Runde Sachen

Vor 30 Jahren wäre der Arbeitsplatz von Robert Bartko perfekt gewesen. Wenige Meter neben und rund zehn Meter über der ständigen Trainingsstätte von Claudia Pechstein & Co. trennt den Sportdirektor der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft nur ein Seitenblick von den meisten seiner Schützlinge. Mittlerweile verhindert das in den 80er-Jahren aufgebrachte Dach über der Arena im Sportforum des Stadtteils Hohenschönhausen die freie Sicht des Funktionärs auf die Athleten.

„Wir sitzen hier im ehemaligen Kampfrichterturm“, weist Bartko auf den sonnendurchfluteten Raum, stellt aber gleich klar: „Ich habe zwar hier arbeitsmäßig ein Zuhause gefunden. Den Raum hat mir aber unser Präsident nur überlassen, weil es bis zum Hauptsitz des Verbandes nach München zu weit gewesen wäre.“

Jener Eislauf-Chef Gerd Heinze war es auch, der Robert Bartko bei einer der vielen Berliner Zusammenkünfte auf ehrenamtlicher Ebene im Sommer angesprochen hat, ob er sich den hauptamtlichen Job als Sportdirektor der Eisschnellläufer vorstellen könne. „Da musste ich nicht lange überlegen. Ich bin Sportler, seit ich denken kann. Eine Anstellung im Leistungssport, das ist ein Traum“, gibt der zweimalige Olympiasieger im Bahnradsport zu. Dass der Eisschnelllauf ein für ihn völlig fremdes Metier war, spielte für den Potsdamer überhaupt keine Rolle. „Ich musste ja nicht als Aufnahmeprüfung die Weltrekorde auswendig herunterbeten. Ich weiß, wie Leistungssport funktioniert. Das ist das Ausschlaggebende.“

Als Starttermin für den „Neuen“ einigte sich Heinze, dessen Amtszeit weiter das Äußere des Bartkoschen Arbeitsraumes prägt, auf den vergangenen Dezember. „Ich wollte gleich die ganze Eis-Saison mitmachen. So lässt sich am besten Kontakt zu den Sportlern, Trainern, Funktionären und dem gesamten Umfeld aufnehmen“, schildert Bartko. Natürlich war Claudia Pechstein erste Ansprechpartnerin der Sportler. „Wir kennen uns ewig, aber eben unter anderen Voraussetzungen. Wir haben schon in einigen Physiopraxen auf benachbarten Liegen gelegen“, lacht der viermalige Radweltmeister und siegreiche Held von 21 Sechstagerennen. Doch nicht nur die Aktiven, mittlerweile alle Zentren, wo leis-
tungsmäßig Eisschnelllauf betrieben wird, hat der neue Sportdirektor besucht. Persönlicher Kontakt ist das Wichtigste. „Ich kann nicht den Schlittschuh neu erfinden. Aber ich will die vorhandenen Strukturen zusammenführen, von allem das Beste übernehmen und verdeutlichen, dass wir ja alle wollen, dass es vorwärts geht.“ Deswegen ist die Resonanz, einen bislang außerhalb der Sportart stehenden Mann zum Direktor zu machen, durchweg positiv gewesen. „Ich gehörte keinem der schon vorhandenen Lager an und wurde als neutral eingestuft“, sagt er, obwohl ihn viele, die ihn nur aus dem Radsport kannten, erst einmal vorsichtig beäugten.

Mit seiner Zusage machte Robert Bartko aber das wichtigste seiner Vorhaben zunichte, als er zu Beginn des Jahres 2014 mit dem Sieg beim Sechstagerennen von Kopenhagen vom Rad stieg. „Ich will mehr Zeit für die Familie haben“, hatte er diesen Schritt wenige Tage zuvor beim knapp verlorenen Finale während der Veranstaltung in Berlin begründet. „Trotzdem hat mir meine Frau im Sommer sofort zugeraten, den Job im Eisschnelllauf zu übernehmen“, verrät der Familienvater. Schließlich fallen die weiten und zahlreichen Trainingslager, die ständigen Sechstagerennen und viele andere ausgedehnten Touren jetzt weg. „Ich kann mit den Kindern spielen, wir machen zusammen Hausaufgaben, können gemeinsam Abendbrot essen. Ehrlich gesagt, bin ich an den Abenden manchmal ziemlich fertig und bewundere im Nachhinein meine Frau, wie sie das früher alles geschafft hat neben ihrem Beruf“, staunt der 39-Jährige über sein doch neues Leben.   

