Smartsehen

Smart-TVs und neue Online-Plattformen verändern grundlegend die Fernsehlandschaft.

Unsere Sehgewohnheiten haben sich inzwischen so verändert, dass der Begriff des „Fernsehens“ eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist. Denn er bezog sich bislang immer auf ein zentrales Gerät, den einen großen Fernseher, mit einem zeitlich genau vorgegebenen Fernsehprogramm. Den Fernseher gibt es zwar immer noch, doch längst hat das Internet ihn seiner zentralen Funktion als Leitmedium beraubt, liefert ebenso Nachrichten, Filme, Dokumentationen, Bilder, Musik, Unterhaltung etc. Der bisherige TV-Kanal wird bald nur noch einer von vielen sein. Weil also Fernsehen nicht mehr an eine bestimmte Zeit gebunden ist, in Verbindung mit einem Smartphone auch nicht an einen bestimmten Ort, spricht die Medienforschung seit geraumer Zeit vom „nicht linearen Fernsehen“. Deshalb sind die Fernseher heutzutage nicht nur flach und groß, sondern auch smart. Laut Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik machen Smart-TVs derzeit 38 Prozent der insgesamt in Deutschland existierenden Geräte aus. Allerdings sind nach einer Studie der gfu nur 75 Prozent davon tatsächlich mit dem Internet verbunden, eine Voraussetzung, um die Vorteile des nicht linearen Fernsehens überhaupt nutzen zu können und in den Genuss zu kommen, beispielsweise zeitversetzt per Mediathek fern zu sehen, in soziale Netzwerke wie Facebook zu gelangen oder auf Online-Videotheken zuzugreifen. Immerhin geben bereits 44 Prozent der Deutschen nach einer Umfrage an, immer seltener Sendungen zu den vorgegebenen Ausstrahlungszeiten anzuschauen und 25 Prozent sind dazu bereit, für Filme von Video on Demand-Anbietern zu bezahlen. Dieser grundlegende Wandel des Fernsehverhaltens ist demnach noch nicht flächendeckend angekommen, da kündigt sich bereits der nächste große TV-Trend an: Ultra HD. Mit der vierfachen Anzahl an Bildpunkten liefert diese Übertragungstechnik noch schärfere Bilder als auf den verbreiteten Full-HD-Geräten. Allerdings gibt es noch keine einheitlichen Standards und wenig ultrahochaufgelöstes Film- und Videomaterial. Gleichzeitig aber werden die Bildschirme noch größer und auch gekrümmt, im sogenannten Curved-Design, angeboten. Durch die gekrümmten Monitore wirkt das Bild für den Betrachter größer und kontrastreicher. So werden die deutschen Wohnzimmer zukünftig nicht nur immer vernetzter, sie ersetzen auch den Kino- und Videothekenbesuch. Da kam es für deutsche Filmfreunde gerade recht, dass mit Netflix einer der größten Home- und Mobile-Entertainment-Anbieter nun auch in Deutschland seine Dienste anbietet. Für einen festen monatlichen Preis können sie auf ein riesiges Angebot an Filmen und eigens für Netflix produzierte Serien zugreifen. In den USA gestartet, ist Netflix bereits in zahlreichen Ländern präsent. In Deutschland wird der Online-Dienst, zusammen mit den existierenden Streaming-Anbietern, wie beispielsweise Maxdome oder Watchever, wesentlich zur Veränderung des Fernsehverhaltens beitragen. So eindeutig die Fernseh-trends aber auch sind, ein noch recht großer Ersatzmarkt von „alten Geräten“ und die Furcht vor Eingriff in die Privatsphäre bei der Nutzung von Online-Angeboten werden die Dynamik des zukünftigen Fernsehkonsums mitbestimmen.

Reinhard Wahren 

 

61 - Winter 2015