Darf ich bitten?

Clärchens Ballhaus ist Inbegriff und Synonym für Berlins legendäre Vergnügungswelt. Vor 100 Jahren eröffnete es in der Auguststraße und lädt noch heute zum Tanz.

Das Jahr 1913 ist ein wahrhaft denkwürdiges Jahr: „… ein Jahr, in dem alles möglich scheint …“, so heißt es bei Florian Illies in seinem Buch „1913“. Was Fritz Bühler in diesem politisch und kulturell aufgeheizten Jahr veranlasst hat, ein neues Ballhaus zu eröffnen, hatte sicher weniger visionäre Gründe. Der umtriebige Kenner der Vergnügungsszene – zuvor war er Betreiber der „Königssäle“ – und Hausbesitzer hatte ein sicheres Gespür für Erfolg versprechende Geschäfte und derartige Vergnügungsetablissements waren im damaligen Berlin eine Goldgrube. In Hunderten von Ballhäusern, über die ganze Stadt verteilt, zelebrierten die Berliner eine ganz eigene Tanzkultur, die heute fast vergessen ist. Das Bühlersche Ballhaus war, wie die meisten dieser Amüsierstätten, eine Mischung aus Tanz- und Esslokal, von den tanzbegeisterten Berlinern und Berlinerinnen enthusiastisch angenommen.

Man tanzte Polka, Walzer, Rheinländer und Schieber – die „einfachen“ Leute unten im Saal, die „Bessergestellten“ oben, im heutigen Spiegelsaal. Das änderte sich erst nach den Kriegsjahren, eine Zeit, in der Fritz Bühler und seine junge Frau Clara ums Überleben kämpfen mussten. Eine Wiederbelebung ihres Ballhauses gelang ihnen erst langsam wieder. Mit Witwenbällen und Vermietungen an Turnerschaften und Studentenverbindungen überbrückten sie die schwierige Nachkriegszeit, bis die 1920er-Jahre für das Ballhaus eine wahre Blütezeit brachten. Nach dem Tod Bühlers heiratete Clara Arthur Habermann, doch nur sie allein war die Herrscherin über den Tanzsaal, organisiert, streng, selbstbewusst: „In ein Ballhaus kann eine Frau allein kommen, ohne schief angesehen zu werden.“ Clara Habermann, die liebevoll „Clärchen“ genannt wurde, prägte das Ballhaus mit ihrer ganzen Persönlichkeit. Sie wohnte dort bis an ihr Lebensende 1971, zum Schluss in einer kleinen Wohnung mit direktem Zugang zum Spiegelsaal.

Dass Clärchens Ballhaus bis heute überlebt hat, ist den Nachfolgerinnen und Nachfolgern zu danken. Sie führten es durch die Zeitläufte mit dem gleichen Engagement, der gleichen Verve, der gleichen Liebe zum Tanz wie die Gründerin und machten es zum populärsten Ballhaus Berlins.

Was macht noch heute „Clärchens“ Faszination aus? „Weil es dort so eine selbstverständliche Gastfreundschaft gibt. Der Gast wird nicht an der Tür taxiert …“, so die Autorin Marion Kiesow, die ein wunderbares Buch über die wechselvolle Geschichte von Clärchens Ballhaus schrieb. Nach dreijähriger Recherchearbeit und mit eigener grafischer Gestaltung hat sie zum 100-jährigen Jubiläum am 13. September einen Prachtband vorgelegt, der Zeitgeschichte und Persönliches aufs Trefflichste miteinander verbindet. Die vielen, in akribischer Puzzlearbeit zusammengetragenen Zeitdokumente, Fotografien und üppigen Illustrationen korrespondieren genau mit dem jeweiligen Zeitgeist. Somit wird Berliner Kulturgeschichte einmal genussvoll anhand einer stadtbekannten Institution vermittelt.

Reinhard Wahren

 

Information

Berlin tanzt in Clärchens Ballhaus
Autorin: Marion Kiesow
100 Jahre Vergnügen
Eine Kulturgeschichte
ISBN-13: 9783894797843
ISBN-10: 3894797843
Preis: EUR 33,00

 

56 - Herbst 2013
Kultur