Haarig, flauschig, fransig – BODENSTÄNDIG

Wenn man mit einem Klischee beginnen möchte, könnte es so klingen: Ein klassischer „Perser“ wog Tonnen, lag rotbunt gemustert auf dem Boden, die Fransen schön gerade und gab der Guten Stube den staubigen Geruch. Das ist vorbei. Lange schon, vielleicht seit den Sechzigern, seit Flokati und Flickenteppich. Aber der Teppich, auch handgeknüpft, ist wieder zurück und teilt sich die Zuneigung mit dem flach gewebten und beidseitig verwendbaren Kelim und neuerdings auch mit Strickware für den Boden (Gan Rugs). Überall Teppiche. Streifen flach gewebt, Streifen geknüpft und ein so dichter Flor, dass ihn kaum ein Küchenmesser spaltet. Riesenrosenteppiche, als hätte eine ukrainische Volkstanzgruppe ihre Tücher abgelegt, all die Rhomben und Blütchen in Türkis und Rosé, Gold, Silber und Blau, nur eben abgetreten für den Vintagelook. Dann noch Flickenteppiche oder tuffige Knäulchen in knalligen Farben, Langhaariges, Flauschiges, dünn, fest  oder mehrschichtig, in 3-D-Optik. Wie soll man sich da entscheiden? Es gibt erstens Vorlieben mit Fraktionscharakter: Orientteppich vor Kamin und Kelim vor der Bibliothek oder umgekehrt. Dann der Geldbeutel. Und schließlich eine Fülle an Fachinformation zu Webbreiten oder Knoten und Farben, Wolle, Seide, Herkunftsland. Keine Kinderarbeit, das ist die Basisübereinkunft. Die Mitgliedschaft in einer der NGOs wie z. B. der Schweizer Organisation Step gilt als Standard für eine junge Generation der Teppichmacher. 

Die neuen „Perser“ kommen aus Nepal. Sie wetteifern um Knoten, Muster und Kunden

Wolle auf dem Boden macht ein Zuhause wohlig. Gegen einen schönen Teppich ist nichts einzuwenden. Man kann weich zu Boden gehen. Na, und Yoga auf dem Teppich, oder kleine Autos rollen lassen und Türmchen bauen. Der Trend zum Perser nimmt seit einigen Jahren zu. Designer aus Deutschland kreieren, was der Faden hergibt.    

Der Perser, das meint landläufig einen per Hand geknüpften Teppich, der ursprünglich, wie sein Name sagt, aus dem Iran kommt, dem einstigen Persien. Aber längst sind diverse Herstellungsländer darunter subsumiert und gar ein Tibeter oder ein anderer asiatischer Teppich firmiert in der Umgangssprache unter diesem Begriff, der insofern wieder akzeptabel ist, als ein Perser heute vielleicht in Katmandu hergestellt wird und sein Design in Berlin nach einer Mustervorlage aus dem einstigen Persien kreiert wurde. 

Sagen wir also Orientteppiche (und denken einfach Asien dazu).  Zur jungen Liga z. T. preisgekrönter Designer und Produzenten gehören Hossein Rezvani (Hamburg), Jan Kath (Bochum), Birgit Krah, Franziska und Thorsten Reuber (vom Label Reuber&Henning) oder Jürgen Dahlmann (Rug Star) aus Berlin.

Jan Kath, der gerade im September mit der Firma Nyhues einen Flagshipstore in Köln eröffnet hat und von Berlin bis New York präsent ist, gilt als Star in der Branche. Er kommt aus einem Teppichhändler-Traditionshaus und kreiert eigene Entwürfe, für die er Seide, Wolle und Nessel in je verschiedenen Anteilen dabei auch speziell nach Kundenwunsch in Nepal verknüpfen lässt. Mit seinen Designs lädt er zum Reisen ein. Ab geht es nach Tokio mit flirrenden Cityimpressionen oder nach Russland mit berauschenden Teppichen wie „Malenka orange“, auf denen der Bochumer Rosen blühen lässt als gäbe es ein opulentes Fest (Serie: „From Russia With Love“). Man fliegt mit seinen Teppichen über orientalische Städte, kreist hier- und dorthin und landet in den Traumgärten des Paradieses. Es geht auch monochrom. Jan Kath wiederentdeckt geometrische und florale Muster traditioneller Textilien und verpasst ihnen mit einer zweiten Ebene aus linearen Kompositionen bzw. mit einem Vintageeffekt eine modern-magische Anmutung. 

