Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sprach mit Berlin vis-à-vis über Wohnungsbau, Kultur, Flüchtlinge und die Startup-Szene.
Berlins Attraktivität ist ungebrochen. Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt, die Mieten steigen. Sind die Zeiten endgültig vorbei, als das Wohnen in der Hauptstadt noch für alle bezahlbar war?
Mit der wachsenden Wirtschaft in Berlin wird das Leben in der Stadt auch teurer. Solange es damit einhergeht, dass mehr Menschen Arbeit haben und besser verdienen, ist das für eine Hauptstadt eine normale Entwicklung. Trotzdem unternehmen wir viel, um den Preisanstieg zu dämpfen und zu regulieren, damit Berlin weiter bezahlbar bleibt. Sei es über die Mietpreisbremse oder das Zweckentfremdungsverbot und vor allem den Wohnungsneubau. Berlin wird dadurch seine Attraktivität als Stadt der bezahlbaren Mieten gegenüber anderen europäischen Städten noch lange erhalten können.
Mit der Hälfte des 2014 erzielten Haushaltsüberschusses soll in defizitäre Bereiche investiert werden, sowohl in den Wohnungsbau als auch in die Personalaufstockung in den Behörden. Wo ist derzeit der Bedarf am dringendsten?
Wir nehmen knapp 500 Millionen Euro zusätzlich zu den anderen Inves-titionsmitteln in die Hand, um die Infrastruktur im Rahmen der wachsenden Stadt zu verbessern. Dazu gehören der Straßenausbau, die Schulsanierungen, Personalaufstockung in der Verwaltung und vor allem der Wohnungsbau. Dieser ist ganz eindeutig im Rahmen der Investition ein Schwerpunkt. Berlins Einwohnerzahl ist im vierten Jahr in Folge um 40 000 Menschen gestiegen.
Die vernachlässigte Wohnungsbaupolitik in der Vergangenheit stellt Sie vor große Herausforderungen: Es fehlen 22 000 neue Wohnungen, in den kommenden Jahren sollen bis zu 43 000 neue Wohnungen entstehen. Gleichzeitig erschweren immer wieder Bürgerproteste neues Bauen. Wird die Realisierung dabei immer wieder zum Balanceakt?
Bis 2010/11 standen viele Wohnungen leer. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Wir müssen ungefähr 10 000 Wohnungen pro Jahr bauen, um dem Bevölkerungsanstieg gerecht zu werden. Und ja, es gibt auf den Flächen, auf denen Wohnungen entstehen könnten, riesige Nutzungskonflikte mit Auseinandersetzungen bis hin zu Bürgerprotesten. Das muss die Politik akzeptieren. Umgekehrt muss die Stadtgesellschaft akzeptieren, dass die Politik aus einem gesamtstädtischen Interesse heraus entscheidet, Wohnungen zu bauen, weil sie gebraucht werden.
Einen Teil von Berlins Charme machen die vielen Freiflächen aus.
Das stimmt.
Will man das aufgeben?
Nein, das kann man nicht aufgeben. Das grüne Berlin mit seinem hohen Freizeitwert ist Teil der Attraktivität der Stadt. Es ist eine Gratwanderung. Einerseits wollen wir unsere schönen Freiflächen erhalten, andererseits müssen wir verdichten. Um in der Innenstadt mehr Wohnungen schaffen zu können, müssen wir eben teilweise auch Brachflächen nutzen.
Gerade ist wieder verstärkt Thema, in die Höhe zu bauen, wie schätzen Sie die realistische Umsetzung der Hochhausidee ein? Zum Beispiel das Projekt für den Hardenbergplatz.
Oder auch am Alexanderplatz. Es wurden in den 90er-Jahren 20 Hochhäuser geplant, aber über Jahre ist nichts passiert. Jetzt tut sich endlich etwas. Ich finde das richtig, aber auch hier muss man sensibel sein und hinschauen, wo es passt. In City West und Ost, da, wo pulsierendes städtisches Leben herrscht, passen Hochhäuser. Sie gehören zur besseren Flächennutzung dazu.
Der Fokus der Hauptstadt war immer stark auf die Kunst und Kultur gerichtet. Ihr Berlin soll auch Wirtschaftsstadt sein. War Ihnen die Wahrnehmung der Stadt als Kultur-Hotspot in den letzten Jahren zu einseitig?
Nein, zu einseitig war es nicht, weil wir auch in den letzten Jahren ganz bewusst auf die Wirtschaftsstärke der Stadt gesetzt haben und ein europaweiter Anziehungspunkt geworden sind. Tatsächlich ist es mir wichtig, Berlins Kunst und Kultur weiter zu fördern, aber auch ganz bewusst darauf zu setzen, Investitionen in die Stadt zu holen, um die momentan hervorragende wirtschaftliche Entwicklung weiter voranzutreiben, ganz besonders im Bereich der Startup-Szene.
Wird das Zugpferd Kultur nicht zurückgefahren?
Nein, im Gegenteil. Der Senat hat dem Parlament einen Haushalt vorgelegt, in dem wir den Kulturetat um 10 Prozent aufstocken.
Es bestehen dennoch Bedenken von Kulturmachern hinsichtlich der Verteilung der Subventionen.
Es werden nicht nur unsere Opernhäuser, also die großen Dampfer der Kultur, profitieren. Es werden auch tatsächlich die kleineren Häuser wie das Maxim Gorki Theater oder das HAU (Hebbel am Ufer), Atelierprogramme sowie die freie Szene bei der Verteilung bedacht.
Und welche Bestrebungen gibt es, auch kleinere Startup-Unternehmen und Manufakturen zu unterstützen?