Während der zweijährigen Nele die Arbeit ihres Papas noch ziemlich egal ist, müssen der elf Jahre alte Felix und der drei Jahre jüngere Moritz gleich mal ausprobieren, womit sich der Vater derzeit zu beschäftigen scheint. „Die wissen natürlich nicht, dass meine Arbeit vorwiegend mit Schreibtisch, Telefon, vielen Gesprächen und Analysen zu tun hat. Aber beim öffentlichen Eislaufen wollten sie mittlerweile schon ein paarmal dabei sein und waren auch bei den Meisterschaften hier mit in der Halle“, erzählt der Potsdamer. Dagegen liegen die Kufen-Aktivitäten des Sportdirektors viele Jahre zurück. „Ich habe als Kind alles probiert. Weil ich im heutigen Sinne als hyperaktiv galt, sah mich meine Mutter im Sport am bes-
ten aufgehoben. Ich war Leichtathlet, Schwimmer, Fußballer, habe Handball gespielt und gerudert. Und bevor ich beim Radsport hängen blieb, habe ich als Schüler auf dem Heiligen See in Potsdam auch Eishockey gespielt“, schildert Bartko seine im wahrsten Sinne des Wortes bewegte Vergangenheit. „Man muss eben alles mal ausprobieren. Mir tut nichts leid, alles war eine einzigartige Erfahrung“, sagt er, rückblickend auch auf seine kurze, aber weniger erfolgreiche Zeit als Straßenradsportler.

Das mit der Bewegung hat sich in den vergangenen Monaten eher ins Gegenteil verkehrt. „Ich müsste mehr machen“, gibt Bartko Defizite in dieser Richtung unumwunden zu, die aber an dem Modellathleten keine sichtbaren Spuren hinterlassen. „Doch mir fehlt einfach die Zeit.“ Hundert Tage hatte er sich nach großen Vorbildern Frist gegeben, um über erste Ansatzpunkte in seiner Tätigkeit im neuen Metier Bilanz zu ziehen. „Da wird nichts Grundlegendes gesagt und auch keine Entscheidung gefällt. Ich will einfach festhalten, wie die Fäden in dem Miteinander, das ich mir im Verband vorstelle, verknüpft sein sollen“, ist das Ziel umrissen. Damit soll die seit Langem hinderliche Lager- und Grüppchenbildung, die zwischen den Schwerpunkten in Berlin, Erfurt und Inzell immer mal wieder die optimale Leistung bremste, der Vergangeheit angehören. Bei seinem Amtsantritt hatte Bartko betont, er werde Funktionär, weil als hinderlich empfundene Strukturen in Verbänden nicht durch Proteste von außen, sondern durch aktive Tätigkeit von innen heraus geändert werden müssen. „Da sind wir wieder beim Punkt meiner Arbeit. Ich muss nicht wissen, wie der Schlittschuh geschliffen wird oder die Zeit des Dritten beim Weltcup in Irgendwo gewesen ist. Ich will die Arbeit im Verband optimieren.“ Ihm hat man früher nicht zuhören wollen bei den Radsportlern, der immer konstruktiv kritische Bartko selbst will es besser machen. „Der Athlet will sich ernst genommen und verstanden fühlen. Ich kenne schließlich diese Seite aus langer Erfahrung.“

Da muss wohl das Rennrad noch für einige Zeit in der Ecke stehen bleiben, der Bewegungsdrang gezügelt werden und warme Jacke und dicke Schuhe bei den Besuchen in den Trainingshallen die eisigen Temperaturen abhalten müssen. Mehr als 20 Jahre hat der Körper des Leistungssportlers Robert Bartko die Hauptlast tragen müssen, jetzt ist es der Kopf des Funktionärs. „Das ist anstrengender als früher, ohne Frage“, gibt der 39-Jährige zu. „Aber ich habe mich entschlossen, Verantwortung zu übernehmen. Es ist ein Traum für mich, weiter im Leistungssport zu arbeiten. Deswegen hänge ich mich voll in meine Aufgabe und freue mich, wenn sich Erfolge einstellen.“ Die gehören dann zu einem gewissen Teil auch der Familie. Die trägt es weiter mit, dass der Vater an Wettkampfwochenenden unterwegs ist. Und die Söhne finden das neue Metier sogar spannend. 

Hans-Christian Moritz

 

62 - Frühjahr 2015
Sport