„Jeder soll nach seiner Façon selig werden“ – dieser berühmte Satz von König Friedrich dem Großen ist Hintergrund der Tatsache, dass der – heute als Bebelplatz bekannte – zentrale Platz des Forums Fridericianum in Berlins historischer Mitte ausgerechnet von einer katholischen Kirche geprägt wird: Das Zentrum der Kapitale des ehemals protestantischen Preußens wird von der grünen Kupferkuppel der katholischen Bischofskirche St. Hedwig bekrönt. Um die Gestaltung der Kathedrale ist nun ein Streit entbrannt. Er dreht sich um den Umgang mit dem Umbau der berühmtesten katholischen Kirche in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Obwohl Deutschland und Berlin zu dieser Zeit bereits geteilt waren und die St. Hedwigs-Kathedrale im kommunistischen Osten lag, war in den 50er-Jahren ein berühmter rheinischer Architekt beauftragt worden, die Kirche wiederaufzubauen. Der Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert hat die kriegszerstörte Kathedrale dabei grundlegend neu interpretiert. Schwippert hatte beim Wiederaufbau (1952–63) eine außergewöhnliche, neue Raumaufteilung gestaltet: In dem bis in die Krypta hinein zerstörten Sakralbau schuf er einen Zugang zur Unterkirche mit acht neu geschaffenen Kapellen. Aus 84 Segmenten formte Schwippert die neue Betonschale der Kuppel, die nun mit Kupfer verkleidet wurde. Auf die Wiederherstellung der 1887 aufgesetzten Laterne verzichtete er hingegen. Nun soll die Hedwigs-Kirche erneut umgebaut werden und dabei der „Original-Umbau“ von Schwippert, der Experten als gelungene sakrale Raumschöpfung aus der Zeit des Kalten Kriegs gilt, überformt werden – zum Leidwesen der Berliner Denkmalpfleger.
Im Rahmen eines Architekturwettbewerbs 2013 hatten sich als Preisträger zwei Architekten durchgesetzt, die das wesentliche Merkmal des Schwippert’schen Entwurfes – die runde Öffnung zwischen Kirchensaal und Unterkirche – beseitigen wollen. Die Wettbewerbs-Jury unter Vorsitz des Kölner Architekten Kaspar Kraemer entschied sich für den Entwurf der Architekten Sichau & Walter aus Fulda mit Leo Zogmayer aus Wien. Kraemer sagte, der ausgewählte Entwurf sehe vor, „der Kirche ihre ‚Normalzentralität‘ wiederzugeben und sie damit zu einem Gotteshaus werden zu lassen, das sich mit dem liturgisch geforderten Gestaltungsanspruch unserer Zeit würdig in die Vergangenheit einreiht“. In der Begründung hieß es: „Durch die zentrale Ordnung des Kuppelraums wird die Idee von Knobelsdorff (dem Architekten der ursprünglichen Kirche von 1773) aufgegriffen. Der Altar im Zentrum – drumherum die Gemeinde – ein archaischer, aber überzeugender Gedanke“, so die Jury. Denkmalpfleger waren zwar am Verfahren beteiligt und hatten sich „dafür eingesetzt, die Authentizität und Integrität der Raumschöpfung aus der Nachkriegszeit zu bewahren und den Doppelkirchen-Charakter zu respektieren, aber „keine der eingereichten Arbeiten bot eine denkmalgerechte Lösung“, so ihr Resümee. Die Kirche als Bauherr ist der Meinung, dass „die Entwicklungen in Liturgie und Theologie infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 60er-Jahren Anpassungen verlangen“. Damals wurde festgelegt, dass es möglich sein muss, die Altarinsel in einer Prozession zu umschreiten. Das ging bislang in St. Hedwig nicht. Der Doppelkirchencharakter des Schwippert‘schen Baus und die Idee der unteren „Memorial-Ebene“ werden nun zerstört – und das, obwohl Schwippert nach 1945 einer der meistgefragten Architekten des Wiederaufbaus in Deutschland wurde: Das Bundeshaus in Bonn (1949), die Viktorshöhe in Bad Godesberg (1949) und selbst das ursprüngliche Bundeskanzleramt im Palais Schaumburg (1950) tragen seine architektonische Handschrift.
