Große Retrospektive zum 100. Jubiläumsgeburtstag von Meret Oppenheim im Martin Gropius Bau.
Die Pelztasse oder den Vogelfußtisch verbindet man gemeinhin mit der Künstlerin Meret Elisabeth Oppenheim (1913 - 1985), deren zweihundert Werke umfassendes Oeuvre in einer opulenten Schau vorgestellt wird. Dass sie Künstlerin werden wollte, wusste die Basler Gymnasiastin schon mit Siebzehn als sie die Gleichung "x gleich Hase" ihrem Vater überreichte. Das später zum Kunstobjekt avancierte Collegeheft, weiter zwei Gemälde aus den Achtzigern, die Meret Oppenheim Karoline von Günderrode und Bettina von Arnim widmete, dazu ein Röntgenbild mit Ohrschmuck oder mit Tusche bzw. Bleistift fein durchgearbeitet ein Selbstporträt und eine Altersvision bilden den Auftakt der thematisch mäandernden Werkschau. Sie wurde von Heike Eipeldauer kuratiert und bereits in Wien gezeigt. Ich- und Außenwelt verhaken sich bei Meret Oppenheim zu subtilen, gelegentlich drastisch, fetischhaften Objekten und Installationen oder scheinen sich wie in den späteren Spiral- und Nebelbildern aufzulösen. Ein Brief vom Psychoanalytiker C.G. Jung, der auf Wunsch des besorgten Vaters die junge Dame untersuchte, bescheinigt 1935 ihre sensible Kreativität und Ernsthaftigkeit. Die gebürtige Charlottenburgerin, die Ihr Leben vor allem in der Schweiz verbracht hat, kombiniert, verfremdet, zerstückelt und findet suggestive Bilder. "Man weiß nicht, woher die Einfälle einfallen. Sie bringen ihre Form mit sich...", erklärt die Künstlerin. Wörter und Träume sind zugleich Ausdrucksträger und Material ebenso wie Farben, Federn und Fundstücke. Die Schamanin, so zeigt sich die Künstlerin mit Tätowierungsmaske kurz vor ihrem Tod, verbindet Seelengrabung(diese durchaus schon 5000 vor Christus ansetzend) mit spontanem Einfall. Die Auseinandersetzung mit Erotik, Sex und Geschlecht(etwa das an den spitzen verklebte Stiefellettenpaar "Meine Kindfrau", der "Würgeengel" oder die Abendkleid-Figurine mit nackter Brust, an deren Brustwarzen Strumpfbänder befestigt sind), der Surrealismus als Bildstrategie und illustres Treiben vom Montparnasse, die Wahlverwandtschaft mit Marcel Duchamp, ihre "Traumprotokolle" - all das wird mit Meret Oppenheims Kunst verbunden. Am Anfang - man kommt nicht umhin - war die Pelztasse, "Déjeuner en fourrure" („Frühstück im Pelz“) aus dem Jahr 1936, obwohl im Gropius-Bau nur ein Foto auf Pink von Man Ray an das viel besprochene Objet trouvé erinnert. Dieses haarige Alltagsding wurde von Alfred Barr jr., dem ersten Direktor des Museum of Modern Art, für das New Yorker Haus angekauft. Hatte Meret Oppenheim bei ihrem Caféhauseinfall an Peter Paul Rubens "Das Pelzchen"(1638) gedacht, wo die porzellanhäutige Kindfrau nackt im Fellmantel posiert und das erotisierende Klischee aus der Malerei in einen frechen Kommentar samt haptischer Irritation transformiert? André Breton assoziierte Monets "Frühstück im Grünen". Auf jeden Fall taugte das Verwirrspiel mit dem assoziationsreichen und kitzligen Material noch für einen Armreif, für den Bierkrug mit Eichhörnchenschwanz(1933) und für die Handschuhe mit rot lackierten Nägeln(1936), die