Erbel, Erbern, Rotbeere oder Brüstlein – die Erdbeere hat viele Namen. Sie gehört in den Paradiesgarten, denn wie keine andere Frucht macht sie uns den Mund wässrig auf den Sommer.
„Welch Entzücken / Erdbeer’n pflücken / wollt’s uns glücken / welch Entzücken.“ Hoffmann von Fallersleben konnte es kaum erwarten, bis die Erdbeer’n endlich reiften. Der verliebte Goethe schickte Frau von Stein ein volles Körbchen, und François Villon verstieg sich dichterisch in wilden Erdbeermundfantasien. Die Erdbeere hat es in sich, das süße Früchtchen. Sie ist eine einzige Versuchung, denn schon immer war Venus im Spiel, wenn die roten Beeren genascht wurden. Weiß wie die Unschuld blüht sie und reift dann rot wie die Liebe. Bei aller Verlockung des Irdischen, gehörte die Erdbeere zu den Lieblingsmotiven der mittelalterlichen Maler. Kaum ein Tafelbild samt Madonna, das nicht von einer mit Erdbeeren bestückten Wiese geschmückt war. Schließlich galt sie in der christlichen Symbolik als allein selig machend. Fleischig, glänzend und wie aufgedonnert mit ihrer grünen Halskrause, bringt schon ihr Anblick unser Gaumensegel zum Schwimmen. Einfach köstlich! Dabei ist sie gar keine Beere, sondern eine Scheinbeere. Für die Botaniker gehört sie zu den Sammelnussfrüchten wegen der vielen kleinen braunen Kerne, mit denen ihr saftiges Fleisch reich gespickt ist. Egal! Von der Hand in den Mund schmeckt sie am besten. Wer viele isst, soll länger frisch bleiben. An diese Heilkraft der Maienfrucht glauben wir gerne. Am süßesten schmecken die kleinen wilden aus dem Wald. Aber die im Garten reifen, sind ungleich saftiger. Bei der Kultivierung waren uns wieder mal die Inkas voraus, die Erdbeeren schon züchteten, als bei uns am Boden wachsende Früchte noch verachtet wurden. Erste Erdbeeren ließ Karl V. von Frankreich im 14. Jahrhundert im Garten des Louvre kultivieren, und Ludwig der XIV. soll schon vor der Morgentoilette in seinem Versailler Küchengarten Erdbeeren naschend gesehen worden sein. Die heutigen Gartenfrüchte stammen nicht von den Walderdbeeren ab. Sie machten sich als Kreuzung unter anderen mit der Inka-Preziose im 19. Jahrhundert in unseren Gärten breit. Leider hat die Erdbeertreiberei inzwischen eine Dimension angenommen, bei der Aroma und Konsistenz oft auf der Strecke blieben. Aber die alten Sorten kommen wieder: die nach Pfirsich duftende helle „Aprikose“, die „Weiße Ananas-Erdbeere“, in der die Nüsschen als rote Pünktchen stecken oder die zuckersüße „Königin Luise“. Wer sie einmal gekostet hat, für den ist sie die Favoritin: „Mieze Schindler“ aus den 1920erjahren, die ihr Namensgeber in Dresden züchtete. Wie sie duftet! Nach Amber und Rosen, fand schon Ovid und zählte sie zu den göttlichen Seelenspeisen. Erdbeeren duften nach Sommer. Beißen wir in ihren blutroten saftigen Kegel, tut sich der Himmel auf.
Inge Ahrens