Ende der Schonzeit – Warum es gut ist, auch in der kalten Jahreszeit rauszugehen

Im Sommer scheint alles einfach. Die Sonne sorgt für Power und gute Laune. Wie schön wäre es, dieses Gefühl mit in die kältere Jahreszeit nehmen zu können. Es muss nicht gleich ein Sprung ins Polarmeer sein, wie bei Lewis Pugh, der mit seinen Aktionen auf die Umweltzerstörung aufmerksam macht.

Der menschliche Körper ist ein Wunderwerk. Er funktioniert mit den raffiniertesten Mechanismen. Zum Beispiel die Thermoregulierung. Durch diese schafft er es, unter normalen und gesunden Verhältnissen, die Körpertemperatur im Gleichgewicht zu halten. Da in den kälteren Jahreszeiten die Temperaturunterschiede zwischen innen und außen größer sind als im Sommer, steht der Körper vor größeren Herausforderungen. Ronald Thomschke, Präventionstrainer und Buchautor, erklärt: „Bei Kälte fangen die Muskeln an zu zittern, um Wärme zu erzeugen und bei zu viel Hitze produziert der Körper Schweiß. Dieser verdunstet und kühlt so die Hautoberfläche wieder ab. Wenn man aber im Winter in kurzer Hose rumläuft, wird diese Thermoregulierung überfordert. Der Körper ist nicht in der Lage, genug Wärme zu erzeugen, um die Beine warm zu halten – außer man ist trainiert.“ Deshalb ist genau jetzt die Zeit, den Körper mit minimalem Aufwand darauf einzustellen. Die besten Komponenten dafür sind laut Thomschke: „sportliche Outdooraktivitäten, Minimierung von Stress, eine gesunde Ernährung und die Schaffung von Temperaturreizen.“ Die kalte Dusche nach dem Saunagang sorgt durch den Temperaturwechsel genau für diesen Effekt wie Joggen und Wandern auch.

Frauen und Männer

Wer seinen Körper Temperaturreizen aussetzt, regt die Thermoregulierung des Körpers an und trainiert automatisch das Immunsystem. Neueinsteiger im Sport oder Menschen mit sportlichen Extremzielen wie ein Kältetraining, das im Eismeer enden soll, „sollten vorher einen Arzt zu Rate ziehen“, so Thomschke, dessen eigene erste Leidenschaft dem Schwimmen gehörte. Heute ist er ein Wanderfan und überzeugt, „dass gerade im sportlichen und medizinischen Bereich mehr Rücksicht auf den Körperbau und das Individuum genommen werden sollte. Beispielsweise haben Frauen weniger Muskelmasse als Männer, deshalb frieren sie schneller.“ Der altersbedingte Muskelabbau tut ein Übriges. Wer glaubt, dass diese Formel, je älter, desto schneller friert man, einfach so übernommen werden kann und nur eine Strickjacke die Lösung ist, irrt. Durch ein individuell angepasstes Krafttraining kann dieser Prozess stark verlangsamt oder gar kompensiert werden. Je früher damit angefangen wird umso besser. Ein gesundes und bewegtes Leben, im wahrsten Sinne des Wortes, bis ins hohe Alter ist der Lohn. Und ein stabiles Immunsystem auch. „Männer sind dagegen vom Körperbau her nicht so beweglich“, führt Thomschke fort, „aber es gibt Vorreiter, die sich den Unterschieden annehmen.“ Extra Workouts wie „Yoga für Männer“ gehen auf spezifische Defizite ein und zeigen Übungen, die zu mehr Beweglichkeit führen und damit die Fitness verbessern.

