„Dekorieren“ bedeutet schmücken, verschönern und galt, bezogen auf Innenräume und erst recht auf Architektur, über Jahre als ein Unwort, suggerierte Krimskram, Kitsch und den Verlust aller Klarheit. Schlichtweg ein Zuviel, ein Graus, etwas das Konditoren für ihre Torten vorbehalten bleiben sollte. Ganz im Gegensatz zu diesem Vorbehalt gab es sie immer, die Spielmittel des Wohnens.
Alle Kulturen brachten sie hervor, die Accessoires, die Bett, Sofa, Tisch und Regal effektvoll oder mit stiller Präsenz ergänzten. Die schönen Dinge, die man nicht braucht, gab es also immer schon und in vielfältigen Versionen. Reisemitbringsel, die Urlaubsmomente in den Alltag holen. Zweige und Gräser. Lieblingskleider, die als textile Objekte, lässig über eine Anlehnleiter geworfen. Ganze Stoffsammlungen oder Flickenteppiche bunt und sichtbar auf einen Stuhl geschichtet oder in Körben drapiert. Kissen. Decken. Schuhe, die außer den Füßen auch den Raum verschönern dürfen. Schalen, Vasen, Tierobjekte, Skulpturen und Artefakte aus der ganzen Welt. Ja selbst auch Schönes aus der Sporthalle mit dem Charme von gestern. Keine Frage, die stilistische Vielfalt ist groß! „Deko“, wie es alltagssprachlich heißt, kann schlicht und formenstreng sein. Aber auch theatralisch überbordend – dann spricht man eher von Rauminszenierung – thematisch akzentuiert wie etwa „maritim“, „Natur“ oder nicht wegzudenken: „industriell“ usw. Neben der Verspieltheit geht es zunehmend um Lebensaspekte wie Ruhe, Geborgenheit und Entspannung, die mit Wohnaccessoires hervorgebracht oder zumindest verstärkt werden können. Die Kunst der Harmonie! Dekoration vermag vieles: Atmosphären schaffen, Erinnerungen wachrufen, das kreative Denken erwecken, Kulturbotschaften übermitteln – und Achtung: Nicht jedes fremde Accessoire sollte als „Kulturnapping“ verpönt werden. Ein bedruckter mexikanischer Vorhang, ein antiker Samowar aus Tula, mit Holzkohle zu beheizen, der Glanz und Kapriziösität mit Funktion verbindet, die metallgetriebenen siebenarmigen Leuchter, Menora, die in den Achtziger und Neunzigern Israel-Reisende auch in Berliner Wohnungen aufstellten.
Folklore, auch dieses etwas abgewaschene Wort wird gerade aufpoliert und verweist auf ein farbenfrohes Neben- und Miteinander von Kulturen, deren schmückende und beredte, auch rituelle Elemente überraschende Allianzen bilden, beziehungsweise deren ursprüngliche Formen gestalterisch neu interpretiert werden. „Eine Untersuchung zukünftiger Trends führt uns dazu, zeitgenössische Folklore zu überdenken. Folklore gilt sowohl auf lokaler als auch globaler Ebene, ist persönlich und universal und verbindet das Alte mit dem Neuen (Li Edelkoort, Trend-Webinar für 2024). Dieses Naherücken von handwerklicher Produktion aus anderen Regionen wird durch jene Anbieter immer mehr ermöglicht, die ganz unmittelbar mit Handwerkern vor Ort zusammenarbeiten wie etwa das Label „Motel a Miio“, das handbemalte Vasen aus Portugal in einer schlichten Anmutung nach Berlin bringt.
Was spricht also gegen Dekoration, fragten sich weltweit Interieurdesigner und kamen zu dem Schluss: nichts! Spätestens seit 2020 erfreuen nun Ideen und Produkte im – so möchte man sagen – exponentiellen Wachstum. Dabei geht es ein bisschen weniger um das „Storytelling“ der vergangenen Jahre, um die Geschichten, die erzählt werden, als vielmehr um die unmittelbare sinnliche Präsenz wie etwa der präzisen schwarzen Keramikschalen aus der Kollektion „Eclipse“ des litauischen Labels „Vaidava“, das aus einem Zusammenschluss von Familienbetrieben erwachsen ist. Die neuen Keramiken, Flechtkörbe, Messingteile, Steinfiguren oder eben auch moderne Kunststoffe leben von ihrer Materialität, einer nahezu archaischen Einfachheit – bei Muuto etwa das „Platform Tablett“ von Sam Hecht und Kim Colin – oder greifen Volumen antiker Skulpturen auf (Beistelltisch „Bianca Curia“/bei Ferm Living), um möglichst eine Ahnung eines zeitlich weit zurückliegenden kulturellen Ursprungs zu vermitteln.
Auch das seit langem und vom Belgier Axel Vervoordt ins Elegante gesteigerte Konzept des japanischen Wabi Sabis, des „Perfekt-Unperfekten“ und der beiläufigen Platzierung von Naturfunden – Hölzern, Blüten, Zapfen, ein Hagebuttenzweig – gilt weiterhin als ein Leitstern in der Kunst des Dekorierens. Auch sachlichere und dennoch sinnliche Gegenstände schmücken das Zuhause.
Die Idee des „cosy minimalismus“, der weicher und gerundeter daherkommt, findet in den bauchigen Formen der hauchzarten Vasen „Muse“, deren Entwurf von Stephen Molloy und Gunnar Lohmann-Roensch stammt, eine harmonische Vollendung. Die Vasen von Fundamental aus Berlin werden in einer tschechischen Manufaktur mund-
geblasen.
Mit Dekoration als Begriff verbindet sich schnell etwas Gemachtes, losgehen, fünf Leuchter kaufen und nach asymmetrischem Ordnungsprinzip in Gruppe farblich passend zur Wand aufstellen. Die Dinge aber, die das eigene Zuhause individuell wachsen lassen, kommen dagegen wie von selbst und finden ihre Plätze. In Alltagsmomenten werden sie, ja, auch ab und an umsortiert, weggeräumt, verschenkt, verbannt und durch anderes ersetzt. So entsteht ein Zeitenwandel. Nicht zuletzt auch im jahreszeitlichen Rhythmus.
Vorweihnachtszeit! Da werden Kisten und Schätze hervorgeholt. Stroh-sterne oder Glaskugeln. Erzgebirgsfiguren oder pop art bunte Baumanhänger. Adventsschön und quasi zeitlos sind Girlanden aus Kiefernbüscheln oder Zierapfelzweigen. Weiße gefaltete Papiersterne scheinen zu schweben. Federleicht und still. Womöglich „piepsen“ derweil gedrechselte Holzvögel vom Regal und seien diese von Vitra oder Holzvögelchen von Ikea. Voilà! Schönes hebt die Stimmung!
Anita Wünschmann