Alltag im Blick

„Ferner Osten“ und „Vor Zeiten“ heißen zwei neue Bücher des bedeutenden DDR-Fotografen Harald Hauswald. Eine Begegnung auf dem Alexanderplatz

Harald Hauswald steht direkt im Schatten unter der Weltzeituhr. Vor allem wohl deshalb, weil die Sonne an diesem Spätjulitag den Alexanderplatz schon erheblich aufheizt. 35 Grad werden es später noch werden. Harald Hauswald trägt T-Shirt und Jeans und kombiniert Vollbart mit grau-weißem, im Nacken zusammengebundenem Haar. Über die rechte Schulter hängt eine schwarze Kameratasche. Es gibt sicherlich nur wenige so leger gekleidete Bundesverdienstkreuzträger wie den 1954 in Radebeul geborenen, seit 1977 in Berlin lebenden Harald Hauswald. Er gilt als einer der wichtigsten Fotografen, die die DDR hervorgebracht hat. „Nach der Schule habe ich im Fotogeschäft meines Vaters gelernt“, erzählt er, nachdem er sich vor einem Café am Rand des Platzes an einen Tisch gesetzt und eine Weinschorle aus der Flasche bestellt hat.

„Aber mit Kunst war da gar nichts. Mein Vater hat meistens Ausweisbilder gemacht, und ich habe brav im Labor gesessen und entwickelt. Als ich im zweiten Jahr der Lehre noch immer keine Kamera in der Hand hatte, hab ich abgebrochen.“

Stattdessen arbeitete er als Industrieanstreicher, Aufzugsmonteur, Gerüstbauer, Rocktechniker bei verschiedenen Bands und leistete seinen Dienst bei der Volksarmee ab. Seine Gesellenprüfung holte er erst 1976 nach. Mit seinem Umzug nach Ostberlin arbeitet Hauswald unter anderem als Telegrammbote, Heizer, Restaurator, Laborant am Deutschen Theater und Fotograf in der Stephanus-Stiftung. Vor allem suchte er sich seinen Broterwerb danach aus, dass er in der Freizeit seine Fototasche umhängen und auf der Suche nach Motiven durch die Straßen flanieren konnte. Bei diesen Spaziergängen durch Berlin, aber auch bei seinen Ausflügen in die DDR-Provinz, entstanden die Aufnahmen, die ihn stetig bekannter werden ließen. Im Gegensatz zu den Fotografien, mit denen der Staat sich selbst bei offiziellen Anlässen feierte – 1. Mai, Tag der Befreiung, Staatsbesuche aus dem sozialistischen Ausland – interessierte sich Hauswald für Alltagsszenen. Er fotografierte spielende Kinder vor baufälligen Häusern im Scheunenviertel. Einen alten Mann, der am S-Bahnhof Pankow auf einem Mülleimer Blumen zum Verkauf ausgelegt hat. Oder betrunkene Jugendliche, die in einem gesichtslosen Freizeitclub irgendwo an der Elbe dämmern. Und wenn er die Bassistin Tatjana Besson bei einem Auftritt vor einer Brandmauer ablichtete, sah die DDR für die Zeit einer Fotoblende plötzlich aus wie London 1977. 

Somit geriet Hauswald auch schnell in den Fokus der Staatssicherheit. „Von 1977 bis zur Wende wurde ich täglich beobachtet. Morgens warteten sie    meist zu zweit vor meiner Wohnung.“ Heute kann er über die hartnäckigen Vertreter der Staatsmacht lachen. „Auch wenn die regelmäßig ausgetauscht wurden, konnte ich sie immer an ihren Brotbeuteln erkennen. Die konnten ja nicht wissen, wie lange und wohin ich an dem Tag gehen würde.“ Ausstellungen seiner zumeist schwarz-weißen Bilder gab es regelmäßig, doch oft nur in Privatwohnungen. Im staatlichen Kulturbetrieb gab es für einen wie ihn keinen Platz. 

Erst 1989, als die immer stärker werdende Opposition nicht mehr zu übersehen war, wurde Hauswald plötzlich vom Staat umworben. Nachdem er lange demonstrativ übersehen wurde, durfte er als Fotograf nun Mitglied im „Verband Bildender Künstler der DDR“ werden. Außerdem erhielt er für ein Jahr ein monatliches Stipendium von 500 Mark. „Dann kam die Währungsunion, und die letzten drei Monate bekam ich 500 DM.“ Wieder muss er lachen, und diesmal streckt er angesichts der Absurdität der damaligen Situation seine Hände weit in beide Richtungen.

Mittlerweile steht die Sonne direkt im Zenit über dem Alexanderplatz. Hauswald schiebt seinen Stuhl noch weiter in den Schatten und bestellt eine weitere Weinschorle. Dass der Platz als sein Lieblingsort in Berlin gilt, entspringt einem Missverständnis „Das kam daher, dass ich in Prenzlauer Berg wohnte, und meine Freundin in Kreuzberg. Wenn ich die besucht habe, musste ich immer hier umsteigen. Irgendwann habe ich mich gezwungen, einmal pro Woche hier auszusteigen, um ein Bild zu machen.“

Dass aus diesen Bildern 2012 ein Buch mit dem Titel „Alexanderplatz – Geschichten vom Nabel der Welt“ entstehen würde, lässt ihn noch heute schmunzeln.

Im staatlichen Kulturbetrieb gab es für einen wie ihn keinen Platz

Bis zur Wiedervereinigung galt Hauswald als reiner Schwarz-weiß-Fotograf. Dass er immer auch Farbbilder gemacht hat, kam erst ins Bewusstsein, als der Lehmstedt Verlag zur Buchmesse in Leipzig das Buch „Vor Zeiten – Alltag im Osten“ herausbrachte. Damals wurde für das Leonhardi-Museum in Dresden etwas geplant, was intern „Best of DDR“-Ausstellung genannt wurde. Bei den Gesprächen kam heraus, dass Hauswald auch Hunderte von Farb-bildern hatte, die zumeist nur noch nicht eingescannt worden waren. Für Lehmstedt war das Grund genug, den vor kurzem erschienenen Band „Ferner Osten – Die letzten Jahre der DDR“ heraus-zubringen.

Für die Zukunft hat Hauswald unter anderem eine Fotoreportage die Elbe entlang geplant. Von Meißen bis Mag-deburg ist er schon mit seiner Freundin per Rad gefahren. „Ich könnte mir vorstellen, noch ein Stück weiter fluss-abwärts zu fahren. Vielleicht sogar, bis sie in die Nordsee mündet.“ Aber wahrscheinlich wird er dazu so oft wie möglich Schiffe benutzen. „Von Deck aus rausfinden, welche Ortschaft die interessanteste ist, und dann mit dem Rad zurückfahren. In Ruhe Fotos machen, essen und übernachten.“ Vor einigen Jahren hat Hauswald ein Klassentreffen besucht. Der Gedanke daran schüttelt ihn noch heute. „Da waren Leute dabei, für die war das aufregendste Ereignis in ihrem Leben die eigene Scheidung.“ So will er nicht enden. „Nächstes Jahr werde ich sechzig. Da finde ich es noch zu früh, einen Best-of-Band über mein Lebenswerk rauszubringen“, überlegt er. „Aber zum siebzigsten? Ja, das könnte ich mir vorstellen.“

Knud Kohr

 

Information

Harald Hauswald:
Ferner Osten – Die letzten Jahre der DDR.
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013. 175 Seiten, 29,90 Euro
Vor Zeiten – Alltag im Osten.
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013.
248 Seiten, 29,90 Euro.

 

56 - Herbst 2013
Kultur