Während seiner Inhaftierung in China habe ihm Einsteins Gedanke, dass die Phantasie über dem Wissen stehe, Hoffnung gegeben, sagt Ai Weiwei in Berlin anlässlich seiner Gastprofessur an der UdK.
Er sammelt Legosteine, twittert, bloggt, inszeniert seine Werke und fordert Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken. Ai Weiwei ist Chinas bekanntester Regimekritiker, was ihn seine persönliche Freiheit gekostet hat. Nach seinem mehrjährigen Ausreiseverbot durch die chinesischen Behörden ist er im Juli letzten Jahres dem Ruf einer Lehrtätigkeit nach Berlin gefolgt und erarbeitet nun mit 16 Studentinnen und Studenten Kunstprojekte.
Finanziert wird Ai Weiweis Lehrtätigkeit an der Kunsthochschule von der Einstein Stiftung Berlin. „Mit dieser Einstein-Gastprofessur binden wir einen herausragenden Künstler an unsere Stadt. Ai Weiweis künstlerische Arbeit als Bildhauer, Performance-Künstler, Filmemacher und Architekt schafft Perspektiven, die eine Vielzahl von Denk- und Handlungsräumen eröffnen“, betonte Günter Stock, Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Den Studenten soll durch die Arbeit mit dem Aktivisten auch die Möglichkeit gegeben werden, eigene künstlerische Positionen zu erweitern und zu hinterfragen.
Bereits im Dezember 2010 wurde das Verfahren zur Berufung Ai Weiweis an die UdK Berlin aufgenommen. Doch im April 2011 wurde der als Regimekritiker von der chinesischen Regierung inhaftiert. Die Einstein Stiftung stimmte kurze Zeit später dem Antrag der UdK Berlin zur Etablierung der Ai Weiwei-Professur zu. Erste und konkrete Gespräche zwischen Ai Weiwei und dem UdK-Präsidenten Martin Rennert zur Einrichtung einer solchen Stelle wurden bereits im Jahr zuvor geführt. „Es gab gute Gründe, ihn vor Jahren an die UdK Berlin holen zu wollen. Nun war es endlich möglich“, sagte Rennert.
Als man ihm seinen Pass zurückgab und das Ausreiseverbot aufhob, konnte Ai Weiwei nach Berlin reisen. Diese Chance bedeute ihm eine besondere Verantwortung und eine große Ehre. Während seiner 80-tägigen Inhaftierung in China habe ihm Einsteins Gedanke, dass die Phantasie über dem Wissen stehe, Hoffnung gegeben. In den ersten Wochen nach seiner Ankunft in Berlin war der 58-Jährige vor allem damit beschäftigt, geeignete Studenten für seine Klasse in persönlichen Gesprächen auszuwählen. Mehr als 100 aus allen UdK-Fakultäten haben sich für die Ai Weiwei-Klasse beworben, doch nur 16 haben es geschafft. Ein gelungener Austausch könne nur in einer kleinen Gruppe funktionieren. Auf die Frage, was denn das Geheimnis seines Erfolges sei, erfolgt die Gegenfrage: „Bin ich erfolgreich?“ Studenten, die die Kunst als das Ziel betrachten, sind bei ihm durchgefallen. „Kunst kann niemals Ziel, sondern immer nur Mittel sein“, sagt der in Peking geborene Polit-Aktivist. Auf seinem Lehrprogramm in den kommenden drei Jahren stehen die Medien, Fotografie, Philosophie, Ästhetik, das Internet, das mit seinen vielen Möglichkeiten für den Künstler als Ausdrucksmittel und Informationskanal unverzichtbar ist sowie das Thema Flüchtlinge.
Das Internet ist die moderne Kirche
Das Internet sei eng mit unserem Leben verflochten, ein Wissensmultiplikator und für den Allround-Künstler ein unentbehrliches künstlerisches Ausdrucksmittel, erklärt Ai Weiwei, der das Internet auch als moderne Kirche beschreibt. Man klage einem Priester sein Leid, und alle in der Gemeinde nehmen Anteil, um eine Lösung zu finden. So war es auch, als ihm die Firma Lego eine Lieferung von Spielsteinen für seine Ausstellung „Andy Warhol/Ai Weiwei“ in Melbourne verweigerte mit der Begründung, keine politische Kunst unterstützen zu wollen. Nachdem er sein Vorhaben in den sozialen Netzwerken verbreitete, spendeten so viele Fans Legosteine, dass er sein Projekt mühelos realisieren konnte.
Michaela Bavandi