Neukölln hat sich mittlerweile vom traditionellen Arbeiterviertel zum begehrten Wohnbezirk entwickelt. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind die Mietpreise stark gestiegen. Bei Neubauprojekten sind daher Widerstände von Bürgerinitiativen und die Angst einer Gentrifizierung oft vorprogrammiert. Berlin vis-à-vis sprach mit Uwe Springer, Vorstand des WBV Neukölln, und dem Architekten Sven Blumers. Gemeinsam entwickeln sie in Neukölln ein Neubauprojekt für verschiedene Generationen.
Herr Springer, die Heidelberger Straße in Neukölln ist für Ihre Genossenschaft ein wichtiger Standort. Sie wollen dort zwei Wohnhäuser abreißen, um dann neu zu bauen. Warum modernisieren Sie nicht, wie es einige Nutzer Ihrer Genossenschaft fordern?
Von den ca. 5 800 Wohnungen, die wir haben, befindet sich jede dritte in Neukölln. Die Gebäude in der Heidelberger Straße, um die es sich hier handelt, gehören zu unserer größten Siedlung und wurden ursprünglich in den Jahren 1927 bis 1930 errichtet. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Häuser zerstört und in den 60er-Jahren durch Neubauten mit weniger hochwertigen Materialien ersetzt. Um die Gebäude und die Bausubstanz für die nächsten Nutzergenerationen in einen zeitgemäßen Zustand zu bringen, gab es für uns zwei Alternativen: Eine vollständige Sanierung oder der Abriss mit anschließender Neubebauung des Grundstückes. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile, insbesondere auch der Kosten und wirtschaftlich vertretbarer Lösungen für Nutzer und Eigentümer, haben wir uns für den kompletten Neubau entschieden.
Herr Blumers, können Sie diese Vor- und Nachteile etwas ausführlicher erläutern?
Bei unseren Analysen stellte sich heraus, dass eine Sanierung der Gebäude nur mit sehr hohen Kosten möglich gewesen wäre. Gründe dafür sind zum einen die staatlichen Energieeinsparauflagen, zum anderen aber auch die heutigen Erwartungen von Mietern hinsichtlich des Wohnstandards. So wären beispielsweise Schallschutzmaßnahmen, eine Erneuerung der Haustechnik und Heizungsanlage, des Daches, der Wände, Fenster sowie Elektro- und Wasserleitungen notwendig gewesen. Um auch zukünftig ein generationsübergreifendes Wohnen zu ermöglichen, wäre die nachträgliche aufwendige Installation von Aufzügen notwendig gewesen. Von daher war schnell klar, dass der zu erwartende finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zu der damit erreichbaren Verbesserung der Gebäudequalität sowie zeitgemäßer altersgerechter Wohnungen gestanden hätte. Und zudem hätten die Kosten durch eine Modernisierungsumlage nicht angemessen abgefedert beziehungsweise auf die Mieter umgelegt werden können.
Mit dem Neubauvorhaben ist der WBV Neukölln bei einigen seiner Nutzer auch auf Widerstand gestoßen. Wie gehen Sie damit um, Herr Springer?
Die Philosophie unserer Genossenschaft ist unter anderem, dass die Mitglieder langfristig in einem gemeinsamen Wohnumfeld leben und einen sicheren Zugang zu bezahlbarem Wohnraum erhalten. Unsere Nutzungsentgelte – so nennt man die „Mieten“ bei den Genossenschaften – liegen dabei zehn bis 25 Prozent unter dem Mittelwert des Berliner Mietspiegels. Bei dem Neubauprojekt in der Heidelberger Straße ist es so, dass wir über ausreichend alternativen bezahlbaren Wohnraum in der Nachbarschaft und in der näheren Umgebung verfügen. Wir können den Nutzern Ersatzwohnungen zur Verfügung stellen, ohne dass sie ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen. Für mehr als drei Viertel der betroffenen Mieter haben wir bereits Wohnlösungen im nachbarschaftlichen Umfeld gefunden. Und alle Mieter sind zufriedener als vorher. Denn die Ersatzwohnungen sind im Gegensatz zu den Wohnungen in der Heidelberger Straße 15 bis 18 renoviert und bieten darüber hinaus einen höheren Wohnkomfort bei geringeren Nebenkosten. Zudem übernehmen wir Umzugskosten sowie Kosten für kleinere Anpassungs- und Umbaumaßnahmen. Fakt ist, dass wir für jeden unserer Nutzer eine individuelle Lösung finden.
Das Architekturbüro Blumers Architekten konnte sich in einem Ideenwettbewerb zur Gestaltung der neuen Gebäude und Außenflächen mit einem Konzeptentwurf durchsetzen, der Wohnformen für verschiedene Generationen vorsieht.
Blumers: Insgesamt werden wir rund 90 barrierefreie Wohnungen mit ca. 6 600 Quadratmeter Wohnfläche bauen. Das ist fast doppelt so viel Wohnfläche, wie derzeit in den beiden Altbauten vorhanden ist. Bis Ende 2017 entstehen Wohnungen für Familien, Senioren, Singles und Paare im etablierten Alter. Generell wird bei dem Projekt eine Mischung aus jungen und älteren Bewohnern angestrebt. Bei der Gestaltung der Wohnungsgrundrisse wurde daher auch viel Wert auf hohe Flexibilität und Variabilität bezüglich Größe und Inhalt gelegt. Die Planung ermöglicht so, je nach Bedarf die Anzahl von Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen zu variieren. Neben der Installation von Aufzügen wird es Gemeinschafts- und Gewerbeflächen, einen Concierge sowie eine Tiefgarage geben. Der gesamte Innenhofbereich wird autofrei sein. Die Außenflächen werden wir so gestalten, dass sie durch einen großzügig angelegten Quartiersplatz zum Ort der Begegnung werden.
Springer: Darüber hinaus steht im Fokus des Neubaus eine umweltbewusste und energieeffiziente Bauweise. Wir planen ressourcenschonende Techniken wie Photovoltaik und Regenwassernutzung sowie eine Stromtankstelle. Das Nutzungsentgelt wird mit rund 8,50 Euro pro Quadratmeter unter dem Berliner und Neuköllner Durchschnitt für Neubauwohnungen liegen.
Wie erleben Sie als Architekturbüro generell das Thema Gentrifizierung bei Neubauprojekten?
Blumers: Die Widerstände haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass es wichtig ist, die betroffenen Mieter und auch Anwohner früh in die Planungen mit einzubeziehen und regelmäßig zu informieren. So kann man vielen Betroffenen schon im Vorfeld ihre Bedenken nehmen und die Vorteile aufzeigen. Berlin braucht mehr bezahlbaren Wohnraum. Erste Weichen hat der Senat dafür bereits gestellt. Aber es ist in einer Weltmetropole nicht flächendeckend machbar, dass man für sechs Euro in den bes-
ten zentralen Lagen wohnen kann. Hier sind meiner Meinung nach Politik und Öffentlichkeit noch stärker gefordert, sachlich und wirtschaftlich besser aufzuklären.
Vielen Dank für das Gespräch.