieden Orhans und Adems Vater Besim an seinem Werkstück. Bei aller Modernität, die seine Söhne jetzt nach Konjic gebracht haben, ist der über Achtzigjährige glücklich, dass das alte Handwerk respektiert wird. Warum sollte er also zuhause sitzen und sich langweilen? Sohn Orhan, der während des 1991 ausgebrochenen Jugoslawienkrieges im westlichen Ausland studierte und Karriere als Wirtschaftswissenschaftler machte, war von Heimweh geplagt. Er kehrte mit neuen Ideen zurück und startete mit Bruder Adem das Familienunternehmen unter dem Namen ZANAT neu.
Heute hält die erfolgreiche schwedische Gestalterin Monica Förster weniger als fünf Prozent am Unternehmen und ist außerdem Kreativdirektorin. In Zusammenarbeit mit den Brüdern Niksic und den Kunstschnitzern ist sie stilprägend. Sie entwirft eigene Kollektionen wie ihre Designkollegen. „Wir wollen auf lange Sicht mit einem kleinen ausgewählten Kreis moderner Gestalter arbeiten“, da sind sich Adem und Orhan Niksic einig.
Die Elemente von alter Handwerkskunst und modernem Design gehen eine wunderbare Verbindung ein. Das Crossover der Kulturen tut beiden gut. Im ZANAT-Atelier am Flussufer von Konjic, das gleichzeitig Orhans Elternhaus ist, stehen die gewaltigen dunkel lackierten alten Schönheiten mit reichem Schnitzwerk neben den naturbelassenen und bloß geölten oder gewachsten modernen Möbeln. Maßvoll eingesetzte Spuren des kunstvollen Handwerks geben ihnen einen besonderen Kick und etwas ganz und gar Einmaliges.
Monica Försters Unna Chair gibt es in 15 verschiedenen Hölzern. Er hat eine weich geschwungene Sitz- und Rückenmulde, und die muschelgleichen Kerben in der Lehne sind ein Hingucker. Harri Koskinen entwarf einen Tisch mit gebeiteltem Schmuckrand und kleinen Vertiefungen samt passenden Schalen sowie einen Schrank, dessen sanfte Einkerbungen an beiden Türen diese beim Schließen wie einen Reißverschluss erscheinen lassen.
Ilse Crawford kreierte taktile Möbel, deren feine Oberfläche man erfühlen soll. Aber auch heimische Designer wie Jasna Mujkic oder der Architekt Emir Salkic, der einen schlichten Kabinettschrank baute, gehören zum Kreis der neuen Entwerfer.
Das Bäuerliche hatte seinen besonderen Schliff ins Kunstvolle erst bekommen, als Bosnien 1878 nach bald fünf Jahrhunderten türkischer Herrschaft unter habsburgische Verwaltung geriet. Die Österreicher erkannten die Schönheit. Sie bildeten die Handwerker aus. Orhan erzählt, dass im Ethnografischen Museum der serbischen Hauptstadt Belgrad ein ganzes Zimmer voller Möbel aus der Manufaktur seiner Familie stehe. Außerdem könne man im Nationalmuseum von Sarajevo einen Schreibtisch und einen Kleiderschrank aus der Hand seines Großvaters anschauen.
Heute sind es meist Araber oder Diplomaten, die es nach Sarajevo verschllägt und die ganz vernarrt in die alten Möbel sind. Junge Menschen begeistert der Mix aus modernen Designs mit ein paar Tupfern aus der alten Zeit. Orhans ganzer Stolz ist, dass die bosnische Schnitzkunst kürzlich als Immaterielles Kulturerbe von der Unesco ausgezeichnet wurde.
Inge Ahrens