Magische Kreise – abstrakte Bilder

Die Ausstellung „The Unseen Seen. Film im neuen Licht“ im Filmmuseum am Potsdamer Platz

Das Schöne am Menschen ist seine Neugierde. Seine Fähigkeit zu fragen und zu staunen und immer wieder daran zu glauben, dass selbst der Alltag ein Raum für Entdeckungen ist.

Aber „Was ist das?“, fragt man sich beim Betreten des nachtschwarzen Raumes. Aus der Dunkelheit heraus, die natürlich ebenso  an Kino und Filmvorführung erinnern soll wie sie einen geheimen schatzträchtigen Ort verspricht, leuchten farbige Kreise. Sie strahlen wie die Iris eines Auges. Sie wirken wie monumentalisierte CDs oder besser, sie erinnern an Vinylplatten. Bei einigen kann man auch den fantastischen Farbeffekt eines  beschleunigten Kreisels assoziieren.  Was hier in der Sonderausstellung des Filmmuseums zu bestaunen ist, sind Fotografien des österreichischen Fotografen Reiner Riedler. Die abstrakte Farbschönheit, man glaubt moderne Mandalas, zu sehen, lässt zunächst nicht erahnen, dass ihr Ursprung Filmrollen sind. Die schwarzen Diskusse aus den silbernen Blechbüchsen, auf denen ganze Jahrhundertgeschichten gespeichert sind, herausgeholt aus ihrem   Archivalltag. Der  Filmarchivar und angehende Bildwissenschaftler Volkmar Ernst hat gemeinsam mit Reiner Riedler das Konzept für das fotografische Vorhaben entwickelt. Was lässt sich durch die Ablichtung des reinen Schwarz, des dunklen Kreises mit seiner Mittelspule überhaupt für ein Bild gewinnen, und was wiederum geschieht – ausgelöst durch Foto und Titel – im Kopf des Betrachters? Dreht es sich dann? Spulen sich Dialoge erneut ab? Riecht man den Sand der Wüste und spürt Glück und Schmerz erneut? Dabei ist es nicht viel anders, als wollte man den Papierschnitt eines Buches visualisieren, um die Figuren eines Romans erneut zu imaginieren. Es ist anders: Das Medium an sich, ganz und gar ohne seine Narration, interessiert. Es wirkt wie ein Experiment, allein die Oberfläche der Sammlungsstücke nach optischen Informationen abzusuchen. Während mehrerer Besuche des Filmarchivs fotografierte Reiner Riedler die Archivalien. Er wählte immer ein  hinterleuchtendes, gleichbleibendes Licht,  immer die gleiche fotografische Einstellung. Und das Ergebnis? Überraschend. Bunt. Faszinierend. Auch irritierend. Ist es Zufall oder drückt sich hier ein Code aus, wenn etwa die Filmrolle, eine Kopie, von Kie´slowskis „Drei Farben Blau“, schließlich auch als Foto blau aus dem Dunkel strahlt? „Es ist kein Gesetz erkennbar“, erklärt Volkmar Ernst. Das Material, die Spuldichte, winzige Scharten – all das präsentiert sich als Abstraktion im digitalen Foto, als Farb- und Lichtspur. Es gibt eine einzige fotodokumentierte Regelhaftigkeit: hell und leuchtend, feurig orange zuweilen oder gar Pink sind die Fotos von Polyesterfilmrollen. Acetat, worauf in früheren Jahren kopiert wurde, ist ein dichteres Material. Bis auf die lichten Bobbys, die Plastikspulenaufsätze in der Mitte, bleiben die Fotos daher eher dunkel. 

Das Filmarchiv der Deutschen Kinemathek versammelt mehr als 13 000 Titel – Filme der verschiedensten Formate, Genres und Richtungen, nationale und internationale Produktionen, darunter „Good Bye, Lenin“, „Casablanca“, „Der blaue Engel“, „Citizen Kane“ oder „Gespenster“, die in der Ausstellung zu sehen sein werden. Werden sie zu sehen sein? 

Neben der ästhetischen Neuentdeckung will die Schau die Vergänglichkeit des analogen Filmmaterials ins Bewusstsein rufen. Manche Filmrollen unterliegen einem autokatalytischen Prozess, das heißt, sie zersetzen sich selbst. Möglicherweise bleibt als einziges Dokument einer großen Geschichte ein eindringliches farbiges Mandala, das Sichtbarnichtsichtbare. 

Anita Wünschmann

 

Ausstellung

The Unseen Seen. Film im neuen Licht
Bis 27. April 2014
Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen
Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin

 

57 - Winter 2013/14
Kultur