Manche Menschen kommen nur schwer aus dem Bett und sind früh schlecht gelaunt, andere dagegen sind um 6 Uhr topfit und gesprächig. Wir wussten es schon immer, es gibt Eulen und Lerchen. Die Wissenschaft hat nun genetische Veranlagungen bestätigt. Doch nicht nur das Schlafverhalten, sondern auch viele Stoffwechselprozesse in unserem Körper werden durch die innere Uhr gesteuert. Die Chronobiologie ist all diesen Vorgängen auf der Spur. Wir sprachen mit Prof. Dr. Achim Kramer, Leiter des Arbeitsbereichs Chronobiologie an der Berliner Charité.
Chronos ist der Gott der Zeit. Was genau ist Gegenstand der Chronobiologie, einer relativ neuen Forschungsrichtung?
Chronobiologie beschäftigt sich mit dem Thema Zeit in der Biologie und vor allem mit dem 24-Stunden-Rhythmus. Wir untersuchen die Auswirkungen auf Physiologie und Verhalten, vor allem, was es für Konsequenzen für Mensch und Tier hat, wenn die Rhythmen gestört sind.
Welche Auswirkungen hat unser moderner Lebensstil auf die Gesundheit? Gerade in Berlin macht man die Nacht ja gern mal zum Tag. Andererseits beginnen Schule, Universität und Arbeit oft relativ zeitig am Morgen.
Wenn man gegen seine innere Uhr lebt, erhöht sich das Risiko für Krankheiten, wie zum Beispiel Stoffwechselstörungen, darunter Diabetes und Fettleibigkeit und auch für Krebs. Da spielen, wie wir heute wissen, hormonelle Veränderungen im Körper eine Schlüsselrolle.
Welche Hormone sind das?
Viele Hormone sind von der inneren Uhr gesteuert. Ganz wichtig ist dabei das Stresshormon Kortisol, das steigt an, bevor wir aufwachen. Es hat seine höchste Konzentration im Blut am frühen Morgen. Dann geht es im Lauf des Tages immer weiter runter, und später in der Nacht steigt es wieder an. Auch Schilddrüsenhormone haben einen Tagesgang, dann gibt es das Dunkelhormon Melatonin, das vor allem in der Nacht ausgeschüttet wird. Das alles sind physiologische Konsequenzen der inneren Uhr.
Gibt es gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu gesundheitlichen Folgen von Schichtarbeit?
Das ist vor allem dann ein Problem, wenn die Menschen in der rotierenden Schichtarbeit sind, das heißt die Schichten von Tag-, auf Nacht-, auf Spätschicht wechseln und der Körper sich nie wirklich umstellen kann. Man lebt dann wie in einem Dauer-Jetlag. Das ist Leben gegen die innere Uhr. Wenn man das tut, dann erhöhen sich Risiken für Krankheiten. Es gibt ja zum Beispiel eine große Studie mit Krankenschwestern, die in rotierenden Schichten arbeiten, sie haben ein höheres Risiko für Brustkrebs.
Künstliches Licht ist immer wieder ein Thema, Stichwort Blauanteil im Lichtspektrum. Wie sollte Licht beschaffen sein, damit wir den Schlaf-Wach-Rhythmus nicht gefährden?
Licht hat unterschiedliche Auswirkungen auf die innere Uhr. Das Wichtigste ist, dass wir das Licht zur richtigen Tageszeit erhalten. Wenn wir tagsüber viel Licht bekommen, dann ist es allgemein gut für die innere Uhr, das ist auch eine Botschaft an die Bevölkerung: viel Licht tagsüber. Aber kein künstliches Licht in der Nacht, gerade in der frühen Nacht. Das ist vor allem für die Spättypen wichtig. Wenn diese Menschen in der frühen Nacht viel Licht bekommen, gerade auch Computerlicht mit hohem Blauanteil, dann stellt sich deren innere Uhr auf noch später. Wenn sie am frühen Morgen mehr Licht ausgesetzt sein würden, dann tickt die innere Uhr früher. Da kann in der dunkleren Jahreszeit auch schon mal eine Tageslichtlampe hilfreich sein.
