Grenzgänger

Triathlon gilt als härteste Sportart. Die Sieger sind Helden. Michael Raelert ist einer von ihnen.

Am 13. Juli stehen sie wieder am Start, um sich zu schinden. Dutzende wollen sehen, was ihr Körper zu leisten imstande ist. Sie gehen an die Grenzen – und meistens ein Stück darüber hinaus. Triathlon, jener Wettbewerb aus Schwimmen, Radfahren und Laufen, gilt als die härteste Sportart überhaupt. Und als kompakteste. Eine, die alle Muskeln beansprucht. Die Sieger sind hier Helden. Michael Raelert ist einer von ihnen. Der Rostocker gewann im vergangenen Jahr den Wettbewerb in Berlin. Und der 33-jährige Titelverteidiger wird auch in diesem Jahr wieder unter den Favoriten sein, wenn sich die eisenharten Triathleten zum Schwimmen über 1,9 Kilometer in die Spree stürzen, anschließend 90 Kilometer auf dem Rad um die Wette fahren und zum Schluss bei einem halben Marathon über 21,1 Kilometer testen, ob Beine und Lunge noch etwas hergeben. Michael Raelert gehört zu den Besten. Nicht nur in Deutschland, wie der Weltmeistertitel über diese Distanz 2009 und 2010 beweist. Gemeinsam mit seinem vier Jahre älteren Bruder bestimmt der Rostocker auch das Niveau auf der Ironman-Strecke, wie der genau doppelt so umfangreiche Wettkampf genannt wird. „Triathlon ist für meinen Bruder und mich nicht in erster Linie Beruf, sondern Passion“, sagt der Profi. „Wir sind aber glücklich, als kleines Familienunternehmen mit unseren Partnern zusammen den Sport berufsmäßig ausüben zu können.“

Die Vorstellung, die viele von einem Triathlon-Profi haben, sind aber meistens falsch. Aus dem Bett in die Sonne blinzeln und denken: Heute ist ein schöner Tag – gehe ich mal raus, das funktioniert nicht. „Es gibt im ganzen Jahr kaum einen Tag, an dem ich nicht trainiere. Triathlon ist Leidenschaft“, schwärmt der in der Szene nur Micha genannte Weltmeister. Wenn die meisten noch schlafen, geht es von sechs bis halb acht zum Schwimmen, anschließend aufs Rad. Dann darf sich der Körper bei der Beantwortung von E-Mails und organisatorischen Aufgaben erholen. Es folgen Lauftraining und Athletik, bei Massagen werden anschließend die Muskeln wieder entspannt. Das alles bei sehr bewusster Ernährung. „In Kilometern ausgedrückt sind das sechs Einheiten pro Woche im Becken und auf dem Rad, zehn beim Laufen“, rechnet Raelert vor. Die 35 Kilometer im Wasser, 700 auf dem Rad und 150 beim Laufen lassen sich schon am Schuhverschleiß ablesen. „Da haben wir das große Glück, gute Partner zu haben. Die stellen uns Weltklasseprodukte zur Verfügung“, erzählt der Rostocker.

Dass die tagtägliche Schinderei trotz der Passion nicht mit einem Dauerlächeln absolviert wird, gibt der Ausnahmesportler gern zu. „Natürlich wird alles trainiert, was Spaß macht. Aber das tut nicht nur manchmal weh. Doch wenn man das nicht schafft, kann man die körperlichen Grenzen nicht erreichen und die mentalen Barrieren nicht durchbrechen“, erklärt er. Mit der gleichen Leistungsorientierung plant er ebenso, sein Studium der Politikwissenschaften und Theologie nach der Karriere abzuschließen. 

Einen speziellen Antrieb gewinnt der Weltmeister aus der Dauer-Konkurrenz seines Bruders Andreas. „Wir sind aber nur im Training Konkurrenten – so komisch das klingt. Wir treten im Wettkampf nicht gegeneinander an, sondern miteinander. Wir müssen uns nur in die Augen schauen und wissen, was mit dem anderen los ist.“

Dass einer ihrer Sponsoren vor drei Jahren eine Million Dollar ausgelobt hatte für ihren Doppelsieg beim Ironman auf Hawaii gibt Michael Raelert gern  zu. Aber er relativiert: „Das war eine Wertschätztung für uns, und der Sieg in Hawaii ist der absolute Traum. Sicher für jeden Triathleten. Aber nicht wegen der Summe wollen wir dort gewinnen. Das fordert einfach unsere Leidenschaft für den Triathlon.“

Wenn Michael Raelert im Juli erneut in Berlin triumphiert, kann das eine Vorstufe für Hawaii sein. Denn der Sieg bei diesem härtesten aller Rennen, wo der Starter bis zu 9000 Kalorien verbrennt, ist für einen Triathleten wichtiger als ein Olympiasieg und ein Weltmeistertitel zusammen.

Hans-Christian Moritz

 

58 - Frühjahr 2014
Sport