Die St. Hedwigs-Kathedrale, seit Gründung des Bistums Berlin im Jahr 1930 katholische Bischofskirche und Pfarrkirche der Domgemeinde, trägt seit 1927 den Titel „basilica minor“. Ihre ungewöhnliche, runde Form erinnert daran, dass Friedrich der Große einst an Ort und Stelle ein „Pantheon“ nach römischem Vorbild bauen lassen wollte, in dessen Nischen verschiedene Religionsgesellschaften ihre Gottesdienste abhalten könnten. Dazu kam es zwar nicht, aber durch Friedrichs Eroberung Schlesiens wanderten viele Katholiken in die preußische Hauptstadt ein – die Hedwigskirche wurde für sie gebaut und der Schutzpatronin von Schlesien, Hedwig von Andechs, geweiht. Es war die erste katholische Kirche in Berlin nach der Reformation. Ihre charakteristische Kuppel wurde zunächst nur in Holz gebaut und auch der Giebelfries wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts vollendet. Statt der geplanten Bleideckung wurde die Kuppel ursprünglich mit Ziegeln gedeckt.
Kompliziert wird die Geschichte, wenn man bedenkt, dass Schwippert nicht der erste moderne Architekt war, der die Innenräume umgestaltete: Als das Haus zur Bischofskirche wurde, hatte der österreichische Architekt Clemens Holzmeister die Kirche bereits im Stil des Expressionismus umgestaltet. Holzmeister betonte die Längsachse, indem er den Hauptraum zur Sakristei hin öffnete. Geschickt bezog er auch den barocken Altar und die zwölf Apostelfiguren in den modernen Innenraum ein und entfernte den Zierrat der wilhelminischen Zeit.
Schwippert fügte später gläserne Geländer entlang der Öffnung zur Unterkirche ein und ließ sie von Fritz Kühn gestalten. Der Altar der Unterkirche mit dem Tabernakel diente nun als Fundament des Hauptaltars, der in die Oberkirche ragt. Dem Betrachter präsentiert sich der Blick durch die halboffene Krypta. Sie dient als Taufkapelle, Beichtstuhl und als Grablege der Berliner Bischöfe und ist dem Gedächtnis der katholischen Märtyrer Berlins in der Zeit des Nationalsozialismus geweiht.
Die anderen Gebäude am Forum Fridericianum wie die ehemalige königliche Bibliothek und das Gebäude der Dresdner Bank wurden in den vergangenen Jahren saniert, die Staatsoper an der östlichen Platzseite wird es derzeit noch. Da will die katholische Kirche mit ihrem Bau nicht hintanstehen: Das charakteristische, acht Meter große Loch im Altarraum wird verschwinden und im Kellergewölbe ein Raum mit Tauchbecken geschaffen werden. Der Altar rückt wieder in die Mitte der Rotunde, die Besucher sitzen in Zukunft in konzentrischen Kreisen um den Altar herum. Statt Bänken wird es Stühle geben, wodurch sich die Anzahl der Sitzplätze von 440 auf 550 erhöht.
Architekt Peter Sichau nennt sein Konzept einen „radikalen Ansatz mit minimalen Mitteln“. Sein Konzept betont den Gedanken der christlichen „Communio“, die sich um den Altar versammelt. Die Architektur soll den Raum beruhigen, um das liturgische Geschehen in den Vordergrund zu rücken. Einige Elemente aus den 50er-Jahren wie Säulen, Decke und Lampen werden übernommen. Grundgedanke von Schwippert war es, Ober- und Unterkirche durch eine Vertikale zu verbinden. In Zukunft wird diese Vertikale nur noch symbolisch vom Taufbecken in der Unterkirche über den Altar in der Oberkirche bis in den Himmel reichen. Sichau will „mit klaren, reduzierten Elementen“ die Grablege des Dompropstes Bernhard Lichtenberg zum Tragen bringen. Als dritter liturgischer Raum ist eine Sakramentenkapelle geplant. Sichau will die heutige Sakristei in einen Raum umgestalten, der zur Meditation und Anbetung einlädt. Die Berliner Baubehörden sehen keine Möglichkeit, den Umbau der Kathedrale zu stoppen. Die Verfassung sichert den Kirchen Selbstbestimmung beim Eingriff in Kirchendenkmäler zu. Die Denkmalpflege sieht darin eine „Beseitigung des denkmalgeschützten und intakten Innenraums und damit eine Teilzerstörung des Denkmals. „Wenn die Liturgie eine Neuordnung im Innern der Kirche erfordert, dann darf die Kirche das tun. Das hat die staatliche Denkmalpflege zu akzeptieren“, sagte Prälat Karl Jüsten. Jeder will eben nach seiner Façon selig werden!
Ulf Meyer