Berlin-Macher

Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Christian Schulz.

 

Die Szene wirkt gespenstig: Nebelschwaden ziehen vorüber, verwunschene Figuren sind schemenhaft zu erkennen, im Hintergrund dominiert eine Holzhütte das Bild. Dann plötzlich ertönt eine Stimme: „Es war einmal vor langer, langer Zeit – sagen wir kurz vor Weihnachten – weit, weit weg in Polen – dort, wo Fuchs und Hase sich ‚Gute Nacht‘ sagen –, da kam ein Mann aus Deutschland – dieser Berlinski – zu uns und hat einfach unser schönes, geliebtes Haus geklaut.“ Dazwischen mischt sich hässliches Gelächter, bevor das Gesicht eines zigarrenrauchenden Fieslings vor der Hütte ins Bild rückt, und der – es ginge kaum unsympathischer – feist verkündet: „Meins.“

So beginnt der Film, der auf der Internetseite der Hexenkessel & Strand GmbH die Geschichte der „Märchenhütte“ erzählt, die tatsächlich aus Polen stammt und mittlerweile zum festen Bestandteil der Berliner Kulturlandschaft zählt. Und der Berlinski ist in Wahrheit natürlich kein skrupelloser Immobilienspekulant aus der Hauptstadt, sondern ein im realen Leben eher romantisch daherkommender Bayer namens Christian Schulz. Der wiederum ist Geschäftsführer besagter Gesellschaft, die neben der „Märchenhütte“ im Monbijoupark eine Vielzahl von stadtbekannten und zum Teil traditionsreichen Einrichtungen betreibt – und das ausgesprochen erfolgreich.

Aber wie das mit dem Erfolg so ist, ruft der doch offensichtlich zwangsläufig auch Neider auf den Plan. „Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich hart erarbeiten“, lautet das dazu passende deutsche Sprichwort. Das hat auch Schulz erfahren müssen, dem seine Art, die Dinge anzugehen, nicht nur Freu(n)de, sondern auch eine Menge Ärger eingebracht hat. Nur ein Beispiel: Nachdem sich die Schauspieler-Mannschaft um Regisseur Jan Zimmermann in die Herzen der Kinder wie der Erwachsenen gleichermaßen gespielt hatte, gab es handfesten Ärger, an dessen Ende eigentlich der Abriss der „Märchenhütte“ hätte stehen sollen. Mit der Hartnäckigkeit eines Steinbockes einerseits und seinem Charme andererseits hat es der gebürtige Münchner dann letztlich aber doch geschafft, dass die heimelige Holzhütte, für die das Bauamt in Mitte ursprünglich nur eine befristete Ausnahmegenehmigung erteilt hatte, nun doch nicht abgerissen wird und der Betrieb weitergehen kann. Und so können sich zur Freude der zahlreichen Besucher auf dem alten Bunkerdach, dem Hochplateau im Monbijoupark gegenüber dem Bode-Museum, Hänsel und Gretel, Dornröschen, Rotkäppchen und der Wolf, Schneewittchen und viele andere bekannte Figuren nach wie vor die Klinke in die Hand geben.

Schulz, so sagt er von sich, ist am glücklichsten, wenn er an einem Ort Menschen zusammengebracht hat, die sich gemeinsam wohl fühlen und Spaß haben. Allein schon deshalb muss der Vater zweier Kinder ein ausgesprochen glücklicher Mensch sein. Denn neben der „Märchenhütte“ gehören noch das „Hexenkessel-Hoftheater“, die „MS Marie“, das Restaurant „Altes Europa“, die „Strandbar“ und der „Oststrand“ sowie nicht zuletzt „Clärchens Ballhaus“ zu den Orten, die in seiner Verantwortung liegen und an denen sich die Menschen offenbar besonders wohl fühlen und Spaß haben. Für ihn, der nach eigenem Bekunden in seinem Denken ganz vom Theater kommt, ist das so eine Art „Inszenierung des Lebens“, wobei er dafür zuweilen bis zu 200 Mitarbeiter im Einsatz und somit in Lohn und Brot hat.

Die Frage, die sich auch Schulz, der Sport und Psychologie studiert hat, in diesem Zusammenhang immer wieder stellt: Ist er mehr Künstler oder Unternehmer? „Ich leiste mir nicht die Eitelkeit, mich als Künstler zu betrachten“, sagt er und erzählt, was der ehemalige Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter einmal zu ihm gesagt hat: „Sie sind jemand, der etwas unternimmt.“ Auf der einen Seite mit einem Hauch Sozialromantik ausgestattet, ist er auf der anderen Seite auch ein Konservativer, der in seinen Einrichtungen immer versucht, Spuren aus der Vergangenheit aufzudecken und zu erhalten. „In Clärchens Ballhaus kann man die ganze deutsche Geschichte verfolgen“, schwärmt er und berichtet stolz: „Dort wohne ich auch.“ Dass bei „Clärchen“ ein Italiener in der Küche das Sagen hat, ist kein Zufall. Der 39-Jährige ist bekennender Liebhaber von Italien und dessen Küche nebst dem dazugehörenden Dolce Vita. Und man glaubt ihm, wenn er sagt: „Ich kämpfe hart darum, dass ich das Leben führen kann, das ich will.“

Dabei spielen Werte für Schulz eine besondere Rolle. Und auch ohne dass von Begriffen wie Kardinaltugenden oder preußische Tugenden überhaupt die Rede ist, kommt man fast zwangsläufig auf den Gedanken, dass dieser Bayer ganz schön preußisch ist. Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Fleiß sind für ihn Voraussetzungen dafür, dass so ein großes Team überhaupt funktionieren kann. Und doch ist er kein Wertkonservativer. Vielmehr fühlt er sich wohl, wenn er Freiräume er-obern kann. „In Berlin ist da viel mehr möglich als anderswo“, schwärmt er, der aufgewachsen ist in einem von der katholischen Kirche und der CSU geprägten Umfeld, in dem „alles verboten war“. Der Wechsel von Ober-bayern an die Spree habe seinen Horizont „sehr aufgemacht“.

Man fragt sich, wenn man dem begeisterten Sportler so gegenübersitzt, was gerade in ihm vorgeht und was er wohl als Nächstes ausheckt. Offiziell redet er von den Vorbereitungen der kommenden Monbijou-Festspiele. Im Sommer 2008 waren es allein in drei Monaten rund 40 000 Besucher, die von den Festspielen angelockt wurden. Für 2009 kann man sicher sein, dass Schulz noch einen draufsetzen will und die eine oder andere handfeste Überraschung parat hat. Was das sein wird, weiß er allein. Wir dürfen gespannt sein.

Detlef Untermann

38 - Frühjahr 2009