Die Vizemeisterschaft der Basketballer von Alba Berlin ist selbst für Experten eine Überraschung. Das Strahlen im Gesicht für die Silbermedaillen als deutscher Vizemeister wollte sich bei den Basketballern von Alba Berlin lange nicht einstellen. „Wir haben verloren. Auch wenn es das Finale war. Als Zweiter bist du der erste Verlierer“, sagte Jan Jagla. Dass die von den eigenen Fans Albatrosse genannten Profis überhaupt in diese Endspielserie vordringen und Mitte Juni noch im Wettbewerb sein würden, hätte weder der treue Anhang vermutet, noch hätten es die Experten geglaubt. Trotzdem war der Respekt der vor allem finanziell übermächtigen Bayern vor dem achtmaligen Meister aus der Hauptstadt so groß, dass die Münchner mitten in der Finalserie einen ebenso sinn- wie geschmacklosen Streit vom Zaun brachen. Zielscheibe war da vor allem Berlins Mister Basketball Marco Baldi, der einst seine Anstellung in einer Versicherungsfima aufgegeben hatte, um den damals noch BG Charlottenburg heißenden Verein aus der Bedeutungslosigkeit in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu führen. Baldi würde seine Popularität missbrauchen, Schiedsrichter und andere Clubs beeinflussen und Alba als den Mittelpunkt des deutschen Basketballs hinstellen, grantelten die Süddeutschen. Dass Alba schon immer der im Fokus stehende Verein war, ist an den Erfolgen der vergangenen 20 Jahre abzulesen. Acht Meisterschaften und ebenso viele Pokalsiege, dazu vor 19 Jahren der Gewinn des Europapokals waren akribisch erarbeitet und haben Neider auf den Plan gerufen. Dass nun die Münchner mit dem Geld der übermächtigen Fußball-Abteilung den Angriff auf die Hauptstädter ins Leere fahren könnten, wollte zu Beginn der Finalserie keinem an der Isar in den Kopf. Hatte man doch in den vergangenen Jahren alles getan, um die Machtposition der Albatrosse an der nationalen Spitze zu brechen. Den serbischen Trainer Svetislav Pesic und dessen Nachfolger Emir Mutapcic, die sieben der acht Berliner Meistertitel verantworten, stellte man auf die eigene Lohnliste. Dazu lockten die Bayern vor der Saison gleich vier Berliner nach München. Und irgendwie war es mitten in der Finalserie gelungen, ein Gerücht in Umlauf zu bringen. „Dass unser Trainer Sasa Obradovic nach Bamberg wechseln wird, hat dieser erstaunt auch nur in der Zeitung gelesen“, dementierte Sportdirektor Mithat Demirel umgehend. Schließlich haben die beiden in Berlin wieder zusammengefunden, und Obradovic – Held des Europacupsieges von 1995 und in der Statistik immer noch achtbester Alba-Punkte-sammler aller Zeiten – ist als Trainer ein Kunststück gelungen. Denn nicht nur das nach München gewechselte Quartett musste an der Spree ersetzt werden, sondern wie durch Wunderhand waren Alba bis auf den 35-jährigen Altmeister Sven Schultze alle Profis abhanden gekommen. So musste der Serbe Obradovic mit einem völlig neuen Team versuchen, einige Brocken aus den Töpfen der Bundesliga zu ergattern. Dass die Berliner dabei einen Hungerast bekommen würden, sahen viele Propheten voraus. Zwar gab es auch einige Hänger während der kräftezehrenden Saison, doch aus den Playoff-Rängen der oberen Tabellenhälfte rutschte Alba niemals. Dabei hat es Obradovic verstanden, die eingeschworene Truppe ohne Stars so auf den Erfolg zu fokussieren, dass – unberechenbar für den Gegner – immer wieder andere Profis als beste Punktesammler in die Statistik eingetragen wurden. Auf diese Weise zogen die Hauptstädter durch die Saison, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen. In den Playoffs würden sie schon an den stärkeren Vereinen wie Oldenburg, Bamberg oder eben München scheitern. Schließlich hatten diese Clubs ihre Mannschaften im Kern nicht nur erhalten, sondern, wie gerade die Bay-ern, auf vielen Positionen enorm verstärkt. Doch im Gegensatz zu Alba, das in den Direktausscheidungen nach der Punkterunde wenig Mühe im Viertel- und Halbfinale hatte, mussten die Bayern über volle Distanzen gehen, um überhaupt die Endspiel-Serie zu erreichen. So etwas macht natürlich nervös. Und als die Berliner dann noch mit breiter Brust in den ers-ten beiden Finalspielen erstaunlich gegenhielten, schien es an der Zeit, in die psychologische Trickkiste zu greifen ... Doch mit der Goldmedaille um den Hals und dem versprochenen wie erwarteten Titel in der Tasche, zeigten sich auch die Richtung Isar abgewanderten Ex-Berliner wieder versöhnlich. „Wir haben die Meis-terschaft verdient gewonnen. Wenn man im Finale einen Gegner wie Alba schlägt, der lange und großartig mithält, dann hat man die Goldmedaille nicht geschenkt bekommen“, versuchte Svetislav Pesic schon bei der Siegerehrung in der Berliner Halle Friedensangebote an seinen ehemaligen Verein zu senden. Wie weit sich das bis zum Beginn der nächsten Saison, die mit dem Einstieg der Telekom eine gewaltige mediale Aufwertung erfährt, noch normalisiert, ist aber sehr fraglich.
Die Münchner, die vor der Spielzeit nur den 33-jährigen Ex-Berliner Jan Jagla wieder an den Kontrahenten abgeben mussten, haben noch immer ein Popularitätsproblem gegenüber Alba. Zwar hängt der Meisterwimpel erstmals seit mehr als 50 Jahren wieder an der Isar, doch erste Adresse für andere große Vereine ist immer noch Berlin.
Hans-Christian Moritz