11 Uhr ist für die meisten Menschen die produktivste Zeit. Warum ist das so?
Alle Menschen sind unterschiedlich, es gibt genetisch bedingt Spättypen und Frühtypen, also wie man umgangssprachlich sagt, Eulen und Lerchen. Wenn jemand ein ganz extremer Spättyp ist, dann könnte elf Uhr sogar noch zu früh sein. Die meisten Menschen haben aber einen relativ normalen Chronotyp, das heißt ihre Schlafmitte ist ungefähr um 4:30 Uhr. Diese Schlafmitte bedeutet, man ginge um halb eins ins Bett und würde um halb neun aufwachen. Dann ist man natürlich am Vormittag besonders produktiv. Es gibt aber auch noch andere sehr produktive Zeiten. Zum Beispiel am Abend. Untersuchungen zeigen, dass die Aufmerksamkeit am Abend noch einmal ansteigt, das ist typenabhängig. Wenn wir tagsüber wenig Licht bekommen, verschiebt sich ebenfalls der Rhythmus nach hinten. Vergleicht man unseren durchschnittlichen Chronotyp etwa mit Indien, dann sind wir relative Spättypen. Das liegt daran, dass die Inder viel mehr dem Tageslicht ausgesetzt sind als wir.
Die Schulen aber zum Beispiel fangen spätestens schon um 8 Uhr an, das ist also gegen die innere Uhr der meisten Schülerinnen und Schüler.
Ja, eigentlich müsste der Schulunterricht wirklich später beginnen, gerade für die älteren Schüler. 9 Uhr, 10 Uhr, in Dänemark gibt es Schulen, die fangen erst um 11 Uhr an. Der Chronotyp ist aber auch gestaffelt altersabhängig. Gerade Jugendliche sind vom Chronotyp her meist relativ spät, Grundschulkinder sind früher aufnahmefähig.
Es wird ja schon mit veränderbarem Licht in Schulen experimentiert. Da geht es nicht nur um hell und dunkel, sondern auch um warmes und kaltes Licht, je nach Tageszeit und Arbeitssituation. Empfehlen Sie das?
Ja, denn es gibt auch akute Wirkungen von Licht. Helles, bläuliches Licht erhöht die Konzentration und Aufmerksamkeit. Gedimmtes Licht ist eher für kreative Prozesse wichtig oder in Gesprächssituationen. Ganz unabhängig von aller Chronobiologie.
Im Moment haben wir Sommerzeit, die meisten genießen die längeren Abende. Trotzdem flammt immer wieder Streit auf über Sinn und Unsinn.
Also ganz allgemein bin ich wie meine Fachkollegen auch für Abschaffung der Zeitumstellung. Denn vom Stand der Sonne und den natürlichen Gegebenheiten her ändert sich ja nichts. Nur dass dann die Schule oder die Arbeit noch eine Stunde eher anfängt. Viele Menschen haben da Umstellungsprobleme. Außerdem bekommen zum Zeitpunkt der Umstellung einige Menschen kaum Morgenlicht, dabei ist gerade das so wichtig. Wenn man um 6 Uhr aufsteht, ist es ja noch dunkel. Es gibt extreme Spättypen, die stellen sich das ganze halbe Jahr überhaupt nicht um, das haben Studien gezeigt. Ich kann allerdings auch gut verstehen, dass viele es schön finden, wenn es abends länger hell ist. Mein Kompromissvorschlag wäre, dass die Sommerzeit nicht schon Ende März beginnt, sondern vielleicht erst Ende Mai und schon Ende August aufhört. In dieser Zeit ist ja auch meteorologisch Sommer.
Danke für das Gespräch.
Karen Schröder