Das Bildgedächtnis West-Berlins

Klaus Kinski, auch „Journalistenfresser“ in der Branche genannt, lud den Bildjournalisten Harry Croner in seine Wohnung ein, um sich fotografieren zu lassen. Interessanter als Kinski selbst ist an diesen Aufnahmen dessen Wohnungseinrichtung: eine Art Gartenbank, eine merkwürdige Pritsche als Bett, Plakate an den Wänden, Bücherstapel auf dem Boden. 

Der Fotograf macht auf diese Weise den egozentrischen Mimen irgendwie sympathisch. So sind diese Fotos ein besonderes Juwel unter den Arbeiten von Harry Croner, dem Pressefotografen, der 40 Jahre lang unermüdlich in West-Berlins Theaterszene unterwegs war, wahrscheinlich jeden Prominenten fotografierte, der die Stadt je betreten hat, Wahrzeichen beim Aufbau begleitet hat. Betrachtet man die Ausstellung „Bühne West-Berlin“ im Märkischen Museum, weiß man, dieser Fotograf hat das Bildgedächtnis vom „Schaufenster des Westens“ geschaffen. Über 100 000 Abzüge hat er hinterlassen und 1,3 Millionen Negative.  

Harry Croner wurde 1903 in Berlin geboren, absolvierte eine kaufmännische Lehre, arbeitete bei verschiedenen Automobilfirmen als Werbeleiter und reiste für BMW durch die Lande. Aber er hatte schon die Fotografie im Blick. Mit 30 eröffnete er ein Fotogeschäft, er verkaufte nicht nur Kameras, sondern fertigte auch schon Porträtaufnahmen an. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, kam als Kriegsberichterstatter an die Westfront und dokumentierte den Einmarsch der Deutschen in Paris. 18 Monate später wurde er entlassen, die Nazis hatten herausgefunden, dass  er einen jüdischen Vater hatte: „wehrunwürdig“. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin, wo man ihm Laborarbeiten gestattete, wurde er in ein Arbeitslager zwangsverpflichtet, kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft und fand nach seiner Entlassung 1946 sein Geschäft in Trümmern liegend. Neuanfang mit 43 Jahren. Er griff sofort zur Kamera und wurde freier Bildreporter, arbeitete unter anderem für „Tagesspiegel“, „Morgenpost“ und „Welt am Sonntag“. Croner stand immer in der ersten Reihe, ob beim Kellner-Derby, Seifenkistenrennen, bei der Wahl zur Miss Wannsee, beim Sechstagerennen oder beim Sommerfest, wo Bürgermeister Otto Suhr den „Wurstmaxen“ gab – oder besonders schön, weil dies so distanziert beobachtende Aufnahmen sind, die Eröffnung der Hongkong-Bar, zu der er ausdrücklich eingeladen wurde. Man wusste, seine Bilder schaffen es in die Zeitung. Auch die Damen vom Damenrauch-Club „Blauer Dunst“ werden dies gedacht haben, als sie sich ausgesprochen gut gelaunt ablichten ließen. Die Ausstellung zeigt auch Beispiele seiner journalistischen Reportagen, originell seine Serie entlang der S-Bahn-Strecken, „Zoo-Jannowitzbrücke“ , die kann man in einem alten S-Bahn-Waggon anschauen und so ein besonderes Feeling für die Fotos enwickeln. Aber sein Hauptaugenmerk lag auf der künstlerischen Prominenz. Als 1951 die Berlinale ins Leben gerufen wurde, stand er Jahr für Jahr am Roten Teppich. Da kam Glamour in die Stadt und überstrahlte die Ruinen, Croner liefert dazu die Bilder von Claudia Cardinale und Co. und deren jubelnden Fans am Teppichrand. Er fotografiert andere Stars beim Nachtleben – viele Jazzgrößen, Andy Warhol, Leonard Bernstein. Croner hatte die Fähigkeit, genau im richtigen Moment abzudrücken, da sehen alle gut aus, da wird nichts peinlich, da wirkt nichts gestellt – da ist einfach nur Fröhlichkeit. Vermutlich wird das Kinski überzeugt haben, Croner in seine Wohnung zu lassen. Gut zwei Drittel seiner Arbeiten spielen im Theater – und so ist eine sicher einmalige Dokumentation des WestBerliner Bühnenlebens entstanden. Götz George als Junge im „Wilhelm Tell“, Ilja Richter als Kinderstar, Helene Weigel als „Mutter Courage“, Piscator, Juhnke, Pfitzmann, Peter Ustinow, Tilla Durieux, Bernhard Minetti, Karl Dall – eben irgendwie alle sind in den Aufnahmen von Harry Croner verewigt und zeugen von der großen Bühnenkunst in dieser Stadt.

Martina Krüger

 

Information

Bühne West-Berlin
bis zum 28.6. im Märkischen Museum/Stadtmuseum Berlin.
Dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr.

 

62 - Frühjahr 2015
Kultur