Insel fur Stadter

Die Insel Eiswerder in Berlin ist ein verkanntes Juwel. Jetzt will sie der Berliner Unter­nehmer Martin Halder wachküssen und zur „Insel der schönen Dinge“ machen – mit einem Oldtimerzentrum als Mittelpunkt.

Viele Beobachter sehen in Eiswerder nichts anderes als eine etwas unaufgeräumte Insel am Stadtrand mit einem Sammelsurium an alten Gebäuden. Martin Halder aber erblickt in ihr eine Verheißung, ein Potenzial, ein zukünftiges Schmuckstück. Eine Insel mit Baudenkmalen, Uferweg und Marina, nur zehn Minuten von der Stadtautobahn und fünf Minuten vom ICE-Bahnhof Spandau entfernt – da muss man doch etwas daraus machen!

Der Unternehmer Halder steht auf der von der Havel umflossenen Insel und schildert seine Pläne so anschaulich, dass man geneigt ist, sich von seiner Begeisterung anstecken zu lassen. Ein Oldtimerzentrum will Halder in den denkmalgeschützten Hallen unterbringen und darum herum eine ganze Reihe von hochwertigen Nutzungen ansiedeln: traditionelle Handwerksarbeit (darunter einen Geigenbauer), regionale Lebensmittel, hochwertige Gastronomie. Eine Eventfläche am Wasser soll es geben, ein Hundert-Zimmer-Hotel, außerdem Stadtvillen mit Wasserblick. Sollten sich die Pläne tatsächlich realisieren lassen, würde die wechselvolle Geschichte der nur 14 Hektar großen Insel um ein spannendes Kapital reicher. „Im 19. Jahrhundert war Eiswerder die Waffenkammer des Deutschen Reiches“, blickt Halder zurück. 1826 errichtete der Preußische Militärfiskus hier das Königliche Feuerwerkslaboratorium, und in der Gründerzeit folgten weitere heute denkmalgeschützte Militärgebäude. 1938 kam der gewaltige „Reichstypenspeicher“ hinzu, in dem, so berichtet Halder, zu Mauerzeiten Getreide der West-Berliner Senatsreserve lagerte. Doch auch eine ganz andere Nutzung eroberte sich Eiswerder: Der Filmproduzent Artur Brauner betrieb hier seine CCC-Studios.

Nach der Wende wurde Eiswerder zum Mittelpunkt der Wasserstadt Oberhavel, einem der großen städtebaulichen Entwicklungsbereiche, mit denen Berlin auf die durch die Vereinigung der beiden Stadthälften entstandenen Herausforderungen reagierte. Aus dem industriell und militärisch geprägten Areal rund um die Oberhavel sollte ein moderner Wohn- und Gewerbestandort werden. Für Eiswerder war mal gehobener Wohnungsbau geplant, mal eine gemischte Nutzung, mal eine Medienstadt – doch umgesetzt wurde wenig davon. Schließlich verkaufte der größte Eigentümer auf Eiswerder, eine Tochtergesellschaft des Energiekonzerns Eon, seine Grundstücke an einen Münchner Privatinvestor. Mit diesem wiederum unterzeichnete die von Martin Halder geführte Meilenwerk AG einen Erbpachtvertrag. Kern des Meilenwerk-Projekts sind drei denkmalgeschützte Backsteinhallen, die nach Plänen des Berliner Architekturbüros Müller Reimann durch Atrien miteinander verbunden werden und das Oldtimer-Zentrum beherbergen sollen.

Doch gibt es nicht schon längst ein Meilenwerk in Berlin, nämlich in einem ehemaligen Straßenbahndepot in der Moabiter Wiebestraße? Tatsächlich setzte Halder dort vor zehn Jahren erstmals unter dem Namen Meilenwerk seine Vision eines Zentrums mit Dienstleistungen rund um alte Autos um. Doch 2011 löste er den Lizenzvertrag mit dem Betreiber auf; mit dem Objekt in der Wiebestraße, das jetzt Classic Remise heißt, hat Halder seither nichts mehr zu tun.

Auf Eiswerder sollen jedoch nicht nur Autoliebhaber auf ihre Kosten kommen, sondern auch andere Menschen, die Gefallen an schönen alten Dingen haben. So will Halder – die Wasserlage legt´s nahe – auch historischen Booten eine Heimstatt geben. Doch nicht nur das: „Neben dem Kernthema der Mobilität finden Sie hier etwa Manufakturen und Werkstätten, die noch ganz der hochwertigen Handarbeit verpflichtet sind“, schwärmt Halder. Auch Feinkostanbieter und gehobene Gastronomen will er ansiedeln. Wer sich dabei an das Konzept des Versandhändlers Manufactum erinnert fühlt, liegt wohl nicht ganz falsch. Dabei sieht er sein Vorhaben im Einklang mit dem Zeitgeist:„Es geht um Güter, deren Luxus darin besteht, dass sie ein gutes Gefühl vermitteln.“ Einen angemessenen Stellenwert soll auch die Kultur finden, und auch größere Veranstaltungen am Wasser soll es geben. „Stellen Sie sich ein klassisches Konzert im Sommer vor!“, sagt Halder und sieht dabei aus, als könnte er kaum erwarten, dass der Dirigent den Taktstock erhebt. Noch ist es aber nicht soweit: Die Bauarbeiten sollen im Frühjahr 2014 beginnen, und zur Sommersaison 2015 soll das Meilenwerk eröffnet werden. Das Investitionsvolumen von 25 Millionen Euro will Halder über ein „Private Placement“ aufbringen – soll heißen: Er will einige wohlhabende Privatinvestoren dazu bewegen, ihr Geld in das Projekt zu investieren. Gut vernetzt ist der Unternehmer und bekennende Oldtimer-Fan; so koordiniert Halder zum Beispiel auch den Parlamentskreis Automobiles Kulturgut beim Deutschen Bundestag.

Dafür, dass das Vorhaben tatsächlich Realisierungschancen hat, sprechen noch weitere Gründe. So muss der Bezirk keinen neuen Bebauungsplan aufstellen, da das neue Projekt laut Halder mit dem geltenden B-Plan vereinbar ist. Und auch die Politik unterstützt das Vorhaben: Die Insel der schönen Dinge werde „ein Aushängeschild unserer Zitadellenstadt Berlin-Spandau“ werden, lässt sich Carsten-Michael Röding, Bezirksstadtrat für Bauen und Planen in Spandau, in einer Pressemitteilung zitieren.

Allerdings wird keineswegs ganz Eiswerder zu einem Oldtimer-Mekka werden. Neben den denkmalgeschützten Hallen will der ungenannt bleibende Münchner Privatinvestor ein Hotel und Stadtvillen errichten. Unangetastet bleiben die Kleingärten sowie die Ateliers und Wohnungen in teilweise bereits sanierten Gebäuden außerhalb des Meilenwerk-Bereichs. Und auch der gewaltige Speicher, in dem einst das Getreide der Senatsreserve lagerte, bleibt stehen: Er ist nämlich ebenfalls denkmalgeschützt.

Paul Munzinger

 

55 - Sommer 2013
Stadt