Potsdam ist längst aus dem Schatten Berlins herausgetreten.
Schiffbauergasse in Potsdam. Ein Ort des neuen Potsdam, gelegen am Tiefen See. Hier trifft Kultur auf Wirtschaft. Moderne Architektur verbindet sich mit alter preußischer Bautradition. Hierher zieht es Potsdamer wie Touristen gleichermaßen. Das Theater mit der beeindruckenden roten Dachkonstruktion fällt schon von Weitem ins Auge. Im Waschhaus werden Rockkonzerte veranstaltet. Die Schinkelhalle, Teil einer alten Reitstallanlage, ist beliebte Eventlocation. Das Softwareunternehmen Oracle Deutsch-land GmbH hat seinen Sitz im ehemaligen Koksseparator. Für das Volkswagen Design Center indes wurde ein beeindruckendes neues Gebäude errichtet, das sich zum Wasser hin öffnet. Das Restaurantschiff in Sichtweite. An der Schiffbauergasse hat sich die Stadt neu erfunden. Der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs zieht Bilanz: „Dabei segeln wir nicht bloß im Windschatten des großen Nachbarn Berlin mit, sondern haben uns längst ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Potsdam ist modern und zugleich Weltkulturerbe ..., unsere herausragenden Besonderheiten sind Wissenschaft, Film und Geschichte.“
Lange galt Potsdam als Geheimtipp. Doch mittlerweile sind sie alle da, die Kreativen und Entscheider. Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, Gerhard Schröders ehemaliger Regierungs-sprecher Uwe-Karsten Heye, Schauspieler wie Nadja Uhl und Christian Ulmen. Ein alter Potsdamer hat die rasante Entwicklung seiner Heimatstadt vor Ort miterlebt: Wolfgang Joop. Er schätzt die soziale Vielfältigkeit, wo es so anders zugehe als etwa am Starnberger See. Trotzdem sieht er, das die kleine feine Schwester Berlins im Laufe der Jahre immer feiner geworden ist. Dem Tagesspiegel sagte er anlässlich der Eröffnung seiner neuen Boutique vor gut einem Jahr: „Die Stadt hat einen faszinierenden Sprung gemacht. In Potsdam hat sich mittlerweile ein ganz anderes Publikum entwickelt, wirklich High-Class. Wenn ich mich selber als Kunden beschreiben würde, sähe das so aus: Als Ästhet ist mir Berlin zu eng, zu wuselig und was dort angeboten wird, ist zu wenig ,pre-selected‘.“ Potsdam habe alle Vorteile Berlins, aber keinen einzigen der Nachteile. Läden der Joop-Marke Wunderkind gibt es im Jahr 2014 in München, Berlin, in Kampen auf Sylt und eben in Potsdam. Vor Jahren hatte er es schon mal in der brandenburgischen Landeshauptstadt probiert, damals aber erfolglos.
Auffallend in Potsdam sind die vielen jungen Leute. Viele von ihnen Studierende der ortsansässigen Fachhochschule und Universitäten. Darüber hinaus haben zahlreiche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Potsdam ihren Sitz. Allein auf dem Telegrafenberg, einer 96 Meter hohen Erhebung in Potsdam, befinden sich das Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie eine Zweigstelle des Alfred-Wegener Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI).
In den 90er Jahren noch belächelt, ist Potsdam heute bei jungen Leuten angesagt. Es ziehen mehr junge Familien zu als weg. Die Geburtenrate ist so hoch, wie kaum irgendwo im Osten. Als besonders kinderreich gilt die Brandenburger Vorstadt. Die Carl-von-Ossietzky-Straße sei sogar die kinderreichste Straße überhaupt in Deutschland, heißt es. Mittlerweile ist es schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Dabei hat Potsdam mit siebeneinhalb Prozent eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten der neuen Bundesländer. Begehrt bei Neu- und Alt-Potsdamern sind unter anderen die Stadtteile Potsdam-West und Babelsberg. Doch auch neue Wohngebiete wie die auf dem Bornstedter Feld, ganz in der Nähe des ehemaligen BUGA-Geländes. Alternativ suchen gerade Familien Häuser und Baugrundstücke im Umland, von Werder bis Wilhelmshorst. Potsdam hat mittlerweile genauso seinen Speckgürtel wie Berlin, zumal die Grenzen hier regional fließend sind.
Einer, der das Potenzial früh erkannte, ist auch Hasso Plattner, Chef des Software-Riesen SAP. Sein Ziel ist es, in Potsdam kluge Köpfe an das Unternehmen zu binden. Mit dem Hasso-Plattner-Institut besaß der Konzern bereits ein wissenschaftliches Zentrum, im vergangenen Jahr hat man am Jungfernsee zusätzlich ein Entwicklungszentrum für neue Computertechnologien eröffnet. Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte anlässlich der Eröffnung: „Dieses Innovationszentrum wird dafür sorgen, dass sich SAP gut entwickelt, aber auch für die Brandenburger Wirtschaft ist das immens wichtig.“ Wie eng Wirtschaft und Kultur im neuen Potsdam miteinander verzahnt sind, zeigt sich am Mäzenatentum Hasso Plattners eindrücklich. Ihm ist es beispielsweise zu verdanken, dass das wiederaufgebaute Stadtschloss ein Kupferdach erhalten konnte. Er zahlte auch Teile der Fassade. Demnächst will der Mäzen eine öffentlich zugängliche Kunsthalle errichten, in der seine Sammlung mit DDR-Kunst präsentiert werden soll. Einer wie Plattner gibt auch dann nicht auf, wenn es Gegenwind aus der Bürgerschaft gibt, wie in Potsdam anlässlich von Abriss- und Bauplänen anfangs geschehen. DDR-Architektur versus Neubau. Der gebürtige Berliner wollte nicht polarisieren. Flexibel reagierte er auf die sich verändernde Stimmung. Jetzt finanziert die Hasso Plattner Förderstiftung gGmbH den Wiederaufbau des Palastes Barberini am Alten Markt. Ende 2016 ist die Eröffnung als Museum für moderne Kunst vorgesehen.
Bauvorhaben spalten immer wieder die Stadt. Jüngstes Beispiel ist der geplante Wiederaufbau der Garnisonskirche. Viele Bürger wollen nicht, dass die Innenstadt Potsdams zu einem begehbaren Freilicht-Museum für preußische Geschichte wird. Quo vadis, Potsdam? Die Antwort auf diese Frage ist längst noch nicht ausgemacht. Vielleicht macht diese Offenheit aber gerade den Reiz aus.
Karen Schröder