Gunther von Hagens‘ KÖRPERWELTEN haben die Museumswelt revolutioniert. Keine Ausstellung zeigt so eindrücklich den Menschen in all seinen Facetten – und kaum eine polarisiert so stark. Nun eröffnet der durch die Erfindung der Plas-tination bekannt gewordene Arzt und Wissenschaftler am Berliner Alexanderplatz sein weltweit erstes Menschen Museum. Zu sehen sind rund 200 anatomische Präparate und Ganzkörperplastinate.
Weltweit gibt es unzählige Museen mit Produkten, die Menschen erfunden und hergestellt haben, sei es Kunst, Autos oder Schokolade. Doch über den Menschen und über das, was den menschlichen Körper ausmacht, gibt es keine Kultureinrichtung – obwohl der Körper uns ein Leben lang am nächsten ist. So die Argumente von Hagens‘ für das öffentliche Ausstellen menschlicher Körper. Dass sich das Menschen-Museum inmitten der Stadt präsentiert, ist für ihn logische Konsequenz: „Der Körper ist ein Teil von uns. Deshalb gehört das Menschen Museum auch in unsere Mitte und nicht irgendwo an den Stadtrand. Welcher Standort bietet sich dafür besser an als die Mitte von Berlin am Fuße des Fernsehturms?“, erklärt von Hagens, dessen Anatomie-Schau von seiner Frau, der Ärztin Angelina Whalley, kuratiert wird.
Facetten des Mensch-Seins – Der Körper zwischen Vielfalt und Verletzlichkeit
„Das neue Museum will die unterschiedlichen Facetten des Mensch-Seins beleuchten und den Besucher anregen, über sein Leben und seine Vergänglichkeit nachzudenken“, so Dr. Whalley. Dem Besucher soll nahegebracht werden, „was uns Menschen verbindet, was uns ausmacht, was uns gehen, stehen, lieben lässt und am Leben hält“, führt sie aus und ergänzt: „In unserem Museum können die Besucher das alles hautnah erfahren, in das Innerste der Körper schauen und dabei ihre Komplexität, aber auch ihre Verletzlichkeit entdecken.“
Die Schau beginnt mit einer interaktiv gestalteten Einleitung, die den Besucher mit Fragen der Selbstbetrachtung konfrontiert. „Wer ist diese vertraute Person im Spiegel? Wie werde ich von anderen Personen wahrgenommen?“ Der anschließende Rundgang durch die Ausstellung zeigt Plas-tinate in lebensbezogenen Posen. Einzelne Organfunktionen sowie häufige Erkrankungen werden allgemein verständlich erläutert. Die Besucher erfährt etwas über das Nervensystem und den Blutkreislauf mit seinem Netzwerk aus Arterien, Venen und Kapillaren, das über 96 500 Kilometer misst. Anhand von Körperscheiben wird dargestellt, wie sich Übergewicht auf den Körper auswirkt. Ein Audio-Führer ist mit weiterführenden Informationen verfügbar.
Abschließend soll dazu angeregt werden, mit seinem eigenen Körper achtsam und verantwortungsvoll umzugehen. Nach Angaben der Austellungsmacher haben weltweil über 40 Millionen Menschen von Hagens‘ Körperwelten gesehen.
Dabei freut Kuratorin Whalley besonders die nachhaltige Wirkung auf viele Besucher: So gaben zwei von drei Ausstellungs-Besuchern an, dass sie in Zukunft mehr auf ihre körperliche Gesundheit achten wollen, ein Viertel ist eher zur Organspende bereit als vor dem Rundgang und ein Drittel will weniger rauchen.
„Das oberste Ziel von allen Körperwelten-Ausstellungen und vom Menschen Museum ist die gesundheitliche und anatomische Aufklärung. Viele Besucher erlernen in unserer Ausstellung einen ganz neuen Umgang mit dem eigenen Körper, der zu einem höheren Gesundheitsbewusstsein führt“, sagt Angelina Whalley. Der Körper sei schließlich immer auch ein Spiegel der eigenen Lebensführung. Durch die unterschiedlichen Lebensweisen der Menschen, die ihre Körper für die Plastination gespendet haben, gleiche kein Exponat dem anderen. „Zwar sind die Grundfunktionen wie Atmung und Verdauung bei Gesunden immer ähnlich – aber während der eine Körper muskelbepackt ist, ist der andere gezeichnet von Krankheit und Verfall“, führt Whalley aus. Dass viele Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Krebs und Skeletterkrankungen stark mit der Lebensweise zusammenhängen können, wird anhand vieler Beispielexponate erläutert. Die Museumsmacher waren bereits in über 90 Städten, darunter London, New York, Chicago, Haifa und Wien. Auch widmet die Fachwelt von Hagens‘ konservierten Körpern große Aufmerksamkeit: So erhielt er 2013 von der Association of Science-Technology Centers (ASTC), einer Vereinigung von 650 Wissenschaftsmuseen und Science Centers aus fast 50 Ländern, eine Auszeichnung für sein Lebenswerk und seinen herausragenden Beitrag zur Vermittlung von Wissenschaft an ein Laienpublikum. Mit seinem Museum unter dem Berliner Fernsehturm möchte von Hagens‘ der im Januar seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, sein Lebenswerk abrunden: „Mit der Einrichtung des Menschen Museums geht für mich ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Mit meinen Exponaten möchte ich die Besucher an das erinnern, was unser höchstes Gut ist: unser eigener Körper“, führt der an Parkinson erkrankte, aber noch immer im Berufsleben stehende Mediziner aus. Bereits 1977 hatte Gunther von Hagens sein einzigartiges Konservierungsverfahren an der Universität Heidelberg erfunden. Seitdem hat er es kontinuierlich weiterentwickelt. Die Grundlage der Plastination ist der Austausch von Körperwasser und -fett gegen einen Kunststoff. Dazu wird zunächst das Lösungsmittel Azeton im Vakuum verdampft und durch einen Reaktionskunststoff wie Silikonkautschuk ersetzt. Danach folgt die genaue Positionierung des Präparats und die Aushärtung des eingesetzten Kunststoffs. Insgesamt erfordert die Plastination eines menschlichen Körpers rund 1 500 Arbeitsstunden. Mittlerweile wird die Plastination weltweit in über 400 Institutionen in 40 Ländern angewandt. Die im brandenburgischen Guben hergestellten Plastinate werden aufgrund ihrer Realitätsnähe und ihres hohen didaktischen Werts heute vor allem in der medizinischen Ausbildung an vielen Universitäten eingesetzt.
Die im Museum gezeigten Plastinate stammen aus dem Körperspende-Programm des Instituts für Plastination in Heidelberg, in dem mittlerweile über 15 000 Spender registriert sind. Die Registrierung erfolgt freiwillig, auf eigenen Wunsch und ohne Vergütung.