Hossein Rezvani ist in den Dreißigern, ein gelernter Betriebswirt und kommt aus Hamburg. Seine Luxusteppiche, die selbst in China gehandelt werden, schimmern von Zinkgrün bis Schwefelgelb („Classic Collection“). Ein zwölf Quadratmeter großes Original aus feinster Hochlandschafwolle benötigt für Kette und Schuss und Raupenseide für den Flor fast ein halbes Jahr Fertigungszeit. 400 000 Knoten pro Quadratmeter werden für einen Teppich in Premium-Qualität verknüpft. Und es geht sogar noch aufwendiger. Eine „Super Fine Quality“ besteht aus einer Million Knoten und flirtet so mit der Eleganz der Klassiker in sogenannter Hereke-Knüpfung mit bis zu sechs Millionen Knoten. Die ohnehin unübersehbare Vielzahl an Knotentechniken nach Herkunftsländern und Regionen, die Muster und Farben sind mit den neuen Designs vervielfacht. Das Tempo nimmt zu, und die Frage ist, wird von Kacheln bis Landkarten alles vermustert, nur weil es jetzt „Pattern“ heißt und am Bildschirm entsteht? 

„Man kann unglaublich reiche Effekte erzielen“, erklärt die Designerin Birgit Krah. „Da ein Knoten aus drei Fäden besteht, kann man diese hinsichtlich der Materialwirkungen wie Glanz für Seide, Stumpfheit bei Nessel, der Dicke der Fäden und der Farbe variieren.“ Die Arbeitsabläufe in den Manufakturen – scheren, waschen, färben – haben sich kaum geändert. Allerdings – und darin liegt die Herausforderung für die Knüpferinnen – verlangen die neuen Ornamente, bei denen der Rapport, der Singsang des Altgewussten, vielfach durchbrochen wird, ein anderes Sehen. Aus dem Kopf knoten, funktioniert nicht mehr. Teppichmaler konvertieren das computergenerierte Design in originalgroße Papierbilder, die zum Teil noch per Hand koloriert werden. Jan Kath fliegt einmal im Monat nach Nepal und guckt, wie seine Teppiche wachsen und ob sonst alles stimmt. Er will nichts Geringeres als die „Antiquitäten der Zukunft“ produzieren und denkt vielleicht an namhafte Entwürfe wie etwa „Triumph der Farbe“ von Koloman Moser aus Wien oder Werner Pantons Kreationen aus den Sechzigern. Birgit Krah und Franziska Reuber, die in Weimar bzw. an der Kunsthochschule in Weißensee Malerei studiert haben, malen ihre Designs gelegentlich noch auf Papier. Ihre Teppiche erzählen Geschichten, legen Streifen zu Füßen oder zaubern mit der „Lost-in-Translation-Serie“ eine subtile Erinnerung an alte Ornamentik hervor. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt einfach“, wird im Stilwerk erklärt. Jürgen Dahlmann kracht mit seinen Entwürfen einfach mal los und lässt Riesenschmetterlinge samt Heuhüpfer, kraklige Linienarabesken oder Impressionen der Erdoberfläche in Wolle und Seide arbeiten, an Rauten und Bordüren kommt auch er nicht vorbei. Es geht um den „Twist“ zwischen Tradition und Coolness, jene schwer zu fassende ästhetische Faszination, die den Zeitgeist ausmacht. „Ich entwerfe Seelenflächen“, so nennt es der gelernte Architekt Jürgen Dahlmann, der in Berlins Mitte seine Kreationen zeigt. Das Perfekt-Unperfekte, das Fragment und visuelle Transfers (Kacheloptik, Schrift), Überfärbungen bestimmen das Design der jungen Orientteppiche. Und dann heißt es: Nomadenwissen um Wärme und Geborgenheit und das Belebende sinnlicher Schönheit breitet sich zunehmend auf den (nicht selten gut beheizten) Metropolenböden aus. Ein Teppich ist dabei nicht einfach nur ein Teppich, sondern ganz großes Kino oder stille Schönheit. Schön praktisch, Erbstück oder Urlaubsmitbringsel. Ein Kultobjekt („I Love you“, Jürgen Dahlmann) oder eben ein Schnäppchen, weil ein großer deutscher Teppichhändler, mal wieder eine „Alles-muss-raus-Aktion“ ins Leben gerufen hat. Auch die Krise liefert Argumente für Knoten, Wolle und Seide – und für eine mannigfache Wiederbelebung traditionellen Textilhandwerks von Nepal bis Sachsen.

Anita Wünschmann

 
56 - Herbst 2013