Pjär auf dem Mädchenklo

Die besten Ideen kommen einem manchmal auf dem stillen Örtchen. In diesem Fall war es die Toilette des „Podewil“ und der Einfall kam zu Milena Baisch – nun Gewinnerin des Berliner Kindertheaterpreises für „Die Prinzessin und der Pjär“. Diese Episode erzählte sie ganz freimütig auf der Gala im Grips-Theater, wo sie den Preis überreicht bekam.

Die junge Frau, durchaus schon erfahren in der schriftstellerischen Arbeit für Kinder – ihr Buch „Anton taucht ab“ wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und Kinderhörspielpreis ausgezeichnet – entwickelte ein Stück über den Leistungsdruck, der von Schule und Elternhaus auf Kinder ausgeübt wird. Warum wird eine versaute Mathearbeit plötzlich lebensentscheidend? Macht einen der Geigenunterricht, selbst gewollt, wirklich froh und glücklich oder ist er eher ein Statussymbol? Milena Baisch stellte sich ein großes Ensemble für ihr Stück vor, die Zensuren sollten auf der Bühne ihr Unwesen treiben und doch gleichzeitig in ihrer Bedeutung der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Bei dem Workshop, den das Grips-Theater für die ausgewählten Autoren veranstaltet, wurde ihr dann zu verstehen gegeben, diese Großidee ist nicht umzusetzen, ja zu viel an Drumherum deckt das eigentliche Thema zu. Und sie dachte neu, auf dem stillen Örtchen – vielleicht sollte es in einem kleinen, intimen Raum spielen? Einem Schulklo. Bei besagtem Workshop sind auch Schauspieler, damit die Autoren die beabsichtige Wirkung ihrer Stücke für die Bühne testen können. Gespielt wirkt manches anders als gelesen.

Milena Baisch testete also ihre neue Variante mit zwei Akteuren gleich auf dem echten Ort des Geschehens. Und siehe da, das Stück lebte, hatte Spannung, Dramatik und natürlich auch Komik. Ihre Helden Lisasophie und Pierre sind auf dem Mädchenklo, die Schule ist abgeschlossen, sie sind ganz allein. Pierre hat die Mathearbeit vergeigt, Lisasophie hat die Geige vergessen und zum Unterricht schafft sie es eh nicht mehr. Das Mädchen eher eine Musterschülerin, dem Jungen scheint alles schief zu gehen. Beide, so stellt sich im Laufe der Handlung heraus, haben ihre Prob­leme mit den Eltern, der Schule und auch mit sich. Und nun müssen sich diese beiden unterschiedlichen Typen zusammenraufen. Faszinierend, das Einfühlungsvermögen für Menschen ab 8, das Milena Baisch hat, so als sei die Kindheit noch gar nicht lange her. Das drückt sich auch in ihrer klaren gradlinigen Sprache aus, die weder Witz noch Tragik vermissen lässt. Natürlich wird es gut ausgehen, die beiden werden mit Gewinn das Schulklo verlassen.

Zu sehen gibt es die Uraufführung von „Die Prinzessin und der Pjär“ am 5. September im Grips-Theater. Man darf darauf gespannt sein. Bei der Preisverleihung des „berliner kindertheaterpreises“ konnte man schon einen kleinen Eindruck gewinnen. Hervorragende Schauspieler stellten einen Teil des Textes halbszenisch vor – natürlich mit dem wichtigsten Requisit, einer Kloschüssel.

