Wer an den niederländischen Avantgardisten (1982 – 1944) denkt, mag seine schwarzen Rasterlinien und Rechtecke in Rot, Gelb und Blau vor Augen haben und an ebenso flirrende wie radikal reduzierte Bilder der Großstadt denken. Etwa an „Victory Boogie Woogie“ von 1944, sein berühmtes, unvollendetes letztes Werk, das im New Yorker Exil am Hudson River entstand. Man mag fasziniert sein von der Werkfülle und Kompositionslust des Künstlers, die bis hinein ins Atelier wirkte und vor Fußboden, Wand und Möbeln nicht haltmachte. Im Gegenteil. Selbst der Stängel einer Rose wurde weiß bemalt. Aber erinnert man sich auch an die sich eng aneinanderschmiegenden Bauernhäuser, an die Gemälde, aus der die niederländische Landschaft aufscheint oder den „Tannenwald“, der mit schwarzer Kreide auf ein dunkelblaugrünes Blatt gezeichnet ist? Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau skizziert „modellhaft“, so der Kurator Hans Janssen, mit 50 Werken die Wandlung der künstlerischen Handschrift nach. Die Bilder für die thematische Schau kommen hauptsächlich aus dem Gemeentemuseum Den Haag und wurden mit Unterstützung der Niederländischen Botschaft nach Berlin entliehen. Es ist keine Retrospektive, lädt dafür aber mit Überraschungen und den Blick auf das Frühwerk des Künstlers ein.
Piet Mondrians gelbrotblaue Rechtecke gehören zum ikonischen Bildbesitz mehrerer Generationen und sie scheinen ja auch längst aus den Gemälden in die Stadt zurückgesprungen zu sein, ganz abgesehen davon, dass sie zigfach zitiert und beliebte Ausdrucksmittel von Designern wurden, sei es für Mode, Möbel oder Geschirr. Eine Intention, die ja der Künstler selbst initiierte.
Und dennoch ist es die erste große Einzelausstellung in der Spreestadt seit 1968. Zur Eröffnung der Neuen Nationalgalerie wurde der niederländische Abstraktionist, er wurde in Amersfoort geboren und starb zweiundsiebzigjährig als Emigrant in New York, mit einer Werkschau dem Berliner Publikum (erneut) bekannt gemacht, nachdem die Nazis seine Werke als „Entartete Kunst“ diffamierten. Jetzt wird man also mit dem frühen Mondrian überrascht. Immer wieder mag man auf die flache Landschaft im Gemälde „Bäume am Geinn“ (1907) schauen, die in warmen Rottönen zerfließt. Hier sind allein durch die Reihung der Alleebäume und ihrer leicht verzerrten Spiegelung im Kanal schon die Horizontalen und Vertikalen harmonisch ausbalanciert, die später ganz für sich selbst und als reine Geometrie in der Fläche auskommen. Es genügt, in die großen dunklen Augen des „Selbstporträts“ von 1908 zu schauen, um etwas von der geistigen Versenkung und Wahrheitssuche des Künstlers zumindest zu erahnen. Wie etwa den Unterschied vom „Anschauen der Natur“ im Verhältnis zum „Wahrnehmen“, den er in theoretischen Schriften reflektiert. Sein weiterer Schaffensweg, der exemplarisch belegt ist, führt ihn nach Paris, zu Picasso und zur Auseinandersetzung mit dem Kubismus. Die „Zerlegung der Form“, so der Titel eines der Kabinette, wird an Skizzen und Gemälden, die noch Figürliches erkennbar lassen, gezeigt. Eine der Augenfreuden ist die kleine Vorstudie zum „Blauen Apfelbaum“ aus Privatbesitz. Bizarre Äste werden zu schwungvollen Pinselhieben, deren Gestus man fast noch spürt, bis auch diese in noch reduzierteren Linien gebändigt sind. Der Baum gehört zu Piet Mondrians Lieblingsmotiven und an ihm entfaltet und mit ihm erweitert er seine rhythmische Linearität bis zur nächsten Etappe – der Geburtsstunde der reinen Form. Die zeigt sich als Ei („Komposition in Oval mit Farbflächen 2“, 1914). Es umschließt pastellene Farbfelder, die der Künstler aus der Anschauung der Großstadt extrahiert und zu einem heiteren Gleichgewicht ausbalanciert hat. Die Abstraktion lag als Ausdrucksform einer neuen Epoche in der Luft und Kandinsky und Malewitsch („weißes Quadrat“) und Mondrian suchten je ihren eigenen Weg. Bei dem Niederländer heißen die zigfach durchdeklinierten Gemälde schließlich nur noch „Tableau“. Mit spiritueller Intensität malt er 1937 „Composition mit Linien und Farbe: III“. Es bekrönt mit seinem im Goldenen Schnitt verankerten Blau den Ausstellungsrundgang.
Die Linie hat es dem Avantgardisten angetan. Er ist, so zeigt es die Auswahl seines OEuvres, einen großen Schritt gegangen und hat alle Zufälligkeit und Gestik verbannt. Die sich kreuzenden schwarzen Balken sind zugleich ein Statement, um dessent- willen Piet Mondrian auch seine Mitgliedschaft in der De-Stijl-Gruppe aufkündigte, als sein Freund, der Maler van Doesburg begann, Diagonalen zu malen. Es schien dem streng erzogenen Kalvinisten damit „eine Frivolität einzuziehen“, die seinem Bedürfnis nach wesenhafter Grundordnung widerstrebte.
Anita Wünschmann
Information:
Piet Mondrian. Die Linie
4. September bis 6. Dezember 2015
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin