Birne, Federboa oder Wolke – Licht braucht Form
Allein die Torstraße entlangzufahren und in die wachsende Anzahl von Schaufenstern zu gucken, nur weil man glaubt, das „Stop and go“ schleppt sich weiter so dahin, kann zu Unannehmlichkeiten führen. Aber auch zu Entdeckungen.
Selbst von der Straßenmitte aus erkennt man das feine Leuchtengespinst, die braun schimmernden Glaskugeln, mit denen der Designer Omer Arbel (Firma Bocci) für Furore sorgte. Man kugelt sich also ein bisschen die Augen aus, ehe erneutes Rücklichtrot im letzten Moment noch seine wirkungsvollen Signale sendet. Licht als Schönheit und Licht als Warnung.
Bocci ist eine kanadische Firma mit einer Dependance in Berlin. Weißmilchglaskugeln werden zu ganzen Bündeln drapiert oder vertikal gehängt wie an einem Echolot, es gibt Netzkonstruktionen und modulare Kugelgebilde, die im Raum ihre etwas surreal verspielte Wirkung entfalten. Bei der „Serie 38“ fungieren die schimmernden Glasblasen zugleich als Leuchten und Biotope. Licht und Grün gehen eine Symbiose ein.
Ein anders auffälliges Lichtobjekt sieht man gleich gegenüber. Es ist die legendäre Lampe, ein Fast-Schon-Klassiker, die der Architekt Frank Gehry für das Schweizer Unternehmen Belux entworfen hatte. Es ist „Cloud“ – die Wolke aus der gleichnamigen Produktserie. Cloud wiederum wurde zigmal zitiert und variiert. Die weiße duftige, knautschige Wolke, die da in einem Laden hängt, ist aus einem veredelten Polyestervlies entwickelt worden, bleibt quasi alterslos und belastbar und sieht aus, als hätte einer Lust gehabt, eine ganzen Berg Papier zu zerknüllen. Beiden, so verschiedenen Schönheiten ist gemeinsam, dass man sie zu Hause oder eben in einem öffentlichen Raum additiv oder frei kombinieren kann. Produkt- und Autorendesign verschränken sich, ohne dass Letzteres auf die Spitze einer artifiziellen Geste getrieben wird. Von der Wolke zu „Cosmo“ – modular, Hightech, soft und atmo-------
s-phärisch, das sind schon ein paar
Aspekte für neues Leuchten. Kugel, Kegel, Ellipsen – die Geometrie bleibt. Sie zeigt sich in reinster Form oder gezerrt, gestaucht, gerupft, solitär oder als Schwarm. Die „schicke“ Mitte Berlins leuchtet ziemlich modern und zunehmend nobel parallel zu den Handmade-Installationen, den Trödelmarktlüstern, den bunten Asialämpchen und zeitgleich auch zu den zahlreich vertretenen Ikea-Papierballons mit ihrem Charme und der leider mickrigen Lichtausbeute.
Apropos Lichtausbeute und Lichtwärme! Die Trauer über den EU-verordneten Verlust der Glühbirne ist, so scheint es, vorbei. Mit zahlreichen Kreationen, die sich an der organischen Gestalt, an den sympathischen Rundungen abgearbeitet haben, wurde Abschied genommen von dem energiefressenden, energiespendenden Jahrhundertding und dabei mit harscher Kritik an der optischen Qualität neuer Leuchtmittel eine furiose Entwicklung gerade dieser vor-angetrieben. Led, Oled, weiß und warm. Soviel Licht war nie. Es wird ausgebreitet, auf den Punkt gebracht, es regnet herab, strahlt hinauf oder herunter, erwärmt Wände und Gefühl und zeigt sich in der Symbiose mit neuen Gehäusen und Beschirmungen vor allem weich, diffus, sanft und blendfrei. Das Repertoire der Wand-, Boden- und Tischleuchten, der Außen- oder Innenbeleuchtung, der Arbeits- und Leselampen, der Kurzfüßler und Langbeiner, der Krummen und Geraden, Pendel- und Bogenlampen, ja selbst der Kronleuchter ist so zahlreich und different wie allein schon die Typisierungsversuche.
