Keine Idee ohne Konzept

Die Daimler Kunst Sammlung im Haus Huth zeigt Concept Art von den Anfängen Mitte der 1960er Jahre bis heute.

Immaterialität ist nicht die Eigenschaft, die man zuallererst mit dem Daimler-Konzern verbindet, eher Präsenz, eindeutige Volumina und ein materieller Habitus, der ambivalent wirkt. Aber Karossen und Kunst müssen nicht die gleiche Sprache sprechen, es sei denn, man denkt an das Ausgeklügelte, Konstruktive.

Die Daimler Kunst Sammlung wurde 1977 begründet und umfasst, so kann man auf der Firmen-Homepage nachlesen, rund 2000 Arbeiten von etwa 700 deutschen und internationalen Künstler/innen. Ihr Augenmerk gilt der abstrakten Kunst vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart hin­ein, dem Konstruktivismus der Nachkriegsmoderne speziell aus dem Süden Deutschlands, Stuttgart vorweg sowie aus der Schweiz. Weiterhin Konzeptualismus und Minimal Art – ästhetische Entwicklungen, die sich zuerst in den USA etabliert hatten und deren Rezeption bis in die Gegenwartskunst weltweit subtilen Kunstgenuss ermöglicht. Die nunmehr zweite Schau zum Minimalismus / Konstruktivismus verbindet Werke der Gründergeneration mit jungen Positionen. Sol LeWitt (1928 –2007) ist einer der namhaften Vertreter des Sechziger-Jahre-Minimalismus und des Konzeptualismus. Als Vierzigjähriger begann der New Yorker mit seinen Wall Drawings (1 200 Stück gehören zu seinem Œuvre). Die Wandzeichnungen aus geometrischen Figuren, Schlingen, Schleifen oder Wellen, die in beliebige Räume „hineingezeichnet“ werden können, wenn der Ausführende dabei virtuos der präzisen Künstleranweisung folgt wie ein Musiker beim Umsetzen einer Partitur, sind weltbekannt. In diesem Jahr würdigt das Centre Pompidou in Metz den Begründer der Konzeptkunst mit einer Retrospektive seiner großen schwarz-weißen Wandbilder.

In der aktuellen Ausstellung im Weinhaus Huth am Potsdamer Platz gibt es von Sol LeWitt eine graue Kreisform auf schwarzem Quadratgrund sowie eine Faden-Installation. Die letztere quasi als 3-D-Zeichnung gedacht, als ein feines Gespinst aus Wollfäden, das zunächst auf nichts weiter als auf sich selbst verweist. Eben auf Linien und deren Bündelung, die einen Raum markieren und strukturieren wie die Wellen und Funkleitsysteme zwischen Satelliten und Erde. Linien und Punkte allein besitzen keine Ideen, erst das Konzept ist Träger der Idee, schrieb der Künstler in sein Anweisungsbuch zu den Wall Drawings. Brian O‘Doherty (geb. 1928), von dem es eine stark farbige Interpretation einer Raum-ecke als subjektive Architektur gibt, gehört ebenfalls zur Gründergeneration, welche die Immaterialität von Schnüren für ihre Raumzeichnungen und Installationen entdeckt hatte, denn ihr Gott ist die Linie.
Punkt und Linie, Raum und Körper, Künstler und Rezipient sind hierbei die Zutaten der Kunst, vielfältig interpretierbar und sinnlich. Etwa die architekturbezogenen Übersetzungen der Portugiesin Leonor Antunes (geb. 1972 in Lissabon), deren Metallvorhang „Balfron I“ die Architekturelemente eines prominenten Londoner Betonwohnsilos aufnimmt und in eine flirrende „hängende Zeichnung“ transformiert oder die radikale Position von Natalia Stachon, (geboren in Katowice/Polen und in Deutschland aufgewachsen). Sie legt kupferne U-Profile als lineare Boden-skulptur in den Ausstellungsraum und lässt gewichtslos wirkende Plexiglasröhren darüber balancieren. Hier funktionieren mehrere Assoziationsstränge, die bis zu Beuys reichen und zumindest dessen hoch emotionale Haptik und Brachialität kommentieren. Dazu Zeichnungen („Neither“) mit detailpräziser Ausführung von Gebäudefragmenten, die im Kontrast zur puren Umrisslinie stehen, mit der das jeweilige Haus als Ganzes markiert ist.

Die Fotoserie von Uwe Seyl lässt Körperlichkeit durch Licht- und Schattenspiel entstehen. Papier wird drapiert und in verschiedenen Positionen, gerollt, geknickt, gefaltet und dem Studio­licht sowie der Begrenzung durch drei vertikale Stäbe ausgesetzt. Der Prozess ist dabei ebenso wichtig wie die jeweils nur temporär gefundene Form eindeutige Zuschreibung verweigert. Die Wahlwienerin Anne Schneider (geb. 1965 in Enns) komponiert aus Textil und Beton Skulpturen. Sie stehen oder hängen. Sie scheinen zu kommunizieren, nicht nur miteinander sondern auch mit Alberto Giacometti, der die Volumenlosigkeit von Körpern mit seinen Figuren vorweggenommen hat. Zartblaue oder grün- und rosèfarbene Aquarelle „Diary“ von Anne Schneider empfangen die Besucher noch vor dem Eingang in die Räume der Kunststiftung. Sie muten wie ein europäisch-fernöstliches Tagebuch an. Die Überlagerung kultureller Codes ist auch das Thema der Japanerin Kazuko Miyamoto, die quadratische Raster mit subjektiven Formen wie schwarze Kohlekreise oder Ornamente überschreibt. Code und Dekodierung, Sprache und Lesbarkeit, Wiederholung, Kopie und Zitat werden von den Künstlern mit Raum und Körper, Architektur und sozialer Erfahrung, ja letztlich mit dem existenziellen Dasein verknüpft. Das schließt Momente einer fast autistischen Poesie (Wolfgang Berkowski etwa verweigert jegliche Lesbarkeit) des Konkreten ein. Die Raumkonstrukte im Kunstraum-Labor freilich sollen als solche erlebt werden. Ganz unmittelbar funktioniert das mit dem „Halbiglu“ von Kazuko Miyamoto aus Baumwoll­fäden und Nägeln. Sie zitiert ihren Lehrer Sol LeWitt mit dem „unsichtbaren“ Raum von Kellereingängen in ihrem New Yorker Wohnviertel als soziales Statement.

 

Anita Wünschmann

Information
Daimler Contemporary, Haus Huth
Alte Potsdamer Straße 5
10785 Berlin

Conceptual Tendencies 1960s to
Today II (Body, Space, Volume)
19. April bis 22. September

 

55 - Sommer 2013
Kultur