Honigernte auf dem Dach, Kartoffeln wachsen im Reissack und Pilze auf Kaffeesatz. In Berlin ist wieder Gartensaison. „Willst du ein ganzes Leben lang glücklich sein, so schaffe dir einen Garten“, besagt ein Sprichwort. In Berlin reicht dazu manchmal schon ein Töpfchen Kresse auf dem Fensterbrett oder ein Stück Brachland vor der Haustür.
Urbaner Gartenbau heißt das dann, wenn städtische Flächen beackert werden. Das Ergebnis kann eine Sonnenblume am Gehweg sein oder – ein mit Leidenschaft der Anwohner erschaffener Gemeinschaftsgarten von 6 000 Quadratmetern mitten in Berlin, wie der Prinzessinnengarten am Moritzplatz. Über 60 Jahre blieb die Fläche ungenutzt. Seit 2009 wird sie von einer gemeinnützigen Organisation bewirtschaftet. Jeder kann uneigennützig helfen, das Geerntete kaufen, eine Beet-Patenschaft eingehen oder direkt verarbeitete Produkte im Gartencafé kaufen. In Reissäcken wachsen Kartoffeln, aus Plastikkörben sprießen Kräuter und Gemüse; Jungpflanzen, eingebettet in aufgeschnittenen Tetrapacks, können mit nach Hause genommen und kleine Gemüsesüppchen an der Gartenbar genossen werden. Es ist ein mobiler Garten, in dem alles, auch die Pflanztöpfe hin und her getragen werden können. Jedes Jahr bangt der Verein um die Verlängerung der Pacht.
2010, also bereits ein Jahr nach Gründung, waren die „Prinzessinnengärten“ Teil des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Shanghai. 2015, auf der Expo in Mailand, die unter dem Thema „Feeding the Planet, Energy for Life“ stand, war wieder eine Berlinerin mit dabei: die Imkerin und Botschafterin für Stadtgärten Erika Mayr. Sie teilte auf der Weltausstellung ihr Wissen um ihre Bienen-Zucht, die auf den Messedächern am Funkturm zu Hause ist. Und auch die Humboldt-Universität besitzt ein summendes Völkchen auf dem Dach der Mensa Nord.
Aber nicht nur das. Auf einem anderen Dach, dem des Instituts für Biologie, steht das höchst gelegene Gewächshaus Berlins mit einer Fläche von 600 Quadratmetern. 2014 wurde es eingeweiht. Mit neuester Technik ausgestattet, haben die Wissenschaftler für ihre Pflanzen das ganze Jahr über vergleichbare Anzuchtbedingungen, was eine Forschung ermöglicht, die weltweit Bedeutung hat.
Davon kann der Kleingartenbesitzer nur träumen, von immer gleichen Anzuchtbedingungen und von Gewächshäusern mitten in der Stadt. Immer wieder gibt es Gartenkolonien, die weichen müssen, um neuen Häusern Platz zu machen. Jüngstes Beispiel ist die Kleingartenanlage Oeynhausen in Wilmersdorf.
Mit den Gärten verschwindet nicht nur das Grün aus der Stadt, sondern auch Kommunikationsräume, Vereinsleben, Freizeitbeschäftigung, das Gebraucht-werden-Gefühl, Sauerstoff, Entspannung, Lebensfreude, Schulgärten. Mit jedem Stück Grün, das aus der Stadt verschwindet, verschwindet auch das Gefühl, wie sich Erde zwischen den Händen anfühlt oder das Staunen darüber, wie Kirschen wachsen und Rosen duften.
Wenn durch Bebauungspläne so mancher Gartentraum verschwindet, lässt der Berliner sich was Neues einfallen: Bauherren erfinden Wohnhäuser, in die Townhäuser integriert werden, die einen eigenen Garten haben. So haben die anderen Mieter, die mit den Wohnungen darüber, einen schönen Blick ins Grüne, und die Gartenpflege ist auch geklärt.
Andere erfinden Leidenschaften neu. „Chido´s Mushrooms“ zum Beispiel. Als Teil des Netzwerkes der „Blue Economy“ machen sie seit 2010 die Pilzzucht für zu Hause erlebbar und beweisen ganz nebenbei, dass auch Abfall eine Ressource ist. Die proteinreichen Seitling- und Austernpilze wachsen hier zertifiziert auf Kaffeesatzabfällen aus Cafés. Die Pilzkulturen sind in ausgewählten Geschäften, übers Internet und als Abo oder als Geschenkpackung erhältlich, produziert in der Bülowstraße.
Wem die Pilzzucht zu Hause zu wenig ist und ein eigener Garten zu viel, oder wer sich einfach mal ausprobieren möchte, kann sich über „Meine Ernte“ in Berlin-Rudow oder in Berlin-Wartenberg seinen eigenen bunten Gemüsegarten saisonal anmieten. Über 20 verschiedene Gemüsesorten und Blumen werden fachmännisch vorgepflanzt. Bohnen, Feldsalat, Kohlrabi und vieles mehr. Selbst die Gartenhütte inklusive Gartengeräte ist im Preis inbegriffen. Ungefähr zwei bis drei Stunden Zeit pro Woche sollte sich der Hobbygärtner nehmen, dann macht die Ernte richtig Spaß und der Garten sowieso. Ein Gärtnerbrief erinnert, was getan werden kann, und vor Ort gibt ein echter Landwirt regelmäßige Gärtnersprechstunden.
Neue Orte gibt es für Schüler, an denen „durch Ackern Wissen geschafft wird“, wie es bei dem gemeinnützigen Verein „Ackerdemia“ heißt. Das auf der Idee ihres Gründers, Dr. Christoph Schmitz, entwickelte schulbegleitende Bildungsprogramm bringt Schulklassen die Natur näher, indem sie zusammen die Aussaat planen, die Pflanzen betreuen und das geerntete Gemüse sogar vermarkten.
Es gibt auch Lösungen für Menschen ohne grünen Daumen und ohne Zeit, die aber trotzdem den Wunsch nach Wohlbefinden und Gesundheit haben. Viele Lieferdienste bringen frisches Gemüse aus dem Umland von regionalen Anbietern bis an die Haustür. Oder einfach gleich richtig essen gehen – in die erste Grüne Mensa der Stadt, in der Van´t-Hoff-Straße. Sie gehört zur Freien Universität Berlin, ist für jeden offen und die preiswerte Nummer 1 in Sachen pflanzliche Ernährung.
Das Glück liegt bekanntlich in der Natur der Dinge: ob ein Spaziergang durch den Garten, frisches Gemüse gleich von nebenan oder das Blätterrauschen beim Joggen. Noch gehört Berlin zu den grünsten Städten Deutschlands. Es gibt Bäume, Parks, Wälder, Wasser und eben Gärten.
Barbara Sommerer