Bikini Berlin – zweimal Werner Aisslinger

Werner Aisslinger gilt als einer der innovativsten deutschen Designer mit internationalem Renommee. Nach dem Studium an der Berliner Hochschule der Künste gründete er 1993 das „Studio Aisslinger“ in Berlin. Zwischen seinem tulpenförmigen Sessel „Juli Chair“/1996 aus Polyurethan-Hartschaum für Cappellini und dem im Vorjahr präsentierten ChairFarm-Konzept liegt ein breites Œuv­re. In diesem Frühjahr zeigte das Haus am Waldsee die erste Werkschau. Am Zoo designt der Achtundvierzigjährige einen „Urban Jungle“ für das „25hours“-Hotel im Bikinihochhaus.

Wo bitte geht es zum Aisslinger-Zimmer? Diese Frage muss ab Ende 2013 keiner mehr stellen, denn da wird das „25hours“-Hotel im kleinen Hochhaus des Bikini-Ensembles am Bahnhof Zoo eröffnet sein. Heute muss man sich noch durchfragen zum Musterzimmer des Berliner Designers, gebürtig im Allgäu, der mit dem Interieur für die ambitioniert moderne Hotelkette beauftragt wurde: Farbharmonien in Schattierungen von Smaragdgrün (sie-he auch Pantone 2013), von Algengrün bis Anthrazit und kühl-warme Rotnuancen, edle Materialien, der Raum so offen wie möglich. Das klassische Bad wurde aufgelöst in drei solitäre Segmente – Toilette, Dusche und Waschnische. Diese gleicht einer Theke mit Blick am Spiegel vorbei zum Fenster. Statt in der klassischen Sitzgruppe auszuruhen, kann man auf gepolsterten Borden hocken, chillen, lümmeln, liegen oder gleich sich in eine Hängematte fallen lassen und einen der schönsten Teile der City West überblicken. Der denkmalgeschützte Bikini-Komplex aus den fünfziger Jahren bestimmt wesentlich den urbanen Raum zwischen dem Bahnhof Zoo und dem Zoologischen Garten. Genau diese duale Situation zwischen Bärenzwinger und Alltagshektik hat Werner Aisslinger mit „Urban Jungle“ zum Thema für die Innengestaltung gemacht. Der Umsetzung kommt der Megatrend Natur zugute. Ohnehin gilt es als schick, Pflanzen im Innern wuchern zu lassen und tropische Atmosphären zu inszenieren. Hier setzt der studierte Produktdesigner an und bietet darüber hinaus neue Begegnungsformen etwa in der „Gewächshaus“-Loungebar im zehnten Geschoss. Und eine Konferenz wird kaum effizienter durch die vier bislang typischen Gestaltmerkmale Präsentationsfläche, Tisch samt militärisch ausgerichteter Stuhlreihe auf grauem Bodenbelag. Werner Aisslinger kombiniert Konferenz und Küche. Auf dass die Ideen brodeln. Wie innovativ der Design-Mai-Mitbegründer wohnen und leben interpretiert, hat er mit seinem „Michelberger Hotel“ im Friedrichshain („European Hotel Design Award“) als auch mit den lichtdurchfluteten mobilen 35-Quadratmeter-Behausungen „LoftCube“ und „FinCube“ vorgestellt.

Nicht allein „‚Form follows function‘, sondern ‚Function follows material‘“, so charakterisiert Katja Blomberg, Kuratorin der programmatischen Werkschau „The Home of the Future“, das Designverständnis Werner Aisslingers. Bis zum Frühsommer zeigte sich die Waldhaus-Villa in Zehlendorf in einem harlekinesken Kleid. Nein, nicht Op-Art, nicht Hundertwasser-Haus und auch keine Verhüllungsskulptur wie von Christo und dennoch von allem etwas. Werner Aisslinger hatte dem Haus am Waldsee einen Patchworkwollstoff übergestülpt. Es war ein symbolischer Akt, der die Denkrichtung beschreibt: „Die Zukunft liegt nicht in der Erfindung von Neuem, sondern in der Optimierung des Alten.“ Die konstruktive Strenge der Ulmer Schule trifft auf emotional-ironisches Memphis-Design und wird vom englischen Nonkonformismus Ron Arads und Jasper Morrisons wachgeküsst. So speisen sich die zumeist überraschenden Entwicklungen (vom modulen Regal „Endless Shelf“ über Stuhlexperimente wie NetChair oder HempChair bis zum Kühlschrank und nunmehr auch zu mundgeblasenen Glasvasen) Werner Aisslingers, dessen Lieblingsbeschäftigung die Zukunft ist.

Seine Küche in spe etwa gleicht einem Laboratorium, in dem die Bioprodukte im Regal gedeihen – Speisepilze auf Kaffeeersatz und Tomaten, Salat und Kräuter aus dem Dung der essbaren Fische, die sich im Aquarium eine Regalebene tiefer ernähren. Das Bad ist eine Nasszelle im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wasserdampf, der beim Duschen entsteht, wird von wasserspeichernden Textiloberflächen aufgenommen und an Grünpflanzen weiterge­reicht. Die ebenfalls textile Badewanne kann man wie einen umgekehrten Filzhut auf das gewünschte Volumen krempeln. Schon im vorigen Jahr sorgte das Projekt Chair Farm für Aufsehen. Ein Gartensessel aus Bambus oder anderen schnell wachsenden Pflanzen wird in Aluminiumgestellen gezüchtet und kann womöglich in Bälde, so Werner Aisslinger, überhaupt aus einem manipulierten Samen gleich auf dem Acker gedeihen. Die Zukunft ist eben nicht einfach das, was passiert, sondern eine Zeit, deren Fragen vorweggenommen werden müssen.

Anita Wünschmann

 

55 - Sommer 2013
Stadt