Das Sofa lädt zum Lesen ein, zum Träumen, Lümmeln und Plaudern in fröhlicher Runde und ermöglicht sogar ein Herumtoben. Erwachsene verbringen durchschnittlich vier Stunden pro Tag darauf, Kinder benutzen es vorzugsweise als Trampolin. Das Sofa ist ein Sowohlalsauch-Ding und verfügt über Charme und Weisheit; manche Exemplare überzeugen wahlweise durch Sachlichkeit, Grandezza oder auch Ironie wie das Edelstahlsofa (Foto) des englischen Stahl-Künstlers Ron Arad.
Auch wenn es längst schon eine enorme Produktvielfalt gibt und Sofas wahlweise auch Couch genannt werden und sich aus Bänken und Sesseln oder parallel dazu entwickelt haben, um mindestens zwei, besser drei und bald vier bis sieben Menschen auf einmal einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen, wird die Frage jährlich neu gestellt: Wie will und vor allem wie kann der Mensch auf einem Sofa sitzen oder liegen? Wie kann er liegesitzen und die Beine über die Armlehne baumeln lassen oder weit von sich strecken? Wie Haltung zeigen, aufrecht oder hingehaucht? Das Dasein auf dem Sofa scheint eine philosophische Frage. Auf jeden Fall ist es eine soziokulturelle, die den Benutzerwandel nachzeichnet: Vom Müßiggang des Adels zur gepflegten Unterhaltung des Bürgertums über das Familiensofa des 20. bis zu den Relaxlandschaften des 21. Jahrhunderts. Der Begriff Sofa stammt vom arabischen Suffa, was Ruhebank bedeutet. Er hat im Sprachalltag das französische Canapé hinter sich gelassen und duldet die Couch als Synonym. Der englische Begriff, unschwer zu erkennen, hat wiederum französische Wurzeln. Die Sprache folgt der Gemütlichkeit über die Grenzen.
Der Designer Hans Hopfer hatte schon 1970 alle Konventionen des anständigen Sitzens bzw. die Fokussierung auf westliches Sitzverhalten über Bord geworfen und mit seinem Sofa „Mah Jong“ einer postachtundsechziger Lässigkeit die Spielwiese kreiert. Das von der Pariser Firma Roche Bobois bis heute als Bestseller verkaufte, mannigfach wandelbare bodennahe Loungemöbel ist ein west-östlicher Diwan, der aus der Kombination dreier Grundelemente variiert werden kann. Genügend Raum ist allerdings nicht allein nur eine Voraussetzung, um die ausladenden Dimensionen gut positionieren zu können, sondern auch den meist überaus farbenfrohen Mustermix in Schwingung zu versetzen. Und wer obendrein beim Update von Budget und Preis Schwindelgefühle erlebt, kann sich als Selfmade-Avantgardist versuchen. Vermutlich ist selten ein Sofa häufiger kopiert worden. Wahlverwandt ist das ebenfalls aus den Siebzigern herrührende Sofa „Togo“ von Michel Ducaroy, das sich als Statement am liebsten in Knallrot im Zimmer präsentiert. Ein regelrecht disziplinierender Gegenpol zu diesen bodennahen und raumgreifenden Laissez-faire-Positionen sind neben puristischen Möbeln in pudrigen Farbtönen mit betont niedrigem Rückenteil, schmalen linearen Sitzflächen und exakten geradlinigen Füßen auch Alkovensofas. Allein durch ihre hohen Rückenlehnen und aufrechten Armseiten definieren sie das Raumgefühl. Im wahrsten Sinne des Wortes wird hier nicht gestanden, sondern gesessen, mit dem Rücken zur Wand und dem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit schenkend, denn eine rückwärtige Geräuschkulisse ist nicht mehr von Interesse. Die Designerin Inga Sempé hat für Ligne Rosé mit „Beau Fixe“ ein elegantes Sofa entwickelt, das wie aus zwei Ohrensesseln zusammengefügt erscheint. Von ihr stammt auch der schöne hybride Entwurf „Ruché“. Ein hölzernes Untergestell, einer schlichten Sitzbank abgeguckt, und ein gesteppter Überwurf verschmelzen zu einem charmanten Möbel, in dem es sich eher sitzt als liegt. Neben der kantigen oder fließenden Eleganz zeigen sich aber auch zunehmend organische, rundliche, objekthafte Formen. Die Designbrüder Ronan & Erwan Bouroullec haben mit „Ploum“ eine ovale Kuschelzone designt, die haptisch und ergonomisch hält, was die Lautbildung des Namens verspricht. Es ist eine Melange aus Pop-Design und Chesterfield.
Wie sieht politisch korrektes Sitzen oder eben symbolisch im Sinne eines Statements aus? Klaus Wowereit hat die Talkrunde „Bei Klaus zuhaus“ ins Leben gerufen und sitzt auf einem englischen Clubsofa, einem Zweisitzer, halb lässig, halb aufrecht, irgendwie zwischen akkurat und entspannt und lädt Gäste zum Gespräch in einen renommierten Berliner Club. Eine andere Position vermittelte das Doppelporträt Gysi-Wowereit, das der Fotograf Stefan Maria Rother 2001 schoss. Nichts ist hier Zufall. Er hat die beiden Politiker bildmächtig auf ein opulentes rotes Sofa platziert. Im Hintergrund wächst gerade das neue Berlin.
