Kapriziöse Käfer oder Mücken mit riesigen Rüsseln und filigranen Beinen erinnern daran, dass der Nachtschlaf im Sommer keineswegs immer nur wohlig und romantisch ist. Wer aber mit Insektengittern und Moskitonetzen die manchmal nur nervigen, woanders gar gefährlichen Plagegeister verbannt hat, kann ganz gelassen mit der Fantasie spielen und alles, was kriecht und piekt und krabbelt wieder ins Haus holen. Schöner Alptraum! So etwas muss Kustaa Saksi gedacht haben, der mit seiner Wandteppichkollektion „Hypnopompic“ (Textilmuseum Tilburg) und einer surreal überhöhten Insektentraumlandschaft den Betrachter auf die Reise schickt. Reisen und Sommer gehören zusammen wie Meer und Welle, Schmetterling und Blüte, Begegnung und Respekt.
Reisen ist generell das große Thema der Textilbranche und führt nach Indien, Brasilien oder Afrika. Orange, Grün- und Gelbtöne, exotische Pflanzen und Tiere, Symbiosen aus dem Hier und Jetzt und Ganzwoanders, surreale Kollisionen, archaische Geometrie, die Farben des Ozeans von Dunkelblau bis Hummerrot oder der Geschmack von Wüstensand artikulieren sich in Webstreifen, Druckbahnen, in Häkeldesign und Stickerei für In- und Outdoortextil und Mode. Die Welt wird nach Entdeckungen und Anregungen durchforstet. Farben werden verzeichnet, historische Techniken eruiert. Muster aus dem kollektiven Gedächtnis alter Völker hervorgekramt. Ein Humboldt’sches Reisefieber macht sich breit, das freilich nicht von ungefähr kommt, sondern mit den Märkten zu tun hat, die erschlossen werden sollen. „Im Job unterwegs wie die Nomaden“ titelt schon 2012 Claudia Obmann und untersucht das Ansteigen der Expatriates, die für ihre Konzerne zu Daueraufenthalten verpflichtet werden. Das Nomadische als Lebens- und Stilprinzip, wir haben es hier schon öfter geschrieben, setzt sich fort und findet seinen vielfältigen Ausdruck. Leichtigkeit und Reduktion auf Wesentliches gehören dazu. Lässigkeit. Und Storytelling als Kreativmethode zeigt, dass nichts so wichtig ist wie die Erzählungen, mit denen man Altes und Neues in Erfahrung und sich einander näherbringt.
So erzählen Vintage-Plaids aus indischen Saris mit ihren leuchtenden oder eben verblichenen Farben Geschichten. Sardische Teppiche, noch fast unentdeckt, bergen in ihren Mus-tern eine atemberaubend lange Kulturgeschichte. Aufwendig bestickte usbekische Hochzeitstücher strahlen mittelasiatische Feierlichkeit aus und schmücken heute die Kopfseite minimalistischer Betten oder den Gartensessel unter Apfelbäumen. Es geht in Zeiten der Massenproduktion um den Wert, Unverwechselbarkeit mitzuteilen. Die emotionale Qualität von Vintagematerialien kann direkt erlebt werden oder sie wird mittels adaptierter Handwerkstechnik, per Muster- und Farbtransfer zumindest erinnert. Ersteres gilt für die griechischen Kelims, die der Künstler Andreas Angelidakis zusammengetragen hat, um für die Berlin Biennale einen Salon (Crash Pad) zu kreieren. Die Schwedin Anni Kasyrjämäki greift mit ihrem Textilprojekt „Daily Pattern“ ebenfalls die Idee auf, dass Muster mehr können als abstrakte Geometrien oder beliebige pflanzliche Ornamente zu sein. Aus tagesaktuellen Nachrichten in Zeitschriften generiert sie ihre Dekors, die den Stoffen Mitteilungen einschreiben. Auf der diesjährigen Messe „Heimtextil Frankfurt“ wurden mit Rückschau („Revive!“) und Fortschritt („Progress!“) eine Trendsymbiose aus Handwerk und Zukunftstechnologien (z. B. 3-D-Weben, Colorprinting) thematisiert und in etliche Aspekte aufgesplittet. Zurück zur schönsten Jahreszeit! „Immer wieder wächst das Gras!“ Reisen und Draußensein – das ist Sommer. Und so stylisch er sich auch zeigen mag, die Grundideen – Jurten, Matten, Tücher, Decken – gehören zum ältesten Inventar der Menschheit. Auch heute können Stolen oder Pareos mal als Kleidungsstück, mal als Picknickdecke dienen. Es ist schön, ein afrikanisches Betttuch über eine Gartenbank zu legen. Die Hängematte hat es ohnehin schon vom Strand bis ins urbane Leben geschafft. Das alte Zelt, einst aus Filz oder Leinen, zeigt sich vor allem ob seiner funktionalen Membranen als zuverlässige Reisebehausung, kann aber auch als ein kunstvolles Stilzitat in den Innenbereich integriert werden (vergleichbar den Baldachinen aus textilen Modulen im Luxemburger Museum für Gegenwartskunst). Bleibt noch das Klein-formatige: Gestrickte Rucksäcke konkurrieren mit großmaschigen Wasserflaschenhaltern. Selbst gehäkelte Perlgarnverzierungen markieren das persönliche Trinkglas auf der Gartenparty. Bunte Stoffstreifen umhüllen Lampions. Paravents avancieren mit ihren Bespannungen zu Geschichtenerzählern par excellence. Ach ja, und Insektennetze, egal ob schlicht und pastell oder überbordend bestickt, wehren die surrenden Schlaftöter ab.