wie abgeschlagene Pfoten dem Betrachter präsentiert werden. Schon ihr Vorname Meret galt als Programm und ist dem Meretlein, der kindlichen Verführerin im smaragdfarbenen Kleid, aus dem "Grünen Heinrich" von Gottfried Keller entlehnt. Von ihrer Kurzzeitliebe Max Ernst wird sie ebenfalls mit Bezug darauf als "Hexenkind des Surrealismus" betitelt und von Alain Joffrey ist der Ausruf überliefert: "Ich bewundere Meret als die freieste Frau, die jemals existierte." Warum? Weil sie "an der Terrasse des Dome in die Hüte der allzu geschwätzigen Herren urinierte," Aber Meret Oppenheim, die androgyn wirkende junge Frau mit den dunklen Augen ließ sich nicht vereinnahmen, nicht für den Feminismus und nicht für Kunst-Ismusse. Die Freiheit muss man sich selbst nehmen, sagt sie bei der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Basel im Jahr 1974. Sowohl die frühen Fotografien von Man Ray, für den sie als Aktmodell vor Druckerpresse posierte(zum Schock der Basler Gesellschaft, aus der sie stammte) wie erst recht das ironiegespickte Schachbrettobjekt „Bon appetit, Marcel“ geben eine Ahnung davon, was gemeint ist. Oder das Blatt "Husch, Husch, der schönste Vokal entleert sich". Auf einer pieksigen Hutnadel, hüpfen rot, blau, gelb und grün abstrakte Zeichen, derweil eine graue Wolke alle Farben verschluckt. So hat sie Abschied von Max Ernst genommen. Die Liebe war vorbei. Aber aus ihren Bildzeichen kreiert sie gleich noch eine Brosche. 1932 kam sie als Neunzehnjährige gemeinsam mit einer Freundin nach Paris. 1938 flüchtete sie in die Schweiz. Es gab freilich genug Anlass, die eigenen Alpträume ernst zu nehmen, selbst wenn das Leben in der Seine-Metropole zunächst noch lustig war. Die Muse der Surrealisten, wie sie ob ihrer Leidenschaften und der Rollenzuschreibung betitelt wurde - ein Klischee, gegen das sie sich zeitlebens gewehrt hat - zeichnet mit wenigen Strichen: "Einer der zusieht wie ein anderer stirbt"(1933), "Dann leben wir eben später" und "Weltuntergang". Die kleine Malerei "Krieg und Frieden(1943) verbindet sie mit einem Text aus den Siebzigern: "Oh Traurigkeit. versunken in den blauschwarzen Gruben dunkler Blätter. Umstellt mich finstre Gestalten." Weiter: "In den Schluchten Qualm und riesige Tierleiber rollen." Es endet: "Ich fröstle in der Morgenkälte." So bilderdicht hatte auch Nelly Sachs Zeit bewältig. 1939 entsteht "Die Leiden der Genoveva" mit Anspielung an jene Pariser Heilige, die dazumal immer noch in der Lage war, Gefahr abzuwenden. Meret Oppenheim lässt nach langer Schaffenskrise Spiralen und Monde, Augen und Münder, Bäume, Geister, Gehörn und Schmetterlinge in Bilder und Worte wachsen. Ihr "Teich in einem Park" flirrt nicht im Licht und voller Seerosen, vielmehr liegt er erstarrt in schwebender Stille. Dann auch: "Schwarze Strichfigur vor Gelb" dünn wie ein Giacometti-Abdruck. Lebbar ist nur das Groteske. Und es scheint, als gäbe es nicht Befreienderes als das noch makaberste Maskenspiel zur Fastnacht in Basel.
Anita Wünschmann
Martin-Gropius-Bau,
Niederkirchnerstr.7.
Bis 1. 12., Mi–Mo 10–19 Uhr.
Kooperation der Berliner Festspiele mit dem Kunstforum Wien.