Das Wohnen im Hochhaus hat seinen Reiz: Zumindest in den oberen Etagen bieten sich meist herrliche Blicke bis weit über die Stadt, und Hochhaus-Bewohner sind des urbanen Treibens im wahrsten Sinne des Wortes enthoben – und dennoch mittendrin. In den 70er und 80er Jahren galt in Deutschland das Wohnen im Hochhaus als stigmatisiert: Anders als in amerikanischen Großstädten, wo das „Penthouse“ als Inbegriff des luxuriösen Wohnens in der Großstadt gilt, wurden in Deutschland zu dieser Zeit fast nur Sozialwohnungen im Westen und Plattenbauten im Osten an weniger begehrten Orten in die Höhe getrieben: Wer es sich leisten konnte, baute auf einem eigenen Grundstück und erdnah oder kaufte ein Loft oder Townhouse. Diese Zeiten sind vorbei – das Wohnen im Hochhaus ist auch für Wohlhabende attraktiv geworden und der tot geglaubte Bautypus ist derzeit in Berlin stark nachgefragt.
In seinem Buch „Delirious New York“ beschwor der niederländische Architekt Rem Koolhaas den New Yorker „Downtown Athletic Club“ als Prototyp eines wahrhaft urbanen Hochhauses, dass durchaus nicht grundsätzlich mit dem monofunktionalen Büroblock gleichzusetzen ist. Auch Stadtplaner träumen davon, dass gemischt genutzte Turmhäuser die Probleme verwaister Innenstädte schmälern. Nachts leuchten die bewohnten Bauten, während Bürohochhäuser abends tot wirken. Die Nachfrage nach Wohnhochhäusern ist derzeit groß, denn diese Bauform fehlte bisher in Berlin und anderen deutschen Städten. Die vermeintlich niedrigere Rendite von Wohnungen, im Vergleich zu teuren Büros, gilt in Berlin nicht: Der Markt für Wohnimmobilien jeder Art war in den letzten Jahren wesentlich heißer als der für Bürogebäude, weil es kaum Konzerne und Banken in Berlin gibt. Die neuen Wohnhochhäuser sind überwiegend für wohlhabende Singles und Paare gedacht. Familien werden dort nur ausnahmsweise wohnen. Das beste Beispiel dafür ist das Gebäude an der East Side Gallery mit dem Marketing-Namen „Living Levels“, das derzeit in Friedrichshain in die Höhe wächst: Es wurde vom Berliner Architekturbüro nps tchoban voss entworfen. Das Grundstück im ehemaligen Todesstreifen an der Spree zwischen Kreuzberg und Mitte hat anfangs eine Kontroverse ausgelöst: In der Kritik steht die Versetzung eines Teils der erhaltenen Berliner Mauer. Die Entwickler beschönigen das Projekt als „für Berlin einzigartige, an Design, Architektur, Umwelt und hoher Lebensqualität ausgerichtete Wohnphilosophie“. Gemeint sind damit unter anderem frei stehende Wannen in den Bädern und zahlreiche Pflanz- und Blumenkübel, die die Fassade freundlich grün erscheinen lassen sollen. Die Apartments werden je nach Wunsch der Käufer in verschiedenen Ausbauvarianten angeboten. Nächstes Jahr soll das Haus fertig sein. Mit 14 Etagen ist der Turm im Vergleich zu seinem Pendant, dem Hochhaus am Alex, niedrig. Große Aufmerksamkeit bekam unlängst dieses wohl spektakulärste neue Bauvorhaben, der direkt am Alexanderplatz geplante Wohnturm des kalifornischen Star-Architekten Frank O. Gehry. Fast zwanzig Jahre lang war kein einziges Hochhaus aus Hans Kollhoffs Masterplan für den Alexanderplatz realisiert worden, aber nun will ein amerikanischer Investor neben dem Einzelhandelsgebäude ein 150 Meter hohes Wohnhochhaus mit 300 Eigentumswohnungen errichten lassen. Im Wettbewerb wurde der Gehry-Entwurf mit dem ersten Preis bedacht. Der Inves-tor teilte mit, dass ihn das skulpturale Erscheinungsbild, das durch die Rotation von Kuben auf viele Punkte der Stadt Bezug nimmt, überzeugt habe. Die Jury war auch „vom harmonischen Fassadenbild und dem mineralischen Material des Gebäudes begeistert“. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sagte, der Entwurf habe „eine ausdrucksstarke Form und eine ungewöhnlich exzentrische Form. Und doch strahlt seine Fassade angenehme Ruhe aus und fügt sich gut in seine Umgebung ein“. Ein Teil der unteren, blickmäßig weniger attraktiven Etagen sollen als Hotel genutzt werden. Mit 150 Metern Höhe wäre es nach dem Funk- und dem Fernsehturm das höchste Gebäude Berlins.
Auch im Westen, direkt neben dem Hansaviertel, ist ein neues Wohnhochhaus an der Spree nach Entwurf des Berliner Architekten Volker Staab geplant. Es soll eine „Verwandtschaft zu den Bauten der Interbau 1957“ hergestellt werden, zu denen die markanten Wohnhochhäuser entlang der Stadtbahntrasse gehören.
Auch in dem auffälligen Postbank-Haus am Halleschen Ufer in Kreuzberg sollen bis zu 1000 Eigentumswohnungen im oberen Preissegment entstehen.
Neben den vier Wohnhochhäusern sind noch mindestens drei weitere Wohntürme in Berlin geplant: Die Entwicklungsgesellschaft „Urban spaces“ würde gern einen weiteren Wohnturm neben dem Park Inn Hotel am Alexanderplatz hochziehen. Das Gelände gehört dem US-amerikanischen Finanzinvestor Blackstone. Der Kölner Architekt Till Sattler hat bereits Pläne entwickelt, und das portugiesische Unternehmen Sonae Sierra, Betreiber des Einkaufszentrums Alexa, könnte neben seiner Mall einen Turm errichten.
In Metropolen wie Schanghai oder Dubai dominieren Wohntürme bereits die Skylines. Seit einigen Jahren steigen die Preise für Wohnungen auch in Berlin überdurchschnittlich und machen so die neue Wohnform begehrt. Der „Turning Torso“, entworfen von dem Spanier Santiago Calatrava, in Malmö wird seinen Rang als höchstes Wohnhochhaus Europas wohl bald verlieren.
Ulf Meyer