Flure sind Schleusenbereiche. Sie vermitteln zwischen außen und innen, erschließen die Wohn- und Wirtschaftsräume, beherbergen nebst Garderobe, Schuhschrank, Spiegel, gelegentlich Hund- und Katzenschlafnischen. Auch die Diele – ein Wort aus dem Niederdeutschen, das den Übergangsraum bezeichnet, der allerdings großzügiger bemessen ist – ist ein zentraler Ort in Haus oder Wohnung. Der Dielenschrank früher verbarg die Garderobe, nahm zudem Tischwäsche und andere Haustextilien auf. Dazu noch eine Truhe. Auch heute müssen Mäntel, Jacken, Schuhe, im Winter auch Handschuhe, Schal und Mütze, dazu Taschen, Schirm und Schlüssel sinnvoll verstaut werden. Bei einer Familie kommt viel Kleinzeug zusammen. Und wer kennt nicht die Schuhgalerien vor oder gleich hinter der Eingangstür? Ein Platz für die alltägliche Post und Krimskrams ist ebenfalls vonnöten.
Einbauschränke können allen Wunschmaßen angepasst werden und viele Staufunktionen übernehmen. Hängesysteme sind vortrefflich da, wo der Flur schmal, aber die Deckenhöhe beachtlich ist. Der Hängeboden, der neben Koffern noch vieles mehr aufnehmen könnte, ist als Stauraumreserve ein Relikt aus den Mietskasernen der Jahrhundertwende und erfreut sich neuer Interpretationen. Es geht um eine ausgeklügelte Raumeinsparung. Aber auch Kleinmöbel und Sideboards können hilfreich sein. Echte Platzsparer leisten Doppeltes, wie die Foot Box, eine schmale Hängekonstruktion aus Schuhschrank und großem Garderobenspiegel in einem.
Mantel oder Jacke? Wichtiger als die Frage, was kommt an den Haken, ist die Überlegung, an welchem die Kleidung aufgehängt werden soll. Seit dem Design-Klassiker vom 1953 „Hang it all“ von Charles und Ray Eames wird bei Vitra die Kugelkomposition, die an eine Notensequenz erinnert, in verschiedenen Farbharmonien produziert. Ein Haken ist nicht ein Haken, sondern begehrtes Spielmittel für die Wand. Da wären die sportlichen Wandhaken „Gym“ von HAY zu nennen oder einen Tick glamouröser etwa die Regenbogen-Wandhaken von Fundamental Berlin, kleine runde Kristallspiegel die dank einer Beschichtung farbig schimmern. Es geht auch traditioneller mit „XXL wooden push pin“ von Alexander Nettesheim. Die Designerin Hella Jongerius hat für Vitra 2013 die Farbkugeln von ihrem einstigen Metallgestell befreit. Ihre Coat Dots lassen sich in beliebigem Arrangement anschrauben. Wer den frei stehenden oder an die Wand montierten Garderobenständer als Hilfsvehikel schätzt, kann ebenfalls von Klassikern aus Metall bis zu minimalistischen Stahlwinkeln, pur oder pulverbeschichtet seinen Flur ausstatten. Im Megatrend Natur kommen auch reale wie industriell nachgeformte Baum- und Astvarianten nicht zu kurz, beispielsweise „Tree“ von der Firma Swedese. Die unter dem Label Yamazaki erhältliche Plain-Garderobe lässt sechs zierliche Ästchen aus einem filigranen Stamm ragen, so schön und still, dass es fast zu schade ist, das Stahlbäumchen zu behängen. Ein paar Birkenstämme als Garderobe waren noch vor wenigen Jahren der Renner überhaupt. Ein querhängender Ast an Edelstahlseilen oder anderer Aufhängungstechnik, dazu schicke Kleiderbügel –leichter kann eine Garderobe nicht sein. Stabiler ist vermutlich das Dreibein-Loop Stand Hall, das zur Produktfamilie gehört, die Leif Jorgensen, angefangen mit den prominenten Tischböcken, aus beschichtetem Stahl entwickelt hat. Kaum zu glauben, wie viel Hänge-, Wand-, Anlehn- oder freistehende Garderoben es gibt, die Kastenmöbel und modulen Systeme noch gar nicht mitgedacht, oder die flachen Brettkonstruktionen, schlicht und praktisch aus den Siebzigern, die dem Gittertrend, dem Stringstyle, aus den Sechzigern folgten.
Flure empfangen Bewohner und Gäste heute möglichst mit praktischer Nonchalance. Dort, wo auch Kinder wohnen, wird man im Flur über Bälle und Bausteine stolpern. Es gibt Miniflure von zwei mal zwei Metern. Diese verlangen ihren Bewohnern logistische und gestalterische Raffinesse ab. Eine schöne Farbe, feierliche dunkle Töne inbegriffen sowie ein großer Spiegel verzaubern dabei auch den kleinsten Raum. Flure können länglich oder quadratisch sein, ausgedehnt oder gänzlich aufgelöst werden. Dann steht der Eintretende, so wie es in der englischen Wohnkultur verbreitet ist, gleich in der Küche; zeitgenössisch im offenen fließenden Wohnküchenbereich. Die Gestaltung folgt dem generellen Wohnstil: puristisch oder opulent, Mid-century modern, skandinavisch leicht oder elegant mit Samt, Flauschteppich und Klunkern, die an der Decke entlang mäandern. Berliner Altbauflure sind eine Schau für sich. Mit ihren hohen Decken und ihrer oftmals verwinkelten Wegeführung verbanden sie die bürgerliche Wohnung mit den Mädchenkammern, die heute zumeist entkernt anderen Zwecken genügen. Der Flur als Spiel- und Partymeile nimmt neben Kunst ebenfalls das Fahrrad auf und erstaunlich oft auch in einem diskreteren Bereich Wäscheständer und Bügelbrett.
Vom Mindeststandard ausgehend kann sich die Fantasie mit wachsenden Quadratmetern und Höhe entfalten: Der Flur als Galerie, als Bibliothek. Schön ist auch eine Grünzone der besonderen Art, wenn Tageslicht durchflutet, was bei atriumähnlichen Fluren mit offenen Innenräumen gut möglich ist.
Dabei muss er nicht einmal mondän sein, um als Entree durchzugehen. Wunerbar ist der Blick auf Blumen, Früchte, wenige Accessoires, eine Skulptur, ein Gefäß. Flur und Diele haben außer der praktischen eine kommunikative Funktion wie die einer Visitenkarte. Ob ein Korb, eine kleine Kommode oder ein Bänkchen – es gibt viele Möbel, die in ihrer Dimension geeignet sind für den Kleinstraum und die Erstbegegnung. Ein Hocker oder ein Stuhl, eine aufklappbare Bank oder ein Sessel dienen einem Kurzbesuch ebenso wie der Bequemlichkeit beim Schuhwechsel. Das Tischchen fürs Telefon ist Geschichte des vorigen Jahrhunderts. Der Schlüsselkasten wird im Zeitalter von Smart Living bald zum historischen Relikt. Und wo bitte schön, liegt die Tageszeitung?
Anita Wünschmann