Edith Hancke, Sonntagskind mit glanzvoller Schauspielerkarriere, feierte kürzlich 85. Geburtstag. Nach deutscher Teilung und Mauerbau war sie mit kessem Humor und unverwechselbarer Stimme die beste Botschafterin ihrer schwer geprüften Heimatstadt Berlin.
Schon als Sechsjährige hatte Edith Hancke ein klares Berufsziel. Sie gesteht: „Ich wollte Kartenabreißerin im Kino werden, weil man da alle Filme umsonst und mehrmals sehen kann.“ Es ist anders gekommen. Sie wurde selbst ein Star am Theater, beim Film und im Fernsehen. Allein 50 Kinofilme und Fernsehspiele hat sie gedreht. Beileibe nicht nur leichte Unterhaltungskost wie „Peter schießt den Vogel ab“ oder „So liebt und küsst man in Tirol“ und Krimis wie „Die seltsame Gräfin“ sowie populäre TV-Serien wie „Drei Damen vom Grill“. In ihrer Leistungsbilanz finden sich auch dramatisch anspruchsvolle Rollen in Filmen wie „Der Biberpelz“, „Himmel ohne Sterne“ und „Der Hauptmann von Köpenick“. Auf Berliner Bühnen wie dem „Renaissance-Theater“, der „Tribüne“ oder der „Komödie“ und dem „Theater am Kurfürstendamm“ konnte sie ebenfalls oft beweisen, wie breit ihre schauspielerische Skala und wie stark ihre künstlerische Ausdruckskraft ist. Edith Hancke war selbst in schwachen Stücken immer von höchster Präsenz und Sehenswürdigkeit. Außerdem ein Publikumsmagnet, der stets ein volles Haus garantierte. Nicht weniger als 13-mal wurde ihr der „Goldene Vorhang“ als beliebtester Berliner Schauspielerin verliehen. Im Jahr 2000 kam die „Goldene Kamera“ für ihr Lebenswerk hinzu. Mit dem „Bundesverdienstkreuz“ wurde sie bereits 1987 geehrt.
Doch aller Anfang war schwer. Edith Hancke kam am Sonntag, dem 14. Oktober 1928, als Kind einer Ur-Berliner Familie in Charlottenburg zur Welt. „Ein Sonntagskind hat immer was zu lachen“, behauptet sie zwar selbst. Aber sie hatte es auf ihrem Weg zur Kunst durchaus nicht leicht. Zierlich von Gestalt (1,53 m, 48 kg) und mit Piepsstimme ausgestattet, die sie einer nicht ganz gelungenen Mandeloperation in der Kindheit verdankt, war sie nicht gerade prädestiniert fürs Theater. Doch da ihre Eltern (Vater Bankkaufmann) gleich zwei Theaterabonnements besaßen (für Schiller-Theater und Freie Volksbühne), wurde ihr ers-t-er Berufswunsch (Kartenabreißerin) schon früh vom Traum einer Schauspielerkarriere abgelöst. Als 1943 der „Totale Krieg“ ausgerufen wurde und alle Schulen schlossen, sollte die 15-Jährige zwar erst mal als Kriegsdienstverpflichtete bei Siemens Schrauben sortieren, aber ihr Vater hatte die rettende Idee und meldete sie beim Lette-Verein zur Hauswirtschaftslehre an. Edith Hancke erinnert sich: „Vater sagte: ‚Kochen musst du sowieso lernen‘. Aber seither kann ich auch nähen und perfekt bügeln.“ Ihr Mann Klaus Sonnenschein, mit dem sie in dritter Ehe seit 41 Jahren glücklich verheiratet ist, weiß das zu schätzen. Als Edith nach Kriegsende ihrem Vater eröffnete, dass sie nun Schauspielerin werden wollte, warnte er: „Kind, du musst wissen, worauf du dich da einlässt. Da kommen sicher manche Herren, die dir viel versprechen, was auf unschöne Art enden könnte.“
Als sie 1948 nach erfolgreicher Ausbildung bei dem großen Regisseur Erich Engel für die Rolle der Adelheid in Hauptmanns „Biberpelz“ vorsprechen wollte, verlangte der als Erstes: „Heben Sie mal den Rock hoch!“ Edith: „Nee!!!“ Daraus ergab sich ein kurzer Wortwechsel. Ergebnis: Engel warf sie raus. Doch Verzagen geht gegen Edith Hanckes Natur. Sie kehrte am nächsten Tag zum Vorsprechen bei der „DEFA“ nach Babelsberg zurück. (Berlin war ja damals noch nicht geteilt. Viele Schauspieler aus Berlin-West arbeiteten auch in Berlin-Ost.) Diesmal hatte sich die 20-jährige Edith bereits als „Adelheid“ verkleidet mit Zöpfchen und alten Klamotten, was sie unter Kopftuch und langem Mantel verbarg. Engel erkannte sie nicht wieder. Nur Helene Weigel, der Witwe Bert Brechts, die seinerzeit das „Berliner Ensemble“ leitete, fiel etwas auf. Sie fragte Edith, warum sie den Mantel nicht ablege. Edith entgegnete, das werde sie erst auf der Bühne tun, denn das gehöre für sie zur Rolle. Dann legte sie los. Engel wollte zwar eine 14-Jährige für die Rolle, aber Edith spielte die sechs Jahre einfach weg. Engel gab sich geschlagen. Sie bekam die Rolle. Ihr Weg zur großen Karriere begann.
So liebenswürdig sie privat auch ist, beruflich zog sie bei Bedarf auch andere Saiten auf. Klaus Sonnenschein sagt: „Da lebt meine Frau nach dem Motto: ‚Nur keinem Streit aus dem Wege gehen!‘ Auf der Bühne kennt sie keinen Kompromiss.“ Über junge Kollegen kann sie sich schon mal sehr ärgern, wenn diese beispielsweise nicht pünktlich zu den Proben erscheinen. „Ich bin vom alten Schlag und preußisch in meiner Pflichtauffassung.“ Nach einem Schlaganfall 1997, dessen Folgen sie mit eisernem Training erfolgreich bekämpfte, kehrte sie zwar wieder auf die Bühne zurück und spielte große Rollen wie in dem Volksstück „Fenster zum Flur“ von den Berliner Autoren Curt Flatow und Horst Pillau oder in „Pension Schöller“. Bis 2009 drehte Edith Hancke auch noch TV-Filme wie „Schaumküsse“ an der Seite von Christine Neubauer. Doch jetzt ist sie müde geworden, hat sich vor einiger Zeit still und leise aus dem Berufsleben zurückgezogen. Ganz ohne Abschiedsvorstellung. Die wollte sie nicht. Warum nicht?
„Es ist einfach genug gewesen“, sagt Edith Hancke: „62 Jahre! Soviel Arbeit! Ich will jetzt mit ,Sonne‘ privatisieren.“ Ein Platz auf der Liste unvergesslicher Berliner ist ihr gewiss.
Gudrun Gloth