Dass das Stück ein Erfolg wird, daran zweifelte der künstlerische Leiter des Grips-Theaters, Stefan Fischer-Fels schon mit Blick auf bisherigen Preisträger-Stücke, nicht. Vier Stücke kamen seit 2007 zur Uraufführung und diese wurde in 204 Vorstellungen vor insgesamt 53 000 Zuschauern gezeigt. Darüber hinaus fanden einige auch die Wege in andere Theater. Eine Bilanz, die stolz macht, auch für die Gasag, die diesen Preis 2005 mitinitiiert hat. Stefan Grützmacher, Vorstandsvorsitzender der Gasag, sagte über den Sinn des Engagements für Kinder- und Jugendprojekte etwas sehr Schönes und Einleuchtendes: „Im Kindertheater sind noch alle zusammen, aus allen sozialen Schichten.“ Da könne man zum Denken, zum Lernen anregen, da ist der soziale Umgang miteinander noch ein anderer, die Verkrustungen beginnen erst später. So sei Kindertheater Grundversorgung fürs Leben, und das passe ganz gut zum Energiegrundversorger.

Beim Kindertheaterpreis ist das Ergebnis, ein gutes Stück auf die Bühne zu bringen, das Wichtigste. Aber dieser Preis ist auch ein Instrument, Talente unter den jungen Autoren des Landes zu finden, die einen Draht zu Kindern aufbauen können. Immerhin 75 bewarben sich, und in einem mehrstufigen Verfahren wurden vier ausgewählt, die dann in einer intensiven Workshop-Phase, in Gesprächen mit Dramaturgen, Psychologen, Schauspielern und natürlich ihrem Zielpublikum, den Kindern, ihre Ideen entwickeln konnten. Auch diese intensive Arbeit zwischen Theater und Autor dürfte einmalig sein. Und herausgekommen sind bei dieser Arbeit neben dem Siegerstück drei weitere gute. So zumindest der Eindruck nach Kurzvorstellung auf der Bühne des Grips.

Auch Reihaneh Youzbashi Dizaji mit „Die Spinne“, Jan Friedrich mit „Mein Name ist Peter“ und Kristo Sagor mit „Patricks Trick“ erzählen Spannendes und Fragendes. Die drei Autoren haben den mit 1000 Euro dotierten Förderpreis erhalten. Sie zeigen die Welt der Kinder konsequent aus deren Sicht. Kein Erwachsener weit und breit, der eingreift. Da sind sie schon aus einer Kindergemeinschaft herauskatapuliert worden und sind Außenseiter, wie in „Die Spinne“, oder sie träumen sich in eine andere Welt, wie in „Mein Name ist Peter“. Letzteres ist ein skurriles, wortwitziges Stück. Peter träumt, dass ihn Peter Pan endlich ins Nimmerland abholt. In seine Träume platzt immer wieder seine achtjährige Schwester Rebecca, die veganes Eis auf Kokosmilchbasis herstellt. Die Klugscheißerin nervt. Doch Peter entwirft sich sein eigenes Nimmerland und entführt als Spielkameradin Jenny, die zu einer ganz coolen Figur wird. Die formal dramatisch anspruchsvollste, raffinierteste Geschichte lieferte Kris­to Sagor. Patrick erfährt, dass sein kleiner ungeborener Bruder behindert sein wird, niemals sprechen wird. Nun tritt der Junge in einen Dialog mit dem Bruder und beide spielen in rasend schnellem Wechsel alle Figuren (insgesamt zehn), von denen sie Antworten erwarten, an die sie Fragen haben. Schon der kurze Ausschnitt während der Preisverleihung beeindruckte.

Da fällt nicht schwer, sich die Jury-Qualen vorzustellen – welches Stück soll nun wirklich das Theaterlicht auf der Grips-Bühne erblicken? Für „Die Prinzessin und der Pjär“ entschied man sich, so Laudator Rüdiger Schaper, Ressortleiter Kultur bei „Der Tagesspiegel“, weil man unter anderem auf charmante Art etwas über den Schulalltag erfährt und weil es natürlich Spaß bringt.

Und noch ein Tipp, auch als Erwachsener sollte man ab und zu ins Grips-Theater gehen, um in die Welt der Kinder einzutauchen und sich an seine eigene Kindheit zu erinnern.

Martina Krüger

 

55 - Sommer 2013
Kultur