„Bitte auf die Couch!“, so lud Sigmund Freud seine Patienten in der Wiener Bergstraße zur Selbstfindung. Das Unterbewusstsein breitet sich offenbar auf einer Couch, niemand sprach in diesem Zusammenhang vom Sofa, entspannter aus, es dringt an die Oberfläche und vermag alles Bedrängende leichter wegzuschieben, so als wäre es nichts weiter als eine zu tief hängende Wolke. Aber was hat das wiederum mit „Couch-Potatoes“ zu tun? Das Wort nebst Illustrationen ließ sich Anfang der Siebziger der Amerikaner Robert D. Armstrong patentieren. Es ist ein ironischer Kommentar, der mit einer Verweigerungshaltung assoziiert wird. Schlabberlook und Schlabberhaltung kommen in den Sinn, schlapp vorm Fernseher baumeln und Herumzappen bis die Kartoffelchips weggeputzt sind. So weit das Klischee moderner Trägheit, die den Katholiken als Acedia, die siebente, das Selbst zerstörende, Todsünde gilt. Aber kann es denn Sünde sein, sich mal eine Auszeit und etwas Ruhe zu gönnen? Das eine ist eben nicht das andere! Und überhaupt ist das moderne Sofa keine Ruheinsel per se, sondern eher eine Aktivitätszone: Hier trifft sich die Familie zum Zusammensein, was heute einschließt, dass jeder macht, was ihm beliebt. Die Nähe zählt. Wie schön ist es etwa, mit dem Komponisten Eric Satie einer unendlich langsam verlaufenden Zeit zu lauschen.
Die Bauhaus-Generation hatte das ultraweiche Einsinksofa ebenso überwunden wie die Zierlichkeiten in Samt und Seide. Eher gab es eine Art Day-Bett, hart genug, um flugs wieder in die Senkrechte zu kommen. Le Corbusier entwickelte seine stahlrohrgebogenen Quadratformen LC 2 und LC 5 fürs bequeme und klar dimensionierte Sitzen. Überbreite Fläzsofas, standardisierte Sofaecken in beigebraun und auch die familienfreundlichen hellen skandinavischen Sitzbereiche mit Weichholzgestellen waren die Vorläufer der entfesselten Bequemlichkeitskultur, für die namhafte Designer und Firmen in jedem Jahr neue technologische Innovationen bereithalten. Es geht nicht nur um Höhe, Breite, Tiefe, um organisch, rundlich oder eckig, um Bein oder Kufe, nicht allein um die ergonomischen Grundprämissen und daraus folgende Basislooks. Es geht um Inhaltstoffe wie Daunen, Rosshaar, Kaltschaumverbindungen, um Verarbeitungsqualitäten bei Sandwich-Verleimung weicherer und mittelweicher Schaumstoffe oder Kassetten, um handwerkliches Know-how für Gurtunterfederung, handgesteppte Falten und Koffernähte und schließlich im Avantgardebereich um komplexe Formungstechnologien und Adaptionen. Auch um distinktionsfähige Zentimeter, die hinzugefügt oder weggespart werden. Ein Standardmodell kann heute in 300 Varianten geliefert und so zum „Unikat“ werden. Überhaupt sind „modular“ und „multifunktional“ die Trendwörter von De- signern und Inneneinrichtern und natürlich auch der Sofahersteller, die den mannigfaltigen individuellen und interkulturellen Bedürfnissen gerecht werden wollen. Chesterfield-Sofas mit ihren geknüpften Rauten erlauben Zigarre und Gespräch. Die Franzosen sitzen lieber auf weichem Grund, und die deutschen Hersteller geben Halt, derweil Italiener von Minotti bis B&B Italia Klassik stilisieren und maßgenau schneidern, als ginge es um edle Anzüge. Die Dänen haben ein Sofa in Rosé, das es ob seiner Länge von 51,4 Metern mit 104 Sitzplätzen ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat. Es hat nicht jeder einen Benz zu Hause. Aber die Firma Rolf Benz, die deutsche Luxusmarke der Sofaproduzenten, feiert ihren 50. Geburtstag mit dem Jubiläumssofa RB 50; „das Einzel-, Anreih- oder Ecksofa“, wie es in der Fachsprache heißt, wurde 2015 für den German Design Award nominiert. Sitzen oder liegen? Die Frage wurde seinerzeit mit der Erfindung der Chaiselongue beantwortet. Zweifelsohne sieht ein solches Möbel im Raum charmant aus. Aber der Benutzer fühlt sich wie abgelegte Garderobe oder wie ein ewig rutschender Rock. Es muss auch anderen so gegangen sein, denn die Chaiselongue, auch als Ottomane bekannt, wurde zu Schlafsofas und Multifunktionsteilen mit allerhand Hebeln und Knöpfen transformiert. Sie verfügt inzwischen über smarte Funktionen, mit denen es sich mühelos nach hinten klappen und die Beine in die Höhe schnellen lässt wie Peterchen auf seiner Mondfahrt. Wer so viel Technik mag, dem fehlen womöglich nur noch Schleudersitz und Airbag. Manchmal genügt ja auch ein Kissen im Rücken.
Anita Wünschmann