Das Bauhaus, die Vierziger bis Sechziger, Pop aus den Achtzigern – alles ist Denkmaterial für die Produktdesigner und wird, da wo es am besten ist, nicht nur aktualisiert und aufge-hübscht, sondern mit zukunftsversprechenden energetischen und materialtechnischen Innovationen, der Erforschung neuer Technologien (Handwerk trifft auf Hightech) verbunden. Das ist zumindest eine Forderung von Designern wie Konstantin Grcic, der sich selbst einer industriellen, formstringenten und mobil-unkomplizierten Produktentwicklung verpflichtet fühlt. Design entsteht aus Design. Wie oft etwa wurde die Pendelleuchte „Toldbod 120“ von Louis Poulsen neu interpretiert? Auch an der funktionalen Schlichtheit von skandinavischen Lamellenlampen, am Retrocharme überhaupt haben sich etliche Designer versucht. Das Ähnliche ist eben nicht das Gleiche! Das weiß man. Und trotzdem oder gerade deshalb fasziniert die aus Birkenholz geschnittene Hängeleuchte Aspiro 8 000 von Seppo Koho (Secto Design). Die sehr effektvolle Methode des Relaunch findet man zum Beispiel bei der 2006 von Marc Sander für Floss kreierten Bogenlampe „Twiggy“. Jetzt verfügt sie über LED-Leuchtmittel und ihre ohnehin filigrane Bogengestalt zeigt sich in puderig pastellenen Pulverbeschichtungen noch fragiler. Fragilität ist die emotionale Schwester eines in Wirklichkeit ganz robusten Minimalismus, der sinnliche Oberflächen, feine Lineatur und Belastbarkeit des Materials miteinander verbindet. Der Brite Benjamin Hubert ist einer der jüngeren und preisgekrönten Designer, die bis zur Kontur präzise Formen erarbeiten. Sein Credo ist das Konkrete, welches in subtilen Farbabstufungen etwa als Pendellampen über einem ultraleichten Esstisch hängen könnte. Um einige Temperaturgrade kühler arbeitet der Schwede Björn Anderson. Er zeigte im Frühjahr 2013 seine kubistischen Leuchten auf dem Berliner Designfestival DMY: scharfe Kanten, schnittgenaue Gestalt, aber nicht minder sanftes indirektes, diffuses Licht. Von der Geometrie zum Federvieh! Das eine muss zwar das andere nicht ausschließen, aber wenn eine Stehlampe von einem Schirm bekrönt ist, der aussieht, als wäre ein Kissen geplatzt (Lampenkollektion Eos, VITA) und das Innere hätte sich zur Kugelform verdichtet, dann besticht eben weniger die Form als das haptische Vergnügen. Federn sind ein Trend, den Ingo Mauer mit „Birdie“ zeichnerisch und etwas verspielt 2002 vorgemacht hat und der jetzt dank Materialfülle – alles handmade – und äußerst behutsamer Drapierung auch wieder an eine Wolke erinnert und, ja, den Winterblues vertreiben hilft, weil man auch von Gänseliesel und grünen Wiesen träumen kann. Auch die Designerin Leva Kalja vom litauischen Label mammalampa verlockt mit Modernität, Märchen und Tradition. Ihre Leuchten heißen „Die Braut“ oder „Die Weise“. Einmal wird opulenter Stricklook in Papier übertragen, dann wieder dient ein Holzscheit als Pendelleuchte und nicht zuletzt zeigt sich „Die Königin“ in Stahl-Rostpatina und leuchtet von innen her golden.
Es ist noch Winter, doch ein gutes Stündchen mehr Licht verschönt den Tag. Dennoch geht es nicht ohne Innenbeleuchtung und das Naturspiel aus Licht und Schatten, das uns Räume intensiv erleben lässt, wird doch besser selbst inszeniert. Die Lichtdesignerin Ulrike Brandi erklärt: „Wir leben in einer Zeit, in der wir vielen Stressfaktoren ausgesetzt sind, das ist Teil der modernen Welt. Eine wahre Informationsüberflutung. Wir brauchen Orte, an denen wir uns geborgen fühlen.“ Der Ort des Rückzugs schlechthin ist das Zuhause. Wohlgefühl entsteht aus der wohl kalkulierten Steigerung sich ergänzender Lichtquellen. Kommunikation aber – auch als Selbstvergewisserung – findet mittels der Leuchte als Objekt statt. Eine Lampe zu erwerben, das ist möglicherweise ein Akt des Pragmatismus verbunden mit ästhetischer Lust. Für die Liebe auf den ersten Blick – zumindest für alle, die Popart und Autorendesign lieben – scheint die Luftballon-Deckenleuchte „Memory“ von Boris Klimek (Brokis) wie geschaffen.
Anita Wünschmann