Für die Startups ist es beinahe genauso wichtig, an Kapital zu kommen wie an Flächen, auf denen man sich nicht langfristig binden muss und auch mal etwas ausprobieren kann. Uns kommt zugute, dass wir die Gründerzentren rund um die TU haben, bei der GSG (die Gewerbehöfe und Gewerbeparks in Berlin, Anm. d. Red.) oder in Adlershof. Es ist ein echter Standortvorteil von Berlin, dass wir im Stadtbereich Raum für die Gründerszene haben, den wir fördern. Wir setzen vor allem auf Digitalisierung. Wir erarbeiten mit allen relevanten Stellen gerade eine Agenda mit konkreten Vorschlägen wie zum Beispiel auch mehr Professuren in dem Themenfeld. So wollen wir zu einer echten Hightech-Metropole werden.
Die Berliner schätzen Ihr unprätentiöses Auftreten und das Bodenständige, das Sie verkörpern. Überrascht Sie Ihr guter Stand selbst ein wenig?
Es freut mich, dass ich von den Berlinerinnen und Berlinern angenommen werde und auch viel Unterstützung erfahre, sowohl aus Wirtschaft und Wissenschaft als auch aus der Kultur.
Von Ramona Pop gibt es den Satz „Michael Müller kommt so gut an, weil er nicht Klaus Wowereit ist“. Was denken Sie, wie lange Sie noch mit Ihrem Vorgänger verglichen werden?
Die Regierenden Bürgermeister werden immer miteinander verglichen, Eberhard Diepgen und Walter Momper bis heute. Mich stört es nicht. Ich bin mit Klaus Wowereit befreundet. Ihn zu kopieren, wäre furchtbar geworden, für uns beide und für alle anderen. Mir war von Anfang an wichtig, dass ich meinen eigenen Weg finde. Das scheint mir gelungen zu sein. Die Leute merken offensichtlich, der ist bei sich und versucht nicht irgendetwas zu spielen.
Ihre bisherige Amtszeit von nicht einmal einem Jahr ist mit wichtigen und nicht leicht zu bewältigenden Aufgaben ausgefüllt: Haben Sie sich Ihr Amt so vorgestellt?
Ich habe es mir so vorgestellt. Und es macht mir sehr viel Spaß. Das Schöne an meinem Amt ist vor allem das große Themenspektrum. Als Stadtentwicklungssenator waren die Aufgaben auch vielfältig, aber viel mehr fokussiert. Dank der guten Mannschaft im Roten Rathaus, die mich kompetent unterstützt, konnte und kann ich mich mit allen Themen schnell vertraut machen.
Sie haben von Anfang an die Fraktionschefs zusammengerufen, um die Versorgung der Flüchtlinge zu organisieren. Das hat man Ihnen hoch angerechnet. Wird schnelles Handeln weiterhin ein Stil Ihrer Politik sein?
Bei diesem Thema kann man nicht lange hin und her diskutieren, man muss schnell organisieren. Die Menschen sind da und wir müssen ihnen helfen. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass das Zusammenleben gut funktioniert und nicht alles lahmgelegt wird. Deswegen war es mir wichtig, diesen Koordinierungsstab schnell einzurichten und personell zu verstärken. Es sind 25 000 Menschen in unsere Stadt gekommen, und bis zum Jahresende können es noch mal so viele werden.
Wie gestaltet sich die weitere Aufnahme von Flüchtlingen in Berlin?
Wir benötigen Unterbringungsmöglichkeit mit entsprechender Infrastruktur. Es gibt zwar viele Flächenangebote und leer stehende Lagerhallen, aber dann mangelt es an Toiletten, Duschen, Schulangeboten etc . Wir müssen Hilfsangebote gewährleisten und Standorte finden, an denen Integration möglich ist.
Welche Standorte kommen infrage?
Die Erstaufnahme in der Turmstraße soll entlastet werden durch eine weitere Immobilie der Landesbank an der Bundesallee. Im Gespräch sind dezentrale kleine Standorte, aber auch innerstädtische wie der ehemalige Flugplatz Tempelhof, auf dem ein oder zwei Hangars genutzt werden könnten. Eine Teilnutzung des ICC steht auch zur Debatte, ebenso wie übergangsweise eine Messehalle. Es muss gemischt werden: kleine Unterkünfte, Kasernen wie in Spandau oder Hallen in der Stadt, die gut erschlossen sind.
Ist zu befürchten, dass die „Willkommenskultur“ in Berlin kippen könnte?
Das A und O ist Information. Man muss sich mit dem Problem sensibel auseinandersetzen und die Menschen ernst nehmen, deren Sorge sich auf das Zusammenleben in der Stadt bezieht. Wie wird beispielsweise der Schulalltag aussehen, wenn Turnhallen beschlagnahmt sind. Die Akzeptanz der Berlinerinnen und Berliner ist hoch, und ohne die zahlreichen freiwilligen Helfer würde es gar nicht funktionieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Bundesebene muss auch ihrer Verpflichtung nachkommen und das Thema Flüchtlinge muss international gelöst werden. Es geht nicht, dass in Europa fünf Staaten 50 Prozent der Last tragen und die anderen europäischen Staaten sich raushalten. Wir wollen internationale Lösungen und nationale Verantwortung.
Statt großer Visionen versprechen Sie beispielsweise, die schlimmen Zustände auf Berliner Schultoiletten zu verbessern.
Eins schließt das andere nicht aus. Wenn wir darüber reden, eine High-tech-Metropole werden zu wollen, können wir uns trotzdem um Alltagssorgen kümmern. Viele Eltern und Lehrer sind genervt von den Zuständen an manchen Schulen. Wir wollen uns darum kümmern, sie zu verbessern. Ein großes Leitbild und Alltagssorgen kann man gemeinsam verfolgen.
Danke für das Gespräch.
Ina Hegenberger