Wie man anrichtet, so isst man. Ohne das richtige Geschirr geht allerdings gar nichts.
Tom Elstermeyer in Osnabrück hält alle Fäden in der Hand. Er ist nicht nur Chef im eigenen Restaurant. Elstermeyer bestimmt auch, von welchen Tellern seine Gäste speisen. Er töpfert sie eigenhändig und bietet mittlerweile als Teil seines Restaurantkonzeptes im „Iko“ Kurse für alle Interessierten an, die ihr persönliche Gedeck gestalten möchten. Ein bisschen Einzigartigkeit muss schon sein.
Alles ist in Bewegung. Das ist im Kulinarischen nicht viel anders als in der Mode. Der Zeitgeschmack zeigt sich im Stil. Wie sehen wir aus? Was essen wir? Wie ist es angerichtet? Und auf welchen Tellern? Der letzte Schrei ist vielstimmig, wenn nicht gar vielfarbig. Die Küchenschränke einiger ausgezeichneter Köche europaweit ähneln inzwischen einer exquisiten Flohmarktsammlung. Tante Annas Leidenschaft für Sammeltassen in den Fünfziger Jahren findet zwei Generationen später ihre Fortsetzung auf andere Art.
Pure Eleganz wirkt auf Dauer leicht fad. Eintönigkeit war gestern. Nun sind beileibe nicht alle Chefs ihre eigenen Kunsthandwerker. Mindestens aber lassen sie das exklusive Tafelgeschirr nach ihren Vorstellungen fertigen. Regional total als produktbezogene Dauerschleife und Garant für Qualität ist längst nicht mehr ausreichend, um zu bestehen. Die persönliche Note wird einfach stärker betont, wenn der Koch auch noch selbst an der Scheibe steht. Alles aus einer Hand ist die Devise.
Appetit kommt schließlich beim Betrachten. Erst dann wird gegessen. Niemand weiß das besser als Frauke Koops. Die Grande Dame der Foodstylistik als Frau mit dem besonderen Gespür für Qualität und Schönheit gestaltet schon seit 1966 kulinarische Fotomotive für Magazine und Bücher. So manchem großen Koch stand sie hilfreich zur Seite und richtete ihm die Teller. Noch vor dreißig Jahren ging’s hauptsächlich ums Essen. Die Ästhetik kam später.
Über Jahrzehnte hinweg hat Frauke Koops viele Chefs kennen gelernt und so manches Tafelgeschirr kommen und gehen gesehen. Während anfangs Kreationen von Rosenthal und Konsorten noch unter mächtigen satt machenden Portionen ächzten (man erinnerte sich noch gut an die mageren Kriegszeiten), seien die Mengen heute endlich glaubwürdig, herrsche eher ungezwungene Heiterkeit beim Verzehr. „Heute kriegt man Appetit beim Betrachten der Teller“, freut sich Frauke Koops. „Bei Ottolenghi möchte man doch gleich reinbeißen.“ In das Darunter und das Obendrauf.
Noch bis vor kurzem legte die Keramikmeisterin und Gestalterin Stefanie Hering mit ihrem erlesenen Biskuitgeschirr das einzig erfreuliche Design weit und breit vor und war damit stilprägend in vielen Restaurants auf der ganzen Welt. Das ändert sich gerade. Ein Tellerbeben hat begonnen. Manch einer der Köche will sich bloß abgrenzen von seinen Mitstreitern mit neuem Geschirr. Ausgebremst von Covid entdeckten andere ihre gestalterischen Fähigkeiten fürs Tellerdesign.
Yotam Ottolenghi, der britisch-israelische Koch, der mit immer neuen Kochbüchern und mediterran-levantinischen Rezepten die Küchenmauern zwischen Morgen- und Abendland längst eingerissen hat, serviert jetzt auf Gute-Laune-Tellern aus Steingut. Mit dem italienischen Künstler Ivo Bisignano schuf er bunte, lachende wie von Picasso hingetuschte Gesichter und eine abstrakte azurblaue Linie. Die Gockel markierenden neuen Vasen erinnern an historische sizilianische Keramik. Fröhlich geht es zu bei Ottolenghi, dafür fein und rustikal bei Sergio Herman. „Ich kreiere selbst!“ Die Kollektion „Surface“, die der niederländische Spitzenkoch und Inhaber von vier Restaurants auf den Tisch und wie Ottolenghi durch das Unternehmen Serax unter seine Fans bringt, spiegelt mit ihrer narbigen Oberfläche die raue Natur Seelands wider, während das feinere „Inku“ an Versteinerungen und Muschelkalk denken lässt. Die flandrische Nordseeküste ist ihm ständige Inspiration. Lang war die Reise Deutschlands vom kulinarischen Niemandsland ins Schlemmerparadies und zurück zu den Wurzeln. Das Porzellan zog mit. Die überdimensionierten flachen polierten schwarzen und weißen Teller sowie die gewaltigen Glasquader, auf denen anno Krug das Dessert serviert wurde, — alles passé. Für Frauke Koops war die Präsentation einfach nur überzogen. „Die gewaltige Ästhetik erdrückte den Geschmack.“
Sie selbst setzte, lange bevor rustikalere Noten in die Küchen einzogen, auf Natürlichkeit. „Bei mir wurde gekleckert.“ Inzwischen ist die Darbietung der Produkte überall sinnlicher geworden. Es riecht nach Erde. Die Teller haben schöne Strukturen. Statt Exotisches einfliegen zu lassen, setzt man lieber auf eine Komposition aus der Steckrübe. Das Handwerkliche zählt, nicht nur bei den Speisen.
Zurück zu den Wurzeln. So ist die Koreanerin Jinok Kim in ihrem Berliner Restaurant „Nanum“ Gastgeberin und Keramikerin zugleich. Fisch und Fermentiertes serviert sie in rohen Schalen wie aus dem Steinbruch, die sie ohne Drehscheibe von Hand formte. Katrin Hoffmanns glasiertes Steinzeug aus dem sächsischen Augustusburg findet man in vielen ostdeutschen Cafés und Gasthäusern.
Chichi war gestern. Auch René Redzepi in seinem Restaurant „Noma“ in Kopenhagen lässt das Tafelgeschirr im eigenen Land von Age und Kasper Würtz handarbeiten. Das sieht nicht nur schön aus auf den Holztischen. Es vermittelt auch Heimeligkeit oder „Hygge“, wie es neudeutsch heißt. Außerdem hält Keramik die Wärme besser. Mehr denn je hat man in vielen Restaurants den Eindruck, man säße zuhause bei Tisch, so liebevoll vertraut und wertig ist alles zusammengestellt. Bloß nichts aus einem Guss.
Inge Ahrens