Behutsam streichelt Vicky Eggertsson ihr Pferd Svafur. Der Wallach ist es noch nicht gewohnt, auf Eis zu gehen. Doch schon nach wenigen Schritten hat er offenkundig nicht das geringste Problem mit dem eisigen Untergrund. Spezielle Hufnägel, ähnlich den Spikes bei einem Leichtathleten, lassen Svafur elegant auf dem eigentlich viel zu glatten Boden sein Können darbieten. Svafur ist eines von mehr als 100 Islandpferden, die zur „Icehorse 2015“, der Europameisterschaft für Islandpferde auf Eis, im Berliner Horst-Dohm-Eisstadion im Stadtteil Wilmersdorf antraten und mit Reitern aus acht Nationen ihr Können präsentierten. „Es gibt hier inzwischen fast so viele Tiere dieser herrlichen Rasse wie auf Island selbst“, sagt Charlotte Erdmann, Pressechefin des deutschen Züchterverbandes von Islandpferden. Innerhalb von 50 Jahren ist die Zahl der Pferde zwischen Flensburg und Oberstdorf auf rund 65 000 angewachsen. Der Verband selbst zählt mittlerweile 25 000 Mitglieder. Auf Island stehen derzeit knapp 100 000 der Pferde. „Es ist einfach eine fantastische Rasse“, schwärmt Vicky Eggertsson. „Die Tiere sind durch ihre Herkunft und das freie Leben in der Herde ungeheuer charakterstark.“ Südlich von Berlin bei Beelitz betreut die 41-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann Beggi mehr als 100 Islandpferde. „Das sind nicht alles unsere, wir selbst haben 15. Die anderen stehen bei uns im Pensionsstall“, erklärt die gebürtige Saarländerin. Neben Turnieren und der Betreuung der Pensionspferde sind die Eggertssons mit einer kleinen Zucht und dem Beritt von Islandpferden beschäftigt.
„Das Berliner Umland ist ideal dafür“, sagt Beggi Eggertsson. Aus seiner Geburtsstadt Akureyri, hoch im Norden der Vulkaninsel, war er Anfang der 90er-Jahre nach Hamburg gekommen, um Deutsch zu lernen. Bei der Arbeit auf einem Pferdehof lernte er Vicky kennen. Im Jahr 2000 zogen die beiden ins Brandenburgische, seit 2007 gibt es den Lótushof bei Beelitz, der nach Beggis berühmtestem Pferd benannt ist. Auf Lótus wurde der Isländer fünfmal Weltmeister im Passrennen über 250 Meter.
Beim Rennpassreiten, einer typischen Gangart bei Islandpferden in hoher Geschwindigkeit, steht Beggis Rekord auf der 250-Meter-Distanz bei 21,97 Sekunden. Bei 45 Stundenkilometern scheint das Pferd zu fliegen, obwohl immer zwei Beine die Erde berühren.
Diese Gangart und der sogenannte Tölt sowie ihr robustes Wesen machen die Isländer zu einer beliebten Pferderasse. Rund zwei Dutzend Höfe gibt es rund um Berlin, die sich auf die Zucht und das Reiten mit ihnen spezialisiert haben. In Deutschland gibt es mit fast 40 World Ranking Turnieren auch wesentlich mehr Leistungsprüfungen als in Island selbst. Das mag einerseits daran liegen, dass für viele Liebhaber dieser sportlichen Passion der Weg auf die nordische Insel zu weit ist. Andrerseits auch daran, dass die Isländer selbst ihre besten Zuchthengste und Stuten nur ungern aus der Hand geben. Eine weitere Besonderheit ist die Reinrassigkeit der Tiere. Islandpferd darf sich nur nennen, wessen Abstammung lückenlos und völlig ohne Fremdbluteinkreuzung bis nach Island zurückzuverfolgen ist. Und hat ein Pferd einmal die Insel verlassen, darf es nie wieder zurückkehren. Durch ständig neues Blut von der Insel ist die Rasse hierzuland auf bestem Stand. „Wir fahren mehrmals im Jahr nach Island und holen uns dort Nachschub“, verrät Vicky Eggertsson. Erst im Januar war die Familie, zu der seit drei Jahren auch Tochter Elfa gehört, in der Nähe von Akureyri und kaufte zwei Pferde für die eigene Zucht. Diese beherrschen neben den bei europäischen Pferden üblichen Gangarten ebenfalls den Pass und vor allem den rückenschonenden Tölt. „Tölten konnte vor langer, langer Zeit jedes Pferd“, erklärt Beggi Eggertsson. „Doch dem europäischen Hochadel war die Gangart im Mittelalter nicht standesgemäß. Deswegen wurde das in den Jahren herausgezüchtet.“ Dass Tölten nun die bevorzugte Gangart der Islandpferde ist, will Beggi aber nicht unterstreichen. „Sie können es. Aber in der Natur galoppieren die Tiere natürlich auch gern, sie traben oder gehen im Schritt. Das ist Veranlagung.“ Es sei allein das Geschick des Reiters, dem Pferd mitzuteilen, in welcher Gangart es sich bewegen soll. Und dieses Geschick, dazu das Aussehen und das Auftreten werden bei Turnieren von den Kampfrichtern bewertet. Als B-Note für den künstlerischen Wert würde man beim Eiskunstlaufen sagen. Nur beim schnellen Passreiten ist auch die Zeit von Bedeutung. Für viele Islandpferde-Freunde spielen Turniere jedoch keine große Rolle. Weil die Tiere widerstandsfähig und genügsam sind, dabei aber meist ausgeglichen im Gemüt und verspielt, sind sie ein idealer Freizeitpartner. Und Brandenburg mit seinen zahlreichen Pferdehöfen und unbegrenzten Reitmöglichkeiten bietet das ideale Gebiet dafür.
Hans-Christian Moritz