Zu viel Energie

Etwa zwei Drittel der Männer in Deutschland sind übergewichtig, bei den Frauen sind es rund 50 Prozent. Mit dem Zuviel an Kilos wird jede Bewegung beschwerlicher und jedem guten Vorsatz droht das Scheitern. Trägheit ist Gift. Es geht aber auch darum, nicht mehr Energie mit dem Essen aufzunehmen, als der Körper benötigt – eine Herausforderung angesichts der Fülle an süßen Verführungen im alltäglichen Leben. Thomschke bringt es auf den Punkt: „Zucker ist grundsätzlich nicht gut für den Körper. Das Belohnungszentrum im Gehirn wird per Botenstoffe direkt angesprochen genauso wie bei Salz und Fett“. Eine teuflische Kombination aus allen drei Stoffen sind Chips. Das Ergebnis ist dann das intraabdominale Bauchfett. Es drückt nicht nur auf die Organe, sondern will permanent weiter versorgt werden. Dazu sendet es Botenstoffe zum Gehirn, ein Kreislauf, aus dem schwer rauszukommen ist. Dadurch wird nicht nur schlechte Nahrung aufgenommen, sondern ein zuviel an Energie. Diese Kohlenhydrate werden in Fett umgewandelt, das sich einlagert. Um sich über die eigenen Ernährungsgewohnheiten im Klarem werden zu können, hilft ein Ernährungstagebuch. Es führt oft zu großem Erstaunen, um nicht Entsetzen zu sagen. Ein bisschen Mut gehört schon dazu, sich selbst wahrzunehmen. Auch das Fastenwandern im Herbst – am besten in einer Gruppe hilft dabei, sich seiner Fallen bewusst zu werden.

Abgrenzen und Entspannen

Freude und Glück sind besonders wichtig, wenn es um das Immunsystem geht. „Wer unter seelischen Belastungen leidet, bei dem wird auch das Immunsystem anfällig“, fügt Thomschke hinzu. Wie will ich mich fühlen? Wie will ich leben? Was brauche ich, dass ich mich gut und fit fühle? Die damit verbundenen Entscheidungen werden leichter in die Tat umgesetzt, „wenn sie an eine Routine gebunden werden, eine Regelmäßigkeit und einen festen Termin bekommen“, rät Thomschke. „Wer fit ist und nicht hochkommt oder sich durch die Nacht quält und dabei den Inhalt des Kühlschrankes als wohltuend empfindet, hat wahrscheinlich ein anderes Problem und sollte ärztlichen Rat einholen, um etwas ändern zu können. Bei allen anderen helfen Verabredungen, Sportgruppen oder ein individueller Personaltrainer.“

Essen oder trinken?

Die Behauptung, dass in unserem Essen, speziell in Obst und Gemüse, die Vitamine und andere wichtige Stoffe fehlen bzw. nicht mehr in ausreichender Form vorhanden sind, kann Thomschke nicht nachvollziehen. Er hält grundsätzlich nichts davon, auf Vitaminpräparate zurückzugreifen. „Wer gesund ist und sich gesund und ausgewogen ernährt, ist gut versorgt. Natürlich können Vitamine in Form von Präparaten bei Mangel oder Krankheit zugeführt werden. Aber die Wechselwirkungen der natürlichen Vitamine und Mineralstoffe untereinander fehlen in der sogenannten kalten Form der Vitaminpräparate genauso wie die Ballaststoffe für den Darm, einem der wichtigsten Gesundheitszentren im Körper. Wenn es dem Darm nicht gut geht, kann es dem Körper nicht gut gehen. Es kommt also immer darauf an, was gegessen wird und wie es zubereitet wurde. Auch die viel gepriesenen Superfoods und Wundermittel aus fernen Ländern haben teilweise nicht so viele Vitamine wie zum Beispiel unsere einheimischen Johannisbeeren“, sagt Thomschke. Einen unkomplizierten Geheimtipp für ein gutes Immunsystem und für die perfekte Abhärtung hat Thomschke auch: „Einfach bei jedem Wetter rausgehen“.

Barbara Sommerer

 

Information
Ronald Thomschke,
Proficouch, Ratgeber rund um
Fitness, Ernährung und Sport von A-Z
www.aufrechte-koerperhaltung.de

 

90